Der Islamistische Terrorismus will Angst und Schrecken verbreiten. Wie kann eine Demokratie darauf reagieren? Darf ein Rechtsstaat Grundrechte verletzen, um seine Bürger zu schützen? Seit dem 11. September 2001 läuft diese Debatte mehr oder minder in Dauerschleife in Polit-Talkshows. Neue Ansichten gibt es bei "Anne Will" am Mittwochabend kaum – auch weil das aktuelle Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung viel zu spät angesprochen wird.
Im Spielfilm "Unterm Radar", der direkt vor Anne Wills Sendung gezeigt wird, verkörpert
Die ständige Bedrohung durch den Islamistischen Terror hat Europa verändert. In Großbritannien gehört die massenhafte Überwachung von öffentlichen Plätzen mittlerweile zum Alltag. "400-mal werde ich in London an einem durchschnittlichen Tag von einer Kamera erfasst", berichtet Peter Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am Londoner King’s College.
Wie viel Nutzen diese Maßnahme tatsächlich bringt, ist umstritten. Schriftstellerin
"Die extreme Rechte hat aus den Anschlägen Kapital geschlagen"
Wie die Diskussion um Überwachungskameras zeigt, ist die Sendung von
Zeh ist eine Art Sprecherin der Datenschützer in Deutschland - 2013 hatte sie aufgrund des NSA-Skandals gemeinsam mit anderen Autoren einen offenen Brief an Angela Merkel geschrieben. "Wir beugen uns nicht dem Terrorismus", betont Zeh. Die Bedrohung durch Terrorismus werde überschätzt, dabei seien andere Todesursachen - von Unfällen in der Dusche bis giftige Pilze essen - viel wahrscheinlicher.
Terror-Experte Neumann warnt vor allem vor den politischen Konsequenzen von terroristischer Gewalt. "Die extreme Rechte hat aus den Anschlägen Kapital geschlagen", sagt er. Der Rechtsstaat habe schon allein deswegen ein Interesse, sie zu verhindern.
"Deutschland ist jetzt gefährdeter als vor zehn oder 20 Jahren", glaubt Neumann. Als Grund nennt er die "enorme Mobilisierung" von Menschen, die nach Syrien oder andere Konfliktregionen gereist sind. "Deutschland ist nicht das am schlimmsten betroffene Land", stellt er dennoch klar. Länder wie Belgien seien stärker betroffen. Dort habe es bereits mehrere Anschläge gegeben.
"Der Zweck heiligt nicht die Mittel", urteilt die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie hält Überwachung nur bei konkretem Verdacht und mit Richterbeschluss für gerechtfertigt. Eine generelle Vorratsdatenspeicherung gehe aber zu weit.
"Wir haben in Deutschland auch enorm Glück gehabt"
Die tatsächliche Abhörung beschränke sich auf wenige Einzelfälle, führt der CDU-Politiker und Talkshow-Dauergast
Einen Staat, in dem sich Bürger und Politiker ständig vor Ausspähung fürchten und im Umgang mit technischen Geräten übervorsichtig sein müssen, sieht er nicht. "Die Kollegen sind in Sitzungen permanent mit dem Handy beschäftigt", erzählt er.
Datenschützerin Juli Zeh kritisiert die Politik
Datenschützerin Zeh will sich richtig verstanden wissen: "Wir sind dagegen, dass Geheimdienste Gesetze brechen - nicht dagegen, dass sie arbeiten." Ihre Kritik ziele auch nicht auf die Behörden, sondern auf die Politik, die eine "schlampige Gesetzgebungsarbeit" betreibe. Die derzeit erlaubten Instrumente genügen, glaubt die Autorin. Statt neuer Gesetze werde eher mehr Personal benötigt.
Damit jemand in Deutschland abgehört werden darf, braucht es eine richterliche Anordnung. In der Praxis ergebe das wenig Sinn, sagt Zeh. "Ohnehin überlastete Richter kriegen ganz wenig Zeit, um eine hochkomplexe Sachlage zu überprüfen." Zudem stehen Richter ihrer Ansicht nach massiv unter Druck: Entscheiden sie sich gegen die Überwachung einer Person, die tatsächlich einen Anschlag plant, könnte das verheerende Folgen haben.
Die frühere Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger unterstützt Zehs Kritik. Der Politik gehe es nur darum, Gesetze zu verschärfen - die erst das Bundesverfassungsgericht später auf ihre Rechtmäßigkeit kontrolliere.
Vorratsdatenspeicherung kommt erst ganz am Schluss zur Sprache
Die Argumente der Runde sind aus den Debatten der vergangenen Jahre schon größtenteils bekannt. Umso erstaunlicher, dass das aktuelle Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das am Freitag im Bundestag beschlossen werden soll, erst ganz am Ende der Sendung angesprochen wird.
Das Gesetz sei "durchgepeitscht" worden, meint Will und fordert damit Bosbach heraus. "Lassen Sie mich das mal erklären", beginnt er in onkelhaftem Ton. Auch die anderen Gäste mischen sich ein und wollen ihre Meinung vorbringen, werden von der Moderatorin aber kurzerhand unterbrochen: Die Sendezeit ist vorbei.
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