AfD-Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla lieferte sich bei "Maischberger" ein hitziges Duell mit einem AfD-Experten – und verlor zunehmend die Nerven. Journalistin Sonja Zekri warnte, dass inzwischen niemand mehr gegen die Rechtsaußenpartei "immun" sei.
Das war das Thema bei "Maischberger"
Die erste Ausgabe von
Das waren die Gäste
Cem Özdemir : Der Bundeslandwirtschaftsminister (B'90/ Grüne) lobte sich dafür, dass der Agrardiesel nach den Protesten der Landwirte nun doch nur in drei Schritten abgeschafft wird und nicht sofort. Özdemir wäre die Einführung des Tierwohlcents, um die Einnahmeseite der Bauern zu verbessern, lieber gewesen statt die Agrardieselstreichung. Zur AfD sagte der erste türkischstämmige Bundesminister: "Wer AfD wählt, macht dieses Land kaputt."Walter Sittler : Dem Schauspieler machen die Massendemonstrationen gegen die AfD "große Hoffnung". Er hofft außerdem, dass der Teil der AfD-Wähler, der nicht "beinhart" ideologisch ist, sich davon umstimmen lässt. Und dass es bei den nächsten Wahlen eine hohe Wahlbeteiligung geben wird, die der AfD schaden könnte. Sittler sprach sich zudem für den Ausschluss der Partei von der Parteienfinanzierung für einige Jahre aus. Danach könnte ein Verbot der Partei geprüft werden. Dass dem Thüringer AfD-ChefBjörn Höcke das passive Wahlrecht entzogen werden könnte, begrüßte er ebenfalls. "Der ist ein Faschist, ganz einfach."- Martin Machowecz: Der Journalist (Die Zeit) hat Verständnis für den Bahn-Streik ("Irgendjemand muss es diesen Managern mal zeigen, dass es so nicht weitergeht") - aber nur bedingt für die Bauernproteste. Den Landwirten, gerade jenen mit großen Höfen, gehe es gar nicht so schlecht, meinte er. Die AfD habe den Aufstieg geschafft, weil viele Probleme liegen geblieben sind, so Machowecz. Dabei nannte er auch die teils chaotische Migrationspolitik. Von einem Verbot der Partei warnte er – aufgrund des ungewissen Ausgangs und der jahrelangen Dauer des Verfahrens.
- Sonja Zekri: Die Journalistin der "Süddeutschen Zeitung" kann den erneuten Streik von Claus Weselsky und seiner Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer nachvollziehen. Er tue das, was man von einem Gewerkschaftsführer erwartet, er kämpfe für seine Leute. Der Zustand der Bahn habe etwas Symbolhaftes für den Zustand dieser Republik, so Zekri, die auch zur AfD eine klare Meinung hatte. Das Treffen Rechtsextremer in Potsdam, bei dem auch einige CDU-Mitglieder und Geschäftsleute anwesend waren, habe gezeigt, dass die AfD kein Ostphänomen mehr ist. "Eigentlich ist das in der Mitte. Das ist die Mitte. Es gibt niemanden, von dem man von vornherein sagen könnte: Der ist immun. Also könnten wir es alle sein."
- Olaf Sundermeyer: Der Investigativ-Journalist nannte die AfD den "parlamentarischen Arm der rechtsextremistischen Bewegung" in Deutschland. Andere Gruppierungen wie die Identitäre Bewegung (IB) des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner besetzen dagegen den vorparlamentarischen Raum. Es gebe zahlreiche Identitäre, so Sundermeyer, die für AfD-Bundestagsabgeordnete oder -Landtagsabgeordnete tätig sind, obwohl die IB formal auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht.
- Tino Chrupalla: Der AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende fuhr eine Doppelstrategie. Einerseits beanspruchte er für seine Partei die Opferrolle, als er die Methoden der investigativen Enthüllungen des Potsdamer Treffens als "Stasi-Methoden" bezeichnete. Dann distanzierte er sich ein Stück weit von den Inhalten des Treffens, etwa von den vom Rechtsextremisten Martin Sellner dort skizzierten Deportations-Plänen, missliebige deutsche Staatsbürger mit ausländischen Wurzeln millionenfach abzuschieben und in Musterstädten in Afrika anzusiedeln. "Das ist gegen unsere Programmatik und das werde ich niemals vertreten", sagte Chrupalla, der die Migranten in der AfD sogar explizit aufrief, weiter zum Wohle Deutschlands mitzuarbeiten. Unklar ist, wie ernst Chrupalla diese Klarstellung meinte. Oder ob er solche radikalen Pläne zur "Remigration" – auch von Deutschen – in Wahrheit doch mitträgt oder zumindest hinnimmt. Gegen Ende der Sendung geriet Chrupalla aufgrund der Dauerkritik zunehmend aus der Fasson und wirkte sichtlich genervt von Sundermeyer.
