Die Rathauschefs dreier kleinerer schwäbischer Städte haben einen Brandbrief an die Landesregierung verfasst: Sie fordern ein konsequenteres Vorgehen gegen junge Krawallmacher, die sie vor allem unter Geflüchteten ausgemacht haben. Sie halten ein verpflichtendes Dienstjahr für geeignet, um gegenzusteuern. Wir haben nachgefragt.

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Tübingen? 89.276 Einwohner. Schwäbisch Gmünd? 61.063. Schorndorf? 39.493 – nein, die drei schwäbischen Städte sind mit deutschen Großstädten wie Stuttgart (634.830) oder Frankfurt am Main (761.561) nicht zu vergleichen, was die Einwohnerzahl - und auch Zusammensetzung der Bevölkerung - angeht.

Und doch haben deren Rathauschefs Boris Palmer (Grüne), Richard Arnold (CDU) und Matthias Klopfer (SPD) einen gemeinsamen Brandbrief an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und dessen Innenminister Thomas Strobl verfasst.

Auslöser ihres Schreibens sind die jüngsten Krawalle in den Innenstädten von Stuttgart und Frankfurt, bei denen es massive Gewaltausübung gegenüber Polizei und Rettungskräften gab.

Die Amtsträger schlagen "Maßnahmen gegen die Maskulinisierung des öffentlichen Raums" (Palmer auf Facebook) vor, fordern ein entschlosseneres und härteres Durchgreifen der Behörden bei Gewalttaten und, ganz nebenbei, noch ein verpflichtendes soziales Jahr für alle jungen Menschen in Deutschland.

Oberbürgermeister sehen Parallelen zwischen ihren Städten und den deutschen Großstädten

Dass es weder in Tübingen, noch in Schwäbisch Gmünd und auch nicht in Schorndorf zu ähnlichen Vorkommnissen kam, ist für die drei Oberbürgermeister dabei nicht entscheidend.

"Auch wenn es in Städten unserer Größenordnung vergleichbare Krawalle nicht gab, so sehen wir doch die neue Dynamik solcher vor allem von jungen Menschen bestimmten Gruppen in vielen Kommunen – auch in unseren – vergleichbar", erklärt OB Arnold aus Schwäbisch Gmünd auf Anfrage unserer Redaktion.

Er, Palmer und Klopfer hätten sich in der Vergangenheit immer wieder über die "zentralen Themen der Stadtgesellschaften" ausgetauscht. Ein Fokus dabei laut Arnold: der Umgang mit "städtischen Stressgruppen vor allem jüngerer Menschen und die Herausforderungen zunehmender Respektlosigkeit, Vandalismus und Aggression". So sei nach langen gemeinsamen Diskussionen schließlich das Schreiben an die Landesregierung entstanden.

Rathauschefs schießen sich auf "Krawallbrüder" mit Flüchtlingsbezug ein

Gleich im zweiten Absatz ihres Briefes stellen die drei Rathauschefs klar, dass man dem Problem weder mit einer "pauschalen, dumpfen Brandmarkung junger Menschen als fanatisierte, marodierende Ausländerhorden" noch mit einer "von der eigenen Moral berauschten sozialpädagogischen Betreuungsromantik" beikomme.

Die OBs schreiben später jedoch explizit von "Krawallbrüdern" mit Flüchtlingsbezug und wollen diese zur Strafe in Erstaufnahmeeinrichtungen schicken, schließlich müsse den "jungen Männern auf Abwegen" durch den Staat frühzeitig verständlich gezeigt werden, wo Schluss sei. Dabei hatten nur neun von 24 Festgenommenen aus der Stuttgarter Krawallnacht einen Flüchtlingsbezug.

Die Stadtoberhäupter halten die Geschehnisse in der Landeshauptstadt dennoch "nicht für einen Zufall, sondern für die Fortsetzung eines Musters, das bei vielen Straftaten der letzten Jahre erkennbar war: Unter den Geflüchteten gibt es eine kleine Gruppe gewaltbereiter junger Männer, die eine starke Dominanz im öffentlichen Raum ausüben und weit überdurchschnittlich an schweren Straftaten insbesondere der sexuellen Gewalt und Körperverletzung beteiligt sind."

Arnold weist Vorwurf der pauschalen Beschuldigung von Ausländern von sich

Sind also am Ende eben doch "die Ausländer" beziehungsweise "die Geflüchteten" an allem schuld? "Nein", antwortet Arnold unserer Redaktion. "Wer das Schreiben vollständig und aufmerksam liest, erkennt ein klares Statement: Wir plädieren für die Politik der offenen Hand allen Menschen gegenüber."

Wer die offene Hand allerdings aggressiv ausschlage "und sich gegen die grundsätzlichen Regeln unseres Zusammenlebens stellt, muss mit einer Reaktion rechnen – egal welcher Herkunft und welchen Hintergrunds".

Neben einer angemessenen, klaren und berechenbaren Reaktion des Rechtsstaats müsse auch die Zivilgesellschaft eine Antwort geben, erklärt Arnold den Vorschlag der Einführung einer "allgemeinen Dienstpflicht für alle, in der auch ein sozial verantwortungsvolles Verhalten und ein respektvoller Umgang mit dem anderen vermittelt wird".

Pflichtjahr für alle als Lösung?

Was die Idee eines Pflichtjahrs für einen gesellschaftlichen Grunddienst für alle in Deutschland lebenden jungen Menschen mit dem Problem zu tun hat, erklärte Tübingens OB Palmer dem SWR.

Das Leben sei "der beste Lehrmeister", wer in einem Pflegeheim oder beim Rettungsdienst gearbeitet habe, entwickle ein ganz anderes Verhältnis gegenüber den Einsatzkräften

Palmer sieht die Entwicklung der Gesellschaft hin zu "immer mehr Ich-Lingen und immer weniger Gemeinschaftssinn". Eine reine Wiedereinführung der Wehrpflicht hält er für sinnlos, denn die gelte ja nur für junge Männer mit deutscher Staatsbürgerschaft. Er wolle aber "alle jungen Menschen erreichen, die in unseren Städten und Dörfern leben".

Sein Schorndorfer Kollege pflichtet Palmer bei. "Wir glauben, dass es gut ist, wenn man sich in seiner Stadt engagiert. Verantwortung zu übernehmen für die Stadt ist ein wertvolles Zeichen. Die Dienstpflicht trägt zur Demokratieförderung in Deutschland bei", sagte Matthias Klopfer gegenüber dem SWR.

Verwendete Quellen:

  • Stellungnahme von Oberbürgermeister Richard Arnold
  • Audiobeiträge auf swr.de
  • Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
  • Hessisches Statistisches Landesamt

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