Präventive Online- und Video-Überwachung, Gesichtserkennung und vieles mehr: Am Dienstag soll das neue Polizeiaufgabengesetz im bayerischen Landtag verabschiedet werden. Das sieht das PAG vor und deswegen warnen Kritiker vor einem Schritt in Richtung Überwachungsstaat.
In Bayern steht eine Reform bevor, die das Bundesland nachhaltig verändern könnte und von der dennoch zahlreiche Bürger kaum etwas mitbekommen haben dürften. Denn von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet, plant die CSU den Handlungsspielraum der Polizei in Bayern maßgeblich zu erweitern.
Um dieses Ziel zu erreichen, will die Schwesterpartei der CDU das sogenannte Polizeiaufgabengesetz (PAG) abändern. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt bereits vor.
So sehen die geplanten Änderungen beispielsweise vor, dass die Beamten in Zukunft anhand von erweiterten DNA-Analysen die Augen-, Haar und Hautfarbe sowie das Alter und die "biographische Herkunft" von Verdächtigen bestimmen dürfen. Die Informationen könnten dann ähnlich wie ein Phantombild verwendet werden. Bislang dürfen Ermittlern nur die Teile der DNA von Personen analysieren die nichts über deren Aussehen verraten.
Zudem soll den Gesetzeshütern in Ausnahmefällen der Einsatz von "Sprengmitteln" wie Handgranaten oder aus Schusswaffen abgefeuerte Sprenggeschosse erlaubt werden. Auch die Videoüberwachung soll ausgeweitet werden. Der Polizei würde demnach gestattet, auch bei Demonstrationen zu filmen bei denen keine Gefahr vermutet wird und Bodycams in privaten Wohnungen zu benutzen.
Neue Maßstäbe bei der Prävention
Die neuen Befugnisse hätten sogar noch tiefergehende Auswirkungen. Denn der Gesetzesentwurf legt fest, dass die Polizei zukünftig auch bei einer "drohenden Gefahr" konkrete Maßnahmen ergreifen darf.
Die Formulierung weist den Beamten verstärkt die Prävention von Straftaten als Aufgabe zu. Anstatt wie bislang üblich zu reagieren, wenn ein Verbrechen verübt wurde, oder es konkrete Hinweise auf ein solches gibt, könnte die Polizei nun bereits aufgrund einer bloßen Befürchtung aktiv werden.
Basierend auf dem Konzept der "drohenden Gefahr" hatte die CSU 2017 bereits das "Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen" eingeführt. Dadurch können potenziell verdächtige Personen theoretisch ohne Verurteilung oder begangene Straftat für unbegrenzte Zeit präventiv in Haft genommen werden. Schon damals wurde das Konzept als äußerst schwammig kritisiert.
Das neue PAG gibt den Gesetzeshütern nun noch mehr Kompetenzen zu Vorbeugung von Straftaten an die Hand. So sollen sie bei "drohender Gefahr" unter anderem Briefe abfangen und öffnen dürfen, Telefone überwachen, Programme zur Gesichtserkennung verwenden und Onlinedurchsuchungen durchführen.
Die Beamten dürften die digitalen Daten einer Person nicht nur sichten, sondern auch abspeichern und sogar verändern. Die Modifikation von Daten wird im neuen PGS zwar als "ultima ratio" bezeichnet, wie weit Polizei dabei genau gehen darf wird aber aus dem Dokument nicht ersichtlich. Ebenfalls soll durch die Reform der Einsatz von verdeckten Ermittlern sowohl online, als auch offline ausgeweitet werden.
Die CSU-geführte Landesregierung rechtfertigt die erweiterten Befugnisse zu großen Teilen mit der gestiegenen Gefahr durch Terrorismus. Wie der Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler gegenüber der Bayerischen Staatszeitung betont, betreffen die neuen Maßnahmen allerdings "nicht nur potenzielle Terroristen, sondern auch Normalbürger".
Ein Schritt in Richtung Überwachungsstaat
Wächtler zählt zu den schärfsten Kritikern der rund 100 Seiten langen Neufassung des PAG. Seinem Urteil zufolge ist der Entwurf "eine so umfassende Möglichkeit, den einzelnen Menschen wirklich in praktisch allen Lebensäußerungen auszuforschen wie es sie in Deutschland seit 1945 noch nicht gegeben hat".
Der Rechtsexperte ist mit seiner Kritik an der geplanten Reform nicht alleine. Laut der Bayerischen Staatszeitung gibt der Münchner Richter Markus Löffelmann zu bedenken, dass zukünftig jeder Polizist in Bayern praktisch einen größeren Handlungsspielraum zur Abwehr von Gefahren hätte als das Bundeskriminalamt zur Terrorbekämpfung. Wie er der Süddeutschen Zeitung sagte, stellt das Kriterium der "drohenden Gefahr" seiner Ansicht nach eine "nicht mehr akzeptable Herabsetzung der polizeilichen Eingriffschwelle" dar.
Auch Vertreter der Politik lehnen den Entwurf ab. So sieht
Auf ihrer Homepage vergleicht sie die darin enthaltenen Maßnahmen mit dem totalitären Regime, aus George Orwells Roman "1984". Die Grünen-Politikerin kritisiert zudem, dass durch die zusätzlichen Kompetenzen der Beamten die Grenzen zwischen Polizei und Nachrichtendienst verschwimmen.
Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch der SPD-Politiker Franz Schindler. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte das langjährige Mitglied des bayerischen Parlaments, dass der Polizei mit den neuen Befugnissen das gesamte "Schreckensszenario" der Überwachung offen stehe.
"Eine immer öfter verdeckt und geheim operierende Polizei trägt nicht zu mehr Sicherheit bei, sondern gefährdet die Freiheitsrechte auch von unverdächtigen Personen", zitiert die Bayerische Staatszeitung Schindler.
Ein Beispiel das Schule macht?
Dass der CSU ihr Vorhaben trotz der vehementen Kritik gelingen dürfte, gilt als nahezu sicher. Schließlich hält die CSU 101 der insgesamt 180 Sitze im Bayerischen Landtag und auch im Ausschuss für Innere Sicherheit stellt sie die Mehrheit.
Angesichts der im Oktober bevorstehenden Landtagswahlen, könnte das Gesetz bereits in den kommenden Wochen offiziell in Kraft treten.
Das Beispiel könnte auch in anderen Bundesländern Schule machen. Denn mit Horst Seehofer sitzt seit Kurzem ein CSU-Politiker an der Spitze des Bundesinnenministerium. Erst vor wenigen Tagen kündigte er an, den einzelnen Ländern eine Angleichung ihrer Regelungen mithilfe eines Musterpolizeigesetzes leichter machen zu wollen. Ob und wie stark sich jenes am bayerischen Modell orientiert bleibt abzuwarten.
Aber ohne Widerstand wird die Neuordnung des Polizeiaufgabengesetzes wohl auch in Bayern nicht verlaufen. Katharina Schulze kündigte bereits eine Klage vor dem Verfassungsgericht an, sollten an dem Gesetz keine Anpassungen vorgenommen werden.
Das diese Drohung durchaus ernst zu nehmen ist, bewies die Politikerin erst vor Kurzem. Am Mittwoch legten die Grünen eine Verfassungsbeschwerde gegen die 2017 eingeführte "Unendlichkeitshaft" vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof ein.
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