Nach den jüngsten Erfolgen der AfD bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stellt sich die deutsche Politik die Frage: Wie umgehen mit der Partei? Sie zu verbieten, wäre jedenfalls alles andere als einfach.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Rebecca Sawicki sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die AfD hat bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg abgeräumt: In zwei Landtagen hat sie die sogenannte Sperrminorität – also ein Drittel der Sitze – erlangt, in Sachsen hat sie diese Machtposition knapp verpasst. Klar ist zwar: Die Mehrheit der Bürger hat nicht die AfD gewählt. Doch ein beachtlicher Teil der Bevölkerung steht hinter der Partei.

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In der Zivilgesellschaft und in der Politik stellt sich seither die Frage: Wie umgehen mit der Rechtsaußen-Partei? Die Antwort einer überparteilichen Parlamentariergruppe: Ein Verbotsverfahren anstreben. Sie will den Antrag in den kommenden Wochen in den Bundestag einbringen. Über ein solches Parteiverbot kann nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden – ein Antrag für ein Verfahren muss von der Bundesregierung, dem Bundesrat oder eben dem Bundestag dort eingebracht werden.

Vorarbeit für Verbotsverfahren ist ein langwieriger Prozess

Gegenstimmen befürchten, ein Verbotsverfahren könne der AfD mehr nützen als schaden. Auch aus Sicht von Alexander Thiele ist der frühe Vorstoß der Abgeordneten keine gute Idee. Thiele ist Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der "Business and Law School" in Berlin. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt er: "Es gelten strenge Maßstäbe für ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht – von außen lässt sich ein möglicher Erfolg schlecht abschätzen."

Was für ein erfolgreiches Verfahren nämlich sichergestellt werden müsse: Die Aussagen, die einzelne Parteimitglieder und ihre Anhängerschaft tätigen, müssen der Partei zugeordnet werden können. "In jeder Partei dürfen Spinner sein, ohne dass die Partei verboten werden muss", sagt Thiele.

Bedeutet im Umkehrschluss: Für ein Verbotsverfahren müssen Juristen zahlreiche Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Landesämter wälzen und bei jedem Statement die Zurechnung zur Partei belegen. Wichtig sei hierbei außerdem: Mögliche V-Leute des Verfassungsschutzes – sollte es welche im Umfeld der Partei geben – dürften mit den getätigten Aussagen nichts zu tun haben. V-Leute sind Vertrauenspersonen, die mit dem Verfassungsschutz kooperieren und ihm Informationen liefern.

Rechte und rechtsextreme Aussagen reichen nicht aus

All das dauert. Womöglich würde es bis zur Bundestagswahl 2025 dauern, bis der Antrag in Karlsruhe eingereicht werden könnte – bis zum Urteil der Verfassungsrichter würde ebenfalls Zeit ins Land ziehen.

Laut Informationen des "Spiegel" hat die Parlamentariergruppe um den CDU-Politiker Marco Wanderwitz in den vergangenen Monaten Belege gesammelt. Auf das Material des Verfassungsschutzes dürfte sie allerdings keinen Zugriff gehabt haben. Ein Sprecher des Innenministeriums machte deutlich, dass es bislang keinen Austausch gegeben habe.

Der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg fügt im Gespräch mit unserer Redaktion eine weitere Hürde hinzu: Selbst, wenn der Partei nachgewiesen werden könnte, verfassungswidrige Aussagen zu treffen, müsste sie für ein Verbot aktiv an einer Abschaffung der Verfassung arbeiten.

Das bedeutet: Umstürzlerische Handlungen, Aufstände oder Einschüchterungstaktiken müssten im direkten Zusammenhang mit der Partei stehen.

Treffen, bei denen AfD-Hinterbänkler millionenfache Abschiebungen von Menschen mit Migrationsgeschichte planen, dürften aus Sicht von Boehme-Neßler nicht ausreichen. "Die Partei müsste von der Programmatik her darauf ausgerichtet sein, Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat abschaffen zu wollen. Solange Parteien nicht gefährlich werden und durch aktives Handeln den Staat destabilisieren, müssen wir sie ertragen." Aufgabe der Politik sei es, diese Parteien und Akteure politisch zu stellen. Grundsätzlich gehe die Verfassung nämlich davon aus, dass Demokratie bedeutet, mit allen zu reden. "Es handelt sich um einen geistigen Wettkampf."

AfD nutzt in Thüringen Lücken des Rechtsstaates

In Thüringen hat die AfD bereits eindrücklich gezeigt, wie sie mit der Macht, die sie durch den Wählerwillen übertragen bekommt, Chaos herbeiführen kann. Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) hat seine Position ausgenutzt und weder die Beschlussfähigkeit des Parlaments festgestellt, noch die Abgeordneten über die Tagesordnung abstimmen lassen. Am Ende musste das Thüringer Verfassungsgericht angerufen werden.

Mit umstürzlerischen Handlungen hat der Auftritt aus Sicht von Boehme-Neßler aber nichts zu tun. Auch Thiele nennt den Vorfall ein Schauspiel. Die AfD nutze bewusst Lücken, die der Rechtsstaat lasse. Denn oft handle es sich dabei um Normen, um Verständigungen der Parteien auf einen politischen Konsens, wie man sich zu verhalten habe. Beikommen könnte man dem rechtlich nur schwer. Was aber helfen könnte, seien partiell angepasste Geschäftsordnungen, die die Sitzungen anders strukturieren.

Debatte könnte Demokratie-Skepsis steigern

Die beiden Rechtsexperten sind sich einig: Jetzt im Bundestag über die Beantragung eines AfD-Verbotsverfahrens zu streiten, ist nicht sinnvoll. Alexander Thiele sagt dazu: "Erst müsste geprüft werden, wie die rechtlichen Erfolgsaussichten aussehen." Thiele schlägt hierfür eine enge Zusammenarbeit von Justiz- und Innenministerium und den Bundesländern vor. So könnten bereits vor der politischen Debatte Belege gesammelt werden.

Aus Sicht von Boehme-Neßler ist die aktuelle Debatte irreführend – sie könnte sogar schaden. "Das könnte den Demokratieverdruss, den es ohnehin schon mancherorts gibt, verstärken." Er sieht das Potenzial, dass sich die Gesellschaft an dieser Debatte weiter spalten könnte. "Wir sprechen von einer Partei, die bei den letzten Wahlen stärkste und zweitstärkste Kraft wurde. Die einfach zu verbieten – und dann auch noch auf Bestreben der Konkurrenz, könnte von Wählern so aufgefasst werden, dass man bestraft wird, wenn man falsch wählt."

Verwendete Quellen:

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