Das war der Moment des Abends
Cem Özdemir gab zu, dass er mit der Art und Weise, wie die Entscheidung zur Streichung des Agrardiesels zustande kam, nicht ganz glücklich war. "Da war niemand beteiligt außer den drei Spitzen (Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner, Anm. d. Red.). Da habe ich auch ein bisschen Verständnis für. Das liegt an dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Sie mussten halt kurzfristig 17 Milliarden Euro mobilisieren (einsparen, Anm. d. Red.)", berichte der ehemalige Grünen-Chef. "Ob jetzt solche Runden, wo drei Männer zusammensitzen bis zum Morgengrauen – die Uhr läuft ab, man ist müde, man ist stehend k.o., vielleicht ist auch einer krank, (…) ob das immer zu den allerbesten Ergebnissen führt, kann man sicherlich geteilter Meinung sein." Am Ende sei der Fehler, also die sofortige Streichung des Agrardiesels ja "Gott sei Dank" zurückgenommen worden. Trotzdem bleibt der Eindruck: Die Ampel weiß wieder nicht 100 Prozent, was ihre Entscheidungen auslösen und muss zurückrudern.
Das war das Rededuell des Abends
Die AfD gilt in einigen Bundesländern als gesichert rechtsextrem, in anderen als Verdachtsfall. Mit Björn Höcke hat sie einen Mann in ihren Reihen, der gerichtlich anerkannt als "Faschist" bezeichnet werden darf. Tino Chrupalla sagte bei "Maischberger": "Wir lehnen jede Form von Extremismus ab." Olaf Sundermeyer ging sofort dazwischen: "Sie haben Rechtsextremisten in ihrer Bundestagsfraktion, einzelne Rechtsextremisten sind Landtagsabgeordnete."
Chrupalla erwiderte, dass der Begriff inflationär verwendet werde und Leute in Schubladen gesteckt würden, "die es mitnichten sind". Die AfD stünde zum Grundgesetz. "Wir sind eine Grundgesetzpartei." Sundermeyer rückte von seiner Kritik kein Stück ab.
So hat sich Sandra Maischberger geschlagen
Maischberger horchte vor allem bei Cem Özdemirs Beschreibung auf, wie die Entscheidung zur Abschaffung des Agrardiesels zustande kam. "Möchten Sie so regiert werden?", fragte sie den Minister mehrfach. Der gab zu, dass die Entscheidung nicht ganz glücklich gewesen sei.
Beim Interview mit AfD-Chef Tino Chrupalla erwies sich Maischberger ebenfalls als hartnäckige Fragestellerin. An manchen Stellen hätte sie den Sachsen sicherlich mehr mit fragwürdigen Aussagen oder Widersprüchen konfrontieren können. Ist die AfD tatsächlich gegen jede Form von Extremismus? Warum dürfen Mitarbeiter der Identitären Bewegung überhaupt für AfD-Parlamentarier arbeiten, wenn sich die AfD doch formell von der Gruppierung abgrenzt?
Das ist das Fazit
Soll man AfD-Vertreter wie Tino Chrupalla in Talk-Sendungen einladen und damit zur Normalisierung der Partei beitragen? Die Frage wird seit Jahren gestellt. Sie wurde von Anne Will mit "Nein" beantwortet, während ihre Nachfolgerin Caren Miosga auch AfD-Politiker einladen möchte. Maischberger machte es richtig, indem sie Chrupalla einen Rechtsextremismus-Experten als Korrektiv gegenübersetzte. Grundsätzlich kommt man an einer Partei, die in bundesweiten Umfragen den zweiten Platz belegt und im Osten bald mitregieren könnte, wohl nicht so einfach vorbei. Er ist schließlich auch das Zeichen einer lebendigen Demokratie, wenn das gesamte Spektrum der Parteienlandschaft in den Talkshows repräsentiert wird. Ob es dann immer ein Gewinn ist, den Argumenten eines Tino Chrupalla zu lauschen, steht wieder auf einem anderen Blatt.
Folgt man "Zeit"-Journalist Martin Machowecz, dann hat es die Ampel durch eine bessere Politik, auch im Bereich der Migrationsfrage, selbst in der Hand, die AfD wieder zu schrumpfen. Klar ist für ihn, dass das kommende Jahr mit Wahlen in den USA, in Europa und in drei ostdeutschen Bundesländern viele unschöne Dinge hervorbringen könnte. Fast flehentlich formulierte Sonja Zekri daher ihre Erwartung, dass die Ampel trotz aller Schwächen bis zum Ende der Legislatur durchhält, ja durchhalten muss. "Da gibt es nichts", sagte sie ernüchtert, "auf was ich danach hoffe".
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.