Die größte Waffenorganisation der USA ist gefürchtet. Doch die NRA hat mit Finanzskandalen und einem schwindenden politischen Einfluss zu kämpfen. Und jetzt auch noch mit der Justiz.

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Die NRA ist ein amerikanisches Phänomen. 1871 wurde sie als Sportschützenvereinigung gegründet, im 20. Jahrhundert entwickelte sie sich zur größten Lobbygruppe von Waffenbesitzern in den USA.

Eigenen Angaben zufolge kann sie sich auf rund fünf Millionen Mitglieder stützen, sie war bisher ausgestattet mit großer politischer und finanzieller Macht. Im kommenden Jahr feiert die "National Rifle Association" ihr 150-jähriges Bestehen - doch die NRA hat gerade wenig Grund, sich darauf zu freuen. Dafür steht die Interessengruppe zu sehr unter Druck.

Vorstände sollen Millionen von Dollar abgezweigt haben

Die New Yorker Staatsanwältin Letitia James hat Anfang August eine Klage gegen die NRA eingereicht. Sie will die NRA auflösen lassen und fordert Schadensersatz von vier Spitzenfunktionären, darunter der schillernde Geschäftsführer und Vizepräsident Wayne LaPierre.

Ihm und die drei anderen Angeklagten wirft sie Missmanagement und das Abzweigen gemeinnütziger Gelder für private Zwecke vor. So sollen der Organisation in drei Jahren 64 Millionen Dollar abhandengekommen sein. LaPierre wird unter anderem vorgeworfen, Reisen, eine Yacht und ein Privatjet mit Verbandsmitteln bezahlt zu haben.

Letitia James ist nicht allein: Wegen des Missbrauchs gemeinnütziger Gelder erhob am selben Tag wie sie auch James Racine Anklage, der Generalstaatsanwalt in der Bundeshauptstadt Washington.

Die NRA wehrt sich gegen diese Beschuldigungen. "Das ist eine verfassungsfeindliche, vorsätzliche Attacke mit dem Ziel, die NRA zu zerlegen und zu zerstören", teilte Wayne LaPierre Anfang August über den Twitter-Account der Organisation mit. Die NRA werde gut verwaltet und sei finanziell solvent. "Wir sind bereit zu kämpfen, gehen wir es an!"

"Loyaler harter Kern von Anhängern"

Auf jeden Fall kratzen die Vorgänge gehörig am Image eines Verbands, der bisher als unaufhaltsam galt. Die NRA agiert in der US-Bundespolitik wie in den Einzelstaaten gegen strengere Waffengesetze.

Sie beruft sich dabei immer wieder auf den zweiten Zusatz der US-Verfassung, in dem niedergeschrieben ist, dass das "Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen" nicht beeinträchtigt werden darf. Sich selbst bezeichnet die NRA deshalb als "Verteidiger der Freiheit an der Wahlurne".

Die Organisation verteilt Spenden und führt vor Wahlen politische Kampagnen für oder gegen Kandidaten. In dieser Hinsicht unterscheide sie sich nicht besonders von anderen Lobbygruppen, sagt Robert Spitzer, Professor für Politikwissenschaft an der "State University of New York" und Experte für die Waffenpolitik in den USA, im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Was die NRA aber wirklich auszeichnet, ist ihr loyaler harter Kern von Anhängern im ganzen Land." Dabei handele es sich um sehr motivierte Menschen, für die das Waffenrecht das mit Abstand wichtigste politische Thema sei. Sie formen eine schlagkräftige Basis, mit der sich viele Politiker, die sich um ein Amt bewerben, lieber nicht anliegen. Zumindest bisher.

Mehrheit für schärfere Waffengesetze

Die Organisation sei inzwischen gleich in mehrfacher Hinsicht geschwächt, erklärt Spitzer. Finanziell habe sie mit einem enormen Abfluss von Geldern zu kämpfen – auch wegen der Abzweigungen, die jetzt im Zentrum der Gerichtsverfahren stehen.

Hinzu kommt, dass die politische Schlagkraft der Gruppe aus Spitzers Sicht eher überschätzt werde – und in den vergangenen Jahren nicht unbedingt größer geworden ist. 2016 hatte die NRA noch den Wahlsieg von Präsident Donald Trump zu feiern, den sie im Wahlkampf massiv unterstützt hatte. Schon 2018 war der Verlust der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus aber eine empfindliche Niederlage.

Die NRA schlägt sich in aller Regel klar auf die Seite der Republikaner – das heißt aber noch nicht, dass die Partei deswegen jede Wahl gewinnt. Auch in konservativen Kreisen sei der Kurs des aktuellen Vorstands inzwischen umstritten, schreib die "Süddeutsche Zeitung": Wayne LaPierre haben die NRA "zu einer Art Propagandaabteilung des Trump-Flügels der Republikaner" gemacht.

Auch der Präsident persönlich hat sich in die aktuelle Auseinandersetzung eingeschaltet. Auf Twitter schrieb Trump, dass die "radikale Linke" die NRA zerstören wolle – und er behauptete, sein Konkurrent Joe Biden, wolle den Amerikaner die Waffen wegnehmen: "Sofort und ohne Vorwarnung."

Allerdings ist unklar, ob er damit viele Wählerinnen und Wähler mobilisieren kann. "Die öffentliche Meinung ist inzwischen mehrheitlich für strengere Waffengesetze", sagt Robert Spitzer.

"Organisation wird nicht mehr die gleiche sein"

Amokläufe an amerikanischen Schulen oder die hohe Zahl von fast 40.000 Schusswaffentoten haben in den USA zwar immer wieder zu Diskussionen über das Waffenrecht geführt. Sie haben der Stellung der NRA aber lange wenig geschadet. Jetzt scheint sich der Vorstand selbst jedoch in eine schwierige Lage manövriert zu haben.

Über Wayne LaPierre herrsche auch innerhalb des Verbands eine große Unzufriedenheit, sagt Robert Spitzer. Seine starke Stellung in den Gremien habe LaPierre zwar bisher halten könne. "Aber er erscheint zunehmend wahrscheinlich, dass er in den kommenden Monaten herausgedrängt wird."

Der Politikwissenschaftler Spitzer glaubt eher nicht, dass die Gerichtsverfahren in einer Auflösung des Verbands enden. Allerdings räumt er Teilen der Klagen durchaus Erfolgschancen ein: Möglicherweise werde man sich auf einen Vergleich einigen.

In jedem Fall rechnet der Experte mit Konsequenzen für die NRA: "Das in der Klage beschriebene Missmanagement ist so ungeheuerlich, dass die Organisation nicht mehr die gleiche sein wird, wenn es vorbei ist."

Über den Experten: Robert J. Spitzer ist Professor für Politikwissenschaft an der "State University of New York" in Cortland. Er ist einer der wichtigsten Experten für die amerikanische Waffenpolitik und hat bisher fünf Bücher zum Thema veröffentlicht. Eine neue Auflage des Buchs "The Politics of Gun Control" soll im Oktober erscheinen.

Quellen:

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