Deutliche Worte zu später Stunde: Karl Lauterbach und Boris Palmer werfen sich bei Sandra Maischberger Geschmacklosigkeit und Panikmache vor. Und der Politikwissenschaftler Christian Hacke findet: Gegen Donald Trump müsste eigentlich jede Vogelscheuche gewinnen.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Fabian Busch dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Als erste Gastgeberin einer Polit-Talkshow meldet sich Sandra Maischberger am Mittwochabend aus der Sommerpause zurück. Da die Welt in den vergangenen Wochen alles andere als still stand, tischt sie ihren Gästen wieder ein breites Themenmenü auf: Anti-Corona-Demos, Trump, Tönnies. Für besondere Aufmerksamkeit sorgt die Ankündigung eines Streitgesprächs zwischen Karl Lauterbach und Boris Palmer. Das verspricht, spannend zu werden.

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Wer sind die Gäste bei Sandra Maischberger?

Karl Lauterbach: "Alle Kriterien einer zweiten Welle sind in Deutschland klar erfüllt", sagt der SPD-Gesundheitsexperte über die aktuell wieder steigenden Corona-Infektionszahlen. Es sei nun wichtig, dass Kinder und Jugendliche nach den Ferien wieder in die Schulen gehen können – dann müssten aber die Erwachsenen die Infektionszahlen gering halten. "Bei Festen, Feiern, beim Restaurantbesuch müssen wir uns wieder etwas einschränken."

Boris Palmer: Der Grünen-Oberbürgermeister von Tübingen erntete zu Beginn der Pandemie viel Kritik, als er sagte: "Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären." An diesem Abend klingt er anders: Jetzt besteht er darauf, vor allem die Menschen in den Pflegeheimen vor Infektionen zu schützen und die Pflegekräfte dort regelmäßig zu testen – wie es Tübingen bereits auf eigene Kosten mache.

Christian Hacke: Der Politikwissenschaftler und USA-Experte warnt davor, Donald Trump bereits abzuschreiben. Der US-Präsident habe die im Herbst anstehenden Wahlen noch keineswegs verloren. "Wir dürfen ihn nicht unterschätzen. Er wird alles tun und unternehmen. Er wird mit allen Tricks arbeiten."

Düzen Tekkal: Für die Dokumentarfilmerin und Journalistin sind Demokratie und Meinungsfreiheit in Deutschland die Gewinner der Woche: "Weil sie Unerträgliches ertragen haben." Sie meint damit die Anti-Corona-Demonstrationen vom Wochenende in Berlin. Sie kritisiert zwar die Teilnehmer an diesen Protesten – aber genauso die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die diese Demonstranten als "Covidioten" bezeichnet hatte: "Das befeuert das Ganze noch zusätzlich", findet Tekkal.

Günter Wallraff: Als "Konglomerat der Verängstigten, Verwirrten und Verhetzten", bezeichnet der Investigativ-Journalist die Anti-Corona-Demonstranten. Doch er findet auch, dass die Politik ihre Ängste ernstnehmen muss. "Das ist nicht eine Bewegung, das ist eine Verzweiflung."

Rainer Hank: Der Wirtschaftskolumnist der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kritisiert die Forderung, der Staat solle Mindestpreise für Fleisch verordnen. Damit rutsche man nicht nur in die Planwirtschaft. Es sei auch nicht zu kontrollieren, was der Fleischproduzent mit den höheren Erlösen mache, sagt Hank. "Und wir verteuern Lebensmittel für Menschen, die womöglich darauf angewiesen sind."

Was ist das Rededuell des Abends?

Es hat etwas von einem Gladiatorenkampf zur Belustigung des Publikums: Boris Palmer und Karl Lauterbach wurden höchstwahrscheinlich eingeladen, um sich gepflegt zu streiten. Und die beiden nehmen die Rollen auch an – auch wenn das Duell etwas müde und erwartbar daherkommt.

Der umstrittene Tübinger Oberbürgermeister wirft dem Gesundheitsexperten vor, er mache den Menschen mit seinen Corona-Warnungen zu viel Angst: "Weil bei mir hängen geblieben ist: Die nächsten 18 Monate muss jetzt nach der Methode Lauterbach gelebt werden – und das heißt ziemlich viel Shutdown." Dabei habe sich Lauterbach geirrt, als er im Mai vor Lockerungen warnte, behauptet Palmer: "Die von Ihnen prognostizierte Welle hat es nicht gegeben."

Lauterbach verteidigt sich: Seine Einschätzung sei auch die der Expertinnen und Experten gewesen, zudem kenne er sich als Epidemiologe mit der Sache aus. Außerdem stört sich der Sozialdemokrat an einer anderen Behauptung Palmers.

Der Oberbürgermeister sagt: "Für arme Kinder auf der Welt ist die Corona-Bekämpfung schlimmer als Corona selbst." Damit unterstelle er, dass Kinder für die Bekämpfung der Pandemie geopfert würden, ärgert sich Lauterbach – und das sei schlicht "geschmacklos".

Was ist der Moment des Abends?

Präsident Trump und seine wirre Sicht auf die USA und die Welt: Dieses Thema ist eigentlich schon zur Genüge ausdiskutiert. Trotzdem wird es noch einmal lebhaft und unterhaltsam, als der Politikwissenschaftler Christian Hacke seine Sicht auf Amerika darlegt. Denn Hacke spricht erfrischend deutlich: Trump habe einen "inneren Unfrieden" geschaffen wie kein Präsident vor ihm, er sei ganz einfach "ein entsetzlicher Mann". "Jede Vogelscheuche auf dem Weizenfeld müsste eigentlich gegen ihn gewinnen."

Hacke macht aber auch klar: Trump sei noch keinesfalls geschlagen – gerade weil die USA zerrissen und im Niedergang seien: "Viele Amerikaner glauben gerne daran, dass sie noch groß sind." Und genau dieses Gefühl gebe ihnen Trump.

Was ist das Ergebnis?

Der Streit zwischen Lauterbach und Palmer wirkt etwas bemüht. Interessanter als ihre Meinungsverschiedenheiten ist, dass sie sich auch mal einig sind: Es gehe jetzt vor allem darum, Kinder und Jugendliche wieder in die Schulen schicken zu können. Dass derzeit schon wieder über Fußball-Bundesligaspiele mit Publikum diskutiert wird, findet Karl Lauterbach "vollkommen frivol und unangemessen". "Wir müssen den Kindern dieses Mal mehr Priorität geben als in der ersten Welle", sagt er – und stößt damit auf die Zustimmung seines Widersachers Palmer.

Eine weitere Lehre hat nur indirekt mit dem Coronavirus zu tun. Lauterbach und Palmer äußern sich zwar nicht dazu, aber die anderen vier Gäste sind sich mehr oder weniger einig: Der nächste Kanzlerkandidat der Union sollte Markus Söder heißen.

Politikwissenschaftler Hacke spricht ihm das außenpolitische Talent zu. Kolumnist Hank berichtet, sogar seine "linken Frankfurter Freunde" könnten mit einem Kanzler Söder leben. Journalistin Tekkal bescheinigt dem bayerischen Ministerpräsidenten Krisenfestigkeit und Integrationskraft.

Und sogar Günter Wallraff – nicht gerade als CSU-Fan bekannt – ist positiv überrascht von Söder. "Er schafft Vertrauen", sagt der Journalist – und entschuldigt sich gleich bei sich selbst: dass er gegen seine Überzeugungen so etwas sagen müsse.

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