Hehre Ziele, wenig dahinter: Deutschland entwickelt sich im Klimaschutz vom Vorbild zum Buhmann. FDP-Chef Lindner legt den Finger in die Wunde – und nervt Grünen-Frontfrau Baerbock mit seiner Besserwisserei.

Eine Kritik

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Die Rettung der Welt dauert dann doch etwas länger, die Klimakonferenz in Kattowitz wird wohl in eine Verlängerung gehen. Noch immer liegt kein konsensfähiges Regelwerk für das Pariser Abkommen vor.

Wer am Donnerstagabend "Maybrit Illner" eingeschaltet hat, wird sich darüber nicht wundern – wenn schon sechs Menschen kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen, wie sollen das erst 190 Länder schaffen?

Maybrit Illner: Das war das Thema

Einst Musterschüler, heute Buhmann: Deutschland verspielt gerade seinen Ruf als Vorreiter im Klimaschutz. In Kattowitz musste sich die Bundesrepublik als "Fossil des Tages" verspotten lassen, der verpasste Kohleausstieg und die Aufgabe des Klimaziels für 2020 sicherten die zweifelhafte Auszeichnung.

Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan bezeichnet Deutschland im Interview mit der "Süddeutschen" als "herbe Enttäuschung". Maybrit Illner ging den Gründen für den Ärger auf den Grund:

"Klimaretter Deutschland – gut gedacht, schlecht gemacht?"

Diese Gäste diskutierten mit Maybrit Illner

Der Wissenschaftler Stefan Rahmstorf vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung ist so etwas wie eine wandelnde Hiobsbotschaft.

Das 1,5-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen, das Festhalten an der Kohle eine Katastrophe, der Emissionshandel völlig unausgereift – er ließ kein gutes Haar an den Bemühungen der Weltgemeinschaft.

Deutschlands globale Verantwortung leitete er aus zwei simplen Zahlen ab: "Wir produzieren mit einem Prozent der Bevölkerung sechs Prozent der Emissionen weltweit."

FDP-Chef Christian Lindner plädiert für das Modell Ablasshandel, das Deutschland auch in Kattowitz präsentierte: Im Gegenzug für verpasste Klimaziele gibt’s mehr Geld für Projekte in Drittweltländern.

Das sei ohnehin effizienter als hierzulande: "Nirgendwo auf der Welt ist CO2-Sparen so teuer wie hier. Das hängt mit unserer Planwirtschaft zusammen." Er forderte eine "Wärmewende für neue Heizungen: Dann könnten wir auch auf Fahrverbote verzichten".

Annalena Baerbock von den Grünen erinnerte Lindner an das Pariser Abkommen, das eine klimaneutrale Gesellschaft ab 2050 anpeilt. "Wir können nicht einfach woanders das Klima retten, wir brauchen hier Maßnahmen."

Wie schwierig die in Einklang zu bringen sind mit den Gegebenheiten eines Industrielandes, lässt sich gut an der Person Matthias Dürbaum illustrieren.

Der junge Gewerkschafter arbeitet für RWE im Tagebau Hambach und fühlt sich und seine Kumpel vom Kohleausstieg bedroht: "Die Frage ist: Wie kriegen wir eine Energiewende hin, die nicht zulasten Zehntausender Beschäftigter geht?"

Wirtschaftsminister Peter Altmeier verteilte auch mal ein Lob ans Land, und meinte damit natürlich vor allem seine CDU: "Wir beziehen 38 Prozent unseres Stroms aus Erneuerbarer Energie, ein großer Erfolg."

Der Kohleausstieg sei aus ganz praktischen Gründen nicht schneller machbar: "Wir sind als einziges Industrieland aus der Atomkraft ausgestiegen, wenn wir auch noch gleichzeitig die Kohlekraftwerke stillgelegt hätten, gäbe es Probleme mit der Stromversorgung."

