Vier Wochen nach Beginn des Gaza-Kriegs stellt sich immer häufiger die Frage nach dem Danach. Israels Regierungschef Netanjahu hat klare Vorstellungen, was zumindest die Sicherheit angeht.
Israelische Truppen hinterlassen in Gaza im Kampf gegen die dort herrschende Hamas eine Schneise der Zerstörung. Ganze Stadtviertel liegen in Schutt und Asche. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Vier Wochen nach Kriegsbeginn macht Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu deutlich, dass sein Land auf unbestimmte Zeit militärische Kontrolle über das seit Jahren abgeriegelte Gebiet behalten will. "Wir haben gesehen, was passiert, wenn wir sie nicht haben", sagt Netanjahu in einem Interview mit dem US-Sender ABC.
Es war das erste Mal, dass
Experte: Pufferzone im Norden denkbar
Es sei eines von mehreren möglichen Szenarien, sagt Kobi Michael vom israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS). Er halte es jedoch für unwahrscheinlich, dass israelische Soldaten innerhalb des Küstenstreifens stationiert sein würden, sondern eher an den Außengrenzen. Wo diese nach dem Krieg liegen könnten, sei ungewiss. "Dass große Teile des Nordens nach dem Krieg zur Pufferzone werden, ist realistisch", sagt Michael und bestätigt Befürchtungen vieler vertriebener Menschen in Gaza womöglich nie wieder in den nördlichen Teil des Küstenstreifens zurückkehren zu können.
"Es muss jederzeit möglich sein, dass Israels Militär rein und wieder raus kann – so wie etwa in Dschenin und Nablus", sagt Michael. In den beiden Städten im besetzten Westjordanland finden regelmäßig tödliche Razzien des israelischen Militärs statt. Sie gelten als Hochburgen terroristischer Gruppierungen. Dies müsste nach dem verheerenden Massaker von Terroristen der Hamas am 7. Oktober auch im Gazastreifen möglich sein, sagt Michael.
Wunsch nach einer Zwei-Staaten-Lösung
US-Präsident Joe
Der Gazastreifen würde in diesem Szenario zusammen mit dem von Israel besetzten Westjordanland Teil eines eigenen palästinensischen Staates. Die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Präsident Mahmud Abbas übernähme auch das Gebiet am Mittelmeer. Die Hamas, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, hatte 2007 die PA nach blutigen Kämpfen aus dem Gebiet vertrieben.
Abbas signalisierte am Wochenende nach einem Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken die Bereitschaft, "volle Verantwortung" für den Gazastreifen zu übernehmen, aber nur als Teil eines "Pakets" mit einer umfassenden politischen Lösung auch für das Westjordanland und Ost-Jerusalem.
Widerstand gegen Zwei-Staaten-Lösung
Die Vision stößt in Israels Regierung auf breite Ablehnung. Im besetzten Westjordanland und Ost-Jerusalem leben mittlerweile mehr als 700.000 israelische Siedler, darunter mehrere Mitglieder der am weitesten rechtsstehenden Regierung in der israelischen Geschichte. Mehrere Minister setzten sich zudem für eine Schwächung der ohnehin in der Krise steckende PA von Abbas ein.
Seit 2014 hat es keine ernsthaften Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern mehr gegeben. Annäherungen waren in der Vergangenheit immer wieder durch palästinensische Anschläge sowie den israelischen Siedlungsbau erschwert worden. "Das Szenario einer Zwei-Staaten-Lösung ist nach dem Krieg das am wenigsten realistische", sagt Michael. Vielleicht ändere sich das in der fernen Zukunft, "mit neuen Regierungen auf beiden Seiten".
Auch innerhalb der palästinensischen Bevölkerung könnte es schwierig werden, ausreichend Unterstützung hinter Abbas zu versammeln. Große Teile Bevölkerung sind seit Jahren für seinen Rücktritt. Dass Abbas, der seit Jahrzehnten nicht mehr durch Wahlen legitimiert wurde, mit Hilfe Israels in den Gazastreifen zurückkehrt, wäre für viele Palästinenser ein Affront.
Arabische (Noch)-Verbündete könnten Gazastreifen übernehmen
Nach Ansicht Michaels wäre eine Übernahme des Gazastreifens durch eine Koalition arabischer Verbündeter Israels ein denkbares Szenario. Länder, die mit Israel in den vergangenen Jahren ihre Beziehungen normalisiert hätten, kämen dafür in Frage. Die Arabischen Emirate, Marokko, Jordanien nennt er als potenzielle Kandidaten.
Fraglich bleibt jedoch, wie lange die Partner Israels noch Partner bleiben. Die Stimmung im arabischen Raum kippt mit jedem weiteren Kriegstag ein Stückchen mehr. Blinken warnte Israel davor, die arabischen Freunde nicht zu verprellen. Sonst gebe es nach dem Krieg keine "Partner für Frieden" mehr. Der jordanische Ministerpräsident Bisher al-Khasawneh zog etwa eine "rote Linie", sollte Israel eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen erwägen, und nannte das eine "Kriegserklärung".
Michael Milshtein von der Reichman Universität hält eine Zusammenarbeit nach dem Krieg mit arabischen Partnern Israels für unabdingbar. Sie könnten auch eine Rolle spielen, eine neue palästinensische Verwaltung aufzubauen. "Zum Beispiel aus ranghohen Fatah-Mitgliedern, Leitern von Nichtregierungsorganisationen, Vertreter arabischer Staaten und Angehörigen einflussreicher Familien", sagt Milshtein. Die Grundsteine für einen Zusammenschluss müssten jedoch zeitnah gelegt werden. Entscheidend sei, dass nach dem Krieg kein Vakuum für neue extremistischen Kräfte entstehe.
Ein Ende der Kampfhandlungen in naher Zukunft hält Milshtein für unwahrscheinlich. "Wann der Krieg vorbei ist, ist schwer zu sagen." Das ambitionierte Ziel der Regierung sei, "die Hamas vollständig zu eliminieren". Dies werde so viel Zeit wie nötig brauchen. "Die Ideologie wird nicht zerstört werden können, aber die militärischen Fähigkeiten", sagt Milshtein. Ohne diesen Erfolg werde Israel nicht aufhören. "Es gibt keinen Weg zurück." (dpa/tas)
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