Mit Ines Schwerdtner und Jan van Aken hat die Linke zwei neue Bundesvorsitzende gewählt. Die Frage, die die Genossen umtreibt: Kann die Partei überleben?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ein kleines Feuerwerk zündet an der Bühne, die Beleuchtung ist stroboskopartig, wie auf einer Party. Laute Musik. Die Linke hat auf ihrem Parteitag in Halle mit Ines Schwerdtner und Jan van Aken zwei neue Vorsitzende gewählt. Für die Partei geht es um ihre Existenz.

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Van Aken saß bis 2017 für die Linken im Bundestag, Schwerdtner ist erst vor kurzem in die Partei eingetreten und hat bei der EU-Wahl kandidiert, vorher hat sie als Journalistin gearbeitet. "Ab einem gewissen Punkt muss man sich entscheiden", sagt sie dazu. Als Sozialistin habe sie sich für eine sozialistische Partei entschieden. "Aus tiefer Überzeugung, dass es sie braucht."

Dass es um die Linke so schlecht steht, liegt aus ihrer Sicht an denen, die bis zum letzten Tag in die Kameras gelächelt und diese Partei ausgezehrt hätten. Ein Seitenhieb gegen die Ex-Mitglieder und ihre Galionsfigur Sahra Wagenknecht. Für Schwerdtner ist klar: Die Linke wird nicht nach unten treten, sondern sich um die Schwächsten in der Gesellschaft kümmern. Klarheit, Fokus und Glaubwürdigkeit, das sei der Dreiklang für den Aufbruch.

Sahra Wagenknecht spielt auch auf Linken-Parteitag eine Rolle

Wagenknechts Abspaltung BSW hat die Linke hart getroffen. Statt der AfD Wählende abzuzwacken, hat das Bündnis vor allem bei der bisherigen Wählerschaft der Linken gewildert. Die Folge: Die Partei hat nicht einmal mehr bei den Wahlen in Thüringen überzeugt – ein Bundesland, in dem die Linke bisher den Ministerpräsidenten stellt.

Und auch persönlich tragen wohl einige Genossen noch immer Wut und Unverständnis in sich. Vermutlich auch, weil Wagenknecht und einige ihrer Anhänger die Abgeordnetenmandate, die sie mit den Listen der Linke gewonnen haben, mitgenommen haben. Wie sehr der Austritt Wagenknechts die Partei gebeutelt hat, lässt sich auch im vorgeschlagenen Leitantrag für den Parteitag lesen: Direkt auf Seite eins wird auf das BSW verwiesen.

Ein Punkt, der den Genossen in Halle sauer aufstößt. Durch einen Änderungsantrag wird der Passus daher kurzerhand mit der Mehrheit der Stimmen der Delegierten gestrichen.

Im Leitantrag geht es nicht vorrangig um abtrünnige Ex-Linke, sondern vor allem um die "existenzbedrohende Situation der Partei" und einen deswegen notwendigen Neustart: Verteilungsfragen, Frieden, eine solidarische Einwanderungsgesellschaft und eine neue Ostpolitik. Die Partei will Vertrauen zurückgewinnen und sich neu aufzustellen.

Linke will bis zur Wahl Vertrauen zurückgewinnen

Der Leitantrag ist der Plan des Parteivorstandes, um die Linke bis zur Bundestagswahl 2025 wieder fit zu machen – ein letzter Strohhalm. Die Partei soll geeint und gestärkt werden, nur so könne das Vertrauen wieder aufgebaut werden. In den kommenden Monaten will die Linke eine Gesprächsoffensive starten und die Alltagserfahrungen der Menschen in die Politik einbeziehen.

Einige Genossen fordern eine neue Parteistruktur. Man müsse diskutieren, wie die Parteimitglieder miteinander umgehen – und wie sie gemeinsam gute Resultate erzielen.

Andere äußern die Sorge, dass die vielen Neumitglieder, die die Linke seit der Abspaltung Wagenknechts aufgenommen hat, wieder gehen könnten, sollte sich die Parteistruktur nicht nachhaltig verändern. Das Versprechen des Parteivorstands im Leitantrag: Nach der Bundestagswahl will man in eine breite Debatte über die Zukunft der Partei starten, die bis 2027 abgeschlossen sein soll.

Direktmandate und Eintracht als Lebensversicherung

Für die neue Parteivorsitzende Schwerdtner ist klar: Auch bei der kommenden Wahl werden die Direktmandate die Lebensversicherung der Partei sein. Sollte sie aufgestellt werden, will sie für das Direktmandat in Berlin-Lichtenberg kandidieren. Dort holte die Linke 2021 eines der drei Direktmandate, die ihr trotz Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde den Einzug in den Bundestag ermöglichte. Die amtierende Linken-Abgeordnete des Wahlkreises, Gesine Lötzsch, will nicht erneut antreten.

Gleichzeitig geht es darum, im Osten wieder stärker zu werden und die Strukturen im Westen weiter auszubauen. Aber: All das wird ein langer Prozess sein.

Jan van Aken spricht in seiner Bewerbungsrede direkt ein Machtwort: "Ihr bekommt den Jan, der auch klipp und klar sagt: Jetzt ist Schluss mit Zoff." Er verspricht: Mit dem neuen Vorstand werde es kein Gezanke geben. Wenn Probleme aufkommen, soll das diskutiert werden – letztlich der Konsens gemeinsam nach außen getragen werden. Die Linke soll künftig mit einer Stimme sprechen. "Dann können wir wieder gewinnen."

Die Linke will ihr Profil schärfen, so lassen sich die Reden der beiden neuen Vorsitzenden verstehen. Und sie wollen Visionen schaffen, statt Angstgeschichten zu verbreiten. "Ich möchte eine Gesellschaft, in der wir uns alle gegenseitig helfen, in der sich alle frei entwickeln und in Harmonie mit der Natur leben", sagt van Aken. Eine Utopie, deren Umsetzbarkeit fraglich ist. Die neuen Vorsitzenden wollen trotzdem dafür kämpfen. Und die Partei schließt sich ihnen an. Schwerdtner erhält 79,8 Prozent der Stimmen, der frühere Bundestagsabgeordnete van Aken sogar 88,0 Prozent.

Aktuell droht die Partei noch mit wenigen Prozenten in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Ob die Linke auch nach der Bundestagswahl 2025 für ihre Träume im Parlament einstehen kann, wird vom Erfolg des Erneuerungsprozesses abhängen.

Verwendete Quellen

  • 9. Parteitag der Linken in Halle
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