Unternehmer Philipp Schröder registriert ein Umdenken bei den großen Firmen, gerade bei Investoren und Rückversicherern: "Die wissen, irgendwann wird der Klimawandel teuer."

Das war der Schlagabtausch des Abends

Auch wenn Christian Lindner in dieser Sendung des Öfteren den Schlaubi Schlumpf in sich rausließ, seine Analyse der Probleme mit der Energiewende trafen einen Punkt: 6.000 Kilometer Stromleitungen fehlen in Deutschland, ganze 28 Kilometer wurden vergangenes Jahr verlegt.

"Eine Weinbergschnecke bewegt sich schneller." Die ganze Klimastrategie der Regierung sei zum Scheitern verurteilt, weil Alternativen fehlen. "Wir sind gegen Atomkraft und gegen Kohle. Wir sind gegen die unterirdische Speicherung von CO2 und gegen Fracking. Wenn man immer gegen alles ist, wird der Klimaschutz nicht gelingen."

Annalena Baerbock war von den Belehrungen irgendwann genervt: "Hören Sie mal auf zu sagen, alle seien zu dumm: Wie wollen Sie denn Paris erfüllen?"

Lindners Antwort, wenig überraschend für einen Liberalen: Ein Preis auf CO2, den, "halten Sie sich fest", der Markt regelt. "Wir wollen nämlich beide die Klimaziele erreichen. Aber bei Ihnen hört es sich nach DDR an, das unterscheidet uns."

So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Staatliche Eingriffe hält Lindner für Teufelszeug, wenn es sich nicht gerade um Subventionen für Start-Ups oder sonstige Zuckerl für die Wirtschaft handelt.

Auch Maybrit Illner übte sich an diesem Abend im liberalen Laissez-Faire, was den talk-erfahrenen Politikern freie Hand ließ, über ihre Leib-und-Magen-Themen zu reden.

Dabei gäbe es außer der Energiewende noch viel mehr zu besprechen: Zum Beispiel die Frage, was unser Lebensstil zum Klimawandel beiträgt, und welche radikalen Maßnahmen zur Diskussion stehen – ein Verbot von Inlandsflügen zum Beispiel, oder eine Abkehr vom Autoverkehr. Heiße Eisen, die Politiker nicht anfassen wollen, und Illner leider auch nicht.

Die einzige Auffälligkeit leistete sie sich bei der Verabschiedung: Sie wünschte den Zuschauern "warme Weihnachten". Warum auch immer: Der Wunsch wird wohl in Erfüllung gehen, dafür sorgt der Klimawandel.

Das sind die Erkenntnisse

Noch so ein Versäumnis von Maybrit Illner: Sie schaffte es nicht, die spannenden Einwürfe des Unternehmers Philipp Schröder aufzugreifen oder zu übersetzen.

Der Ex-Deutschland-Chef von Tesla warf einen spannenden wie unbeleuchteten Punkt auf: Die fossile Energiewirtschaft gehört zu den Industrien, die ihren Müll quasi nicht auf eigene Rechnung entsorgt, sondern die Folgeschäden der Allgemeinheit aufbürdet. Das verschleiert den wahren Preis für Strom aus Kohle.

"Aber am Ende werden wir die Zeche alle zusammen bezahlen", sagte Schröder.

Klimaforscher Rahnstorfer zitierte eine Studie des IWF, laut der eine Tonne CO2 eigentlich 130 Euro kostet – im Emissionshandel firmiert sie bei rund 23 Euro. "Das ist nicht ansatzweise gedeckt."

Letztlich sind das mehr oder weniger versteckte Subventionen für die fossile Industrie – die ein Interesse daran hat, den Anteil des Menschen am Klimawandel kleinzureden.

Rahmstorfer erinnerte daran, dass große Energieunternehmen zu Trumps Unterstützern gehören. "Und sie investieren in Breitbart und Fox News – und das schaut Trump."

Und Deutschland? Sollte auf sich schauen, meint Christian Lindner: "Wir sind gerade kein Vorbild."

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