Vor zwei Wochen haben Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer den Bruch mit der Linken verkündet. Jetzt will die Partei wieder in die Offensive kommen. Kann das gelingen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es sind Botschaften, die Optimismus verbreiten sollen. "Wir haben heute den Startschuss für eine Linke mit Zukunft gelegt", sagte Parteichef Martin Schirdewan nach einer Strategiekonferenz am Sonntag in Berlin. "Sie sehen die Partei heute in großer Geschlossenheit."

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Wenn eines sicher ist, dann wohl das: Zuversicht kann die Linke gebrauchen.

Zwei Wochen ist es her, dass Sahra Wagenknecht und neun weitere Bundestagsabgeordnete ihren Austritt aus der Partei verkündet haben. Es war der lange erwartete laute Knall. Im nächsten Jahr soll aus dem bislang eingetragenen Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) eine Partei werden. Ein neues politisches Angebot für all jene, die sich einerseits mehr Umverteilung wünschen, andererseits aber gesellschaftspolitisch eher konservativ ticken.

Und die Linke? Ihre Zukunft ist ungewisser denn je. Das Ende der Bundestagsfraktion ist besiegelt, sie ist "politisch tot", wie es Noch-Fraktionschef Dietmar Bartsch am Wochenende ausdrückte.

Die Linke will den Streit hinter sich lassen

Nun, da Klarheit herrscht, sieht manch einer in der Partei aber auch die Chance, nach vorne zu blicken und den Streit der vergangenen Wochen und Monate hinter sich zu lassen. "Die Linke war lange durch die Parteigründungspläne von Sahra Wagenknecht mit Selbstbeschäftigung gelähmt", sagte der Bundesgeschäftsführer der Partei, Tobias Bank, unserer Redaktion. An der Parteibasis "gibt es nun überwiegend Stimmen der Erleichterung", so Bank, und die Linke werde sich jetzt wieder stärker auf ihre Kernthemen fokussieren. Dazu gehören soziale Gerechtigkeit, Umverteilung, Solidarität, Klimagerechtigkeit und Frieden.

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Dass der vollzogene Bruch mit Wagenknecht nicht das Ende der Linken bedeuten soll, darauf setzt die Parteispitze. Die Strategiekonferenz in Berlin, an der Vertreter der Bundespartei, aus den Landesverbänden und der Bundestagsfraktion teilgenommen haben, soll einerseits das Signal senden: Wir rücken zusammen. Und andererseits dazu dienen, politisch wieder mit Inhalten aufzufallen.

Dazu gehört aus Sicht der Linken die Abkehr von der Schuldenbremse, eine staatliche Beteiligung an strategisch wichtigen Unternehmen und mehr Umverteilung. So schlägt die Partei ein "soziales Klimageld" von 200 Euro monatlich vor. Anspruch darauf sollen alle mit einem Monatseinkommen von bis zu 4000 Euro brutto haben.

Auch in der Asyldebatte positioniert sich die Linke dezidiert. "Wir haben kein Flüchtlingsproblem", sagte Parteichefin Janine Wissler. Es gebe ein Verteilungsproblem, auch die Kommunen müssten finanziell besser ausgestattet werden. "Das ganze Gerede von Obergrenzen und Grenzkontrollen, das löst kein einziges Problem", so Wissler.

Klare Worte von links also – ohne innerparteilichen Widerspruch. Doch reicht das, um den Niedergang aufzuhalten? Kann eine Linke ohne Sahra Wagenknecht wieder mehr Menschen überzeugen?

Politikwissenschaftler: "Es gibt ein linkes Wählerpotenzial, aber..."

Uwe Jun ist skeptisch. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Trier und sagt: "Die Voraussetzungen sind nicht günstig". Es gebe zwar ein linkes Wählerpotenzial, das aber nur erschlossen werden könnte, wenn die Partei einheitlich auftrete. Und es sei fraglich, ob die Linke das jetzt tue. Inhaltliche Differenzen gebe es – etwa im Umgang mit Russland – auch ohne Sahra Wagenknecht. Und eben ganz grundsätzlicher Art. "Im Kern ist es ein Konflikt zwischen der kulturellen und der ökonomischen Linken", sagt der Politik-Kenner.

Mit anderen Worten: Zwischen denen, die vor allem die soziale Frage ins Zentrum der Politik rücken und jenen Linken, die sich verstärkt um Gender- und Ökologie-Themen kümmern wollen. Erstere sind vor allem in den Ost-Landesverbänden zu finden, letztere eher im Westen. Jun glaubt, dass dieser Konflikt mit dem Abgang des Wagenknecht-Lagers nicht ausgestanden ist.

Was der Linken zudem fehle, seien Führungspersönlichkeiten, die nach innen und nach außen wirken. Der frühere Parteichef Lothar Bisky sei so jemand gewesen, findet Jun. Auch Gregor Gysi habe das Potenzial dazu.

Doch mit 75 Jahren und nach drei überstandenen Herzinfarkten ist Gysi keine Option, wenn es darum geht, die Linke wieder aufzurichten. Wer dann? In den letzten Jahren haben profilierte Parteimitglieder wie der Finanzexperte Fabio de Masi oder der Außenpolitiker Stefan Liebich ihren Rückzug angekündigt. Junge Talente drängen sich nicht auf. Das ist wohl auch ein Grund dafür, warum die Parteispitze trotz desaströser Wahlergebnisse wie zuletzt in Bayern und Hessen weitermachen darf.

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Eine Wagenknecht-Partei könnte das Ende der Linken bedeuten

Über allem steht nun die Frage, wie erfolgreich Sahra Wagenknecht mit ihrem neuen Projekt sein wird. So oder so entsteht ein Mitbewerber, der auch im Wähler-Reservoir der Linken wildern wird. Politikwissenschaftler Jun sieht Erfolgsaussichten für die Wagenknecht-Truppe. "Das Wählerpotenzial ist da", sagt er. "Die entscheidende Frage ist, ob es Sahra Wagenknecht gelingt, eine tragfähige Organisation aufzubauen".

Für eine Linke, die in den Umfragen mal über, mal unter fünf Prozent liegt, ist das keine gute Nachricht. Ein Prozentpunkt mehr oder weniger kann über ihr politisches Überleben entscheiden. Andererseits: Vielleicht gelingt es der Linken in dieser "existenziellen Krise" (O-Ton Gregor Gysi) doch noch, ihre womöglich letzte Chance zu ergreifen. Zumindest machte die Partei zuletzt eine ungewohnte Erfahrung. Wie "Zeit Online" berichtet, verzeichnete die Linke nach Jahren des Mitgliederschwunds wieder mehr Ein- als Austritte.

Auslöser war ausgerechnet: der Abgang Sahra Wagenknechts.

Über den Gesprächspartner:

  • Uwe Jun ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Trier. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Westliche Regierungssysteme: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Parteien- und Koalitionsforschung sowie Politische Kommunikation. Zuletzt erschien das von ihm mit herausgegebene Buch "Parteien in Bewegung".

Verwendete Quellen:

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