Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist vor der Wahl "all in" gegangen: Entweder die SPD gewinnt, oder er ist weg. Ein Plan, der aufging, doch nur denkbar knapp. Die AfD hat trotzdem Grund zu feiern – und tut das auch.

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Der Biergarten des Gasthauses im Potsdamer Vorort Marquardt ist blau erleuchtet. Neben Stimmengewirr ist von gegenüber Lärm einer Demonstration zu hören. Pfiffe, Schreie, Sprechchöre. Zwischen Demo und Biergarten ein großes Polizeiaufgebot. Alarmbereitschaft. Am Absperrzaun hängen Banner, die ebenfalls in Blau gehalten sind. Ein roter Pfeil zeigt nach oben. AfD prangt darauf. Es ist die Wahlparty der Alternativen für Deutschland in Brandenburg.

Mit Aperol Spritz, Bier, Schnitzel und gefüllten Eiern wollen Landesverband und Bundespartei ihren Wahlerfolg feiern. Anwesend auch eine Vielzahl parteifreundlicher Streamer. Die Partei hat ihre eigenen Wege, Anliegen in die Welt zu tragen.

Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt stellt bereits vor den ersten Hochrechnungen klar: "Egal, wie es am Ende ausgehen wird, die Gewinnerin ist die AfD." Die Begründung: Die Partei habe alle anderen mit dem Thema Migration getrieben. Der Landesverband der AfD Brandenburg gilt als rechtsextremer Verdachtsfall, Berndt als gesichert rechtsextrem.

Tatsächlich war Migration eins der bestimmenden Themen bei dieser Landtagswahl. Ebenso wie bezahlbarer Mietraum, Inflation und Pflegenotstand, das ist das Ergebnis einer Insa-Umfrage im Auftrag der "Märkische Allgemeine Zeitung". Spätestens seit dem Anschlag in Solingen Ende August haben die Themen Migration und Abschiebungen Konjunktur.

Am Ende ist es knapp. Die AfD liegt nur 1,7 Prozentpunkte hinter der regierenden SPD. Gefeiert wird trotzdem.

Taktische Wahl beschert Woidke den Sieg

In den Umfragen vor der Wahl sah das lange anders aus. Der amtierende Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte im Vorfeld gepokert. Seine Ansage: Liegt seine SPD hinter der AfD, werde er nicht erneut als Landesvater zur Verfügung stehen. Sein