Nicht einmal Karl Lauterbach glaubt mehr an den Lockdown – bei "Hart aber fair" skizziert er ein Konzept für Lockerungen. Frank Plasberg lässt trotzdem seinen heiligen Corona-Zorn am SPD-Mann aus.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"Die Leute haben die Schnauze voll!". Mit diesen Worten kündigte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier vorige Woche einen Öffnungsplan für sein Bundesland an. Frank Plasberg nimmt die Steilvorlage auf und fragt bei "Hart aber fair" am Montagabend: "Viel Druck im Kessel: Wie lange ist der Lockdown noch zu halten?"

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Die schnelle Antwort: Nicht mehr lange, wenn nicht einmal Karl Lauterbach noch an ihn glaubt. Der SPD-Mann schwenkt überraschend um auf einen Lockerungskurs - allerdings nur unter klaren Bedingungen. Und die sind noch nicht erfüllt.

Das sind die Gäste bei "Hart aber fair"

Fernsehkoch und Gastro-Unternehmer Nelson Müller plädiert für Öffnungen, wenn auch "nicht um jeden Preis". Ein gutes Sicherheitskonzept könnten seine Restaurants aber ohnehin schon vorweisen, anders als der Supermarkt um die Ecke: "Was da los ist, man hat das Gefühl, das ist das neue Ausgehen. So voll werden wir nie sein."

Testen, testen, testen, so lautet das Rezept für Michael Busch, Chef der Buchhandelskette Thalia. Vom Treffen der Ministerpräsidenten mit Angela Merkel am Mittwoch erwarte er sich eine "Aufbruchstimmung" und natürlich Öffnungen: "Der Einzelhandel hat kein Infektionsrisiko".

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Lehrerin Lamya Kaddor berichtet von Schülern, die "deprimiert rumhängen" und die Mitarbeit im Homeschooling verweigern. Und auch ihr eigener achtjähriger Sohn macht Kaddar Sorgen: "Der glaubt felsenfest, dass er schon 15 Monate in Quarantäne steckt, das tut mir weh."

Verständnis für den Wunsch nach Lockerungen äußert auch die Lungenfachärztin Jördis Frommhold. In ihrer Reha-Klinik häuften sich aber Fälle, bei denen Monate nach der Genesung Probleme auftreten. "Deswegen bleibt die Aufklärung über die Risiken wichtig."

Nein, Frank Plasberg hat Karl Lauterbach nicht vergessen, sondern der Epidemiologe steigt erst nach einer halben Stunde so richtig ein in die Runde – und wie: Der Inbegriff des Corona-Hardliners spricht plötzlich von Lockerungen.

Nicht, weil die medizinische Lage es hergibt, sondern weil der aktuelle Lockdown versagt habe. "Er ist viel zu schwach, um die dritte Welle aufzuhalten", meint Lauterbach, ein Verharren würde gar nichts bringen, ein anderes Konzept vielleicht schon: Regelmäßige Tests in Betrieben und Schulen, die gleichzeitig als Eintrittskarte für Einzelhandel und andere Bereiche gelten können. So könnte der R-Wert unter 1 gesenkt werden.

Begeisterung bei den Unternehmern Busch und Müller, aber natürlich mischt Lauterbach noch ein bisschen Wasser in den Wein: "Man kann mit Tests auch viel kaputt machen." Dann nämlich, wenn man nur Einzelpersonen testet, dafür sei die Trefferquote bei Asymptomatischen zu gering. Werden ganze Gruppen getestet, können jedoch Cluster identifiziert werden.

All das setze eine gute Strategie voraus, mahnt Lauterbach. Und genügend Tests, die wohl erst – noch ein Schluck Wasser in den Wein – Mitte, Ende März verfügbar sein werden.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Skeptisch ist Karl Lauterbach auch, was die Ehrlichkeit seiner Mitmenschen angeht: Ob jeder, dessen Selbsttest positiv ausfällt, auch das Gesundheitsamt informiert? Da ist er bei Frank Plasberg an der falschen Adresse. "Mit Verlaub, was ist das für ein Menschenbild", fragt der Gastgeber, der die Tests selbst Zuhause nutzt. "Ich sage doch dann auch nicht: Ich melde das nicht, ich habe heute Abend Sendung".

Natürlich nicht, rudert Lauterbach zurück, nur um gleich das nächstbeste Fettnäpfchen anzusteuern: Weil derzeit nur rund 100 Millionen hochwertige Tests zur Verfügung stehen, dürfe man sie nicht verbrauchen, "um am Wochenende Party zu machen".

Diesmal kommt der Rüffel von Lamya Kaddor: "Warum denn immer Party, warum müssen wir das immer diesen Gruppen in die Schuhe schieben?" Lauterbach, ein wenig kleinlaut: "Ich mache ja keinem einen Vorwurf (…). Es ist nur ein realistisches Szenario. Der Punkt ist: Ich kann die Tests gezielt für ein Konzept nutzen oder ich gebe sie frei und kann die dritte Welle nicht verhindern."

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

Jede Kritik sollte mit einem Lob beginnen, also: Die Redaktion hat der naheliegenden Versuchung widerstanden, ein "Hart aber Hair"-Spezial zur Öffnung der Friseursalons im Land zu senden. Bravo.

Aber nicht jeder kommt an diesem Abend, hüstel, ungeschoren davon: Besonders auf Thomas Mertens von der Ständigen Impfkommission (Stiko) hat es Frank Plasberg abgesehen. Die Stiko hat AstraZeneca nicht für über 65-Jährige zugelassen, weil Mertens nicht eingeladen ist, lässt der Gastgeber seinen heiligen Zorn bei Karl Lauterbach ab.

Auch wiederholte Hinweise Lauterbachs, dass er nicht für die Stiko sprechen kann, lindern Plasbergs Wut nicht. "Wer kann dem Mann denn Beine machen?", wettert er – ein unangenehmes Tribunal in Abwesenheit.

Das ist das Ergebnis

Raus aus dem Lockdown, rein ins Vergnügen? So einfach wird es nicht, selbst wenn die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin am Mittwoch weitreichende Öffnungen beschließen sollten.

Im Prinzip sind schon jetzt Weichenstellungen verschlafen worden, wie immer wieder deutlich wird. "Das hätte man doch Anfang des Jahres machen können", ruft Lamya Kaddor dazwischen, als Karl Lauterbach skizziert, wie die Gesundheitsämter die Betriebe auf die Tests vorbereiten müssen.

Die sollen übrigens ganz altmodisch auf Papier vermerkt werden, denn, so Lauterbach: "Es ist jetzt keine Zeit mehr, eine App dafür zu entwickeln."

Glücklich, wer sich von Anfang an nicht nur auf die Politik verlassen hat - TV-Koch Nelson Müller hat für seinen Betrieb schon in Eigenregie Tests besorgt. Sein Unternehmerkollege Michael Busch sieht sich und die Filialen ohnehin schon genug vorbereitet, und warnt vor einem Übermaß deutscher Gründlichkeit: "Wir dürfen jetzt nicht noch das Testen noch mal testen, sondern einfach mal machen."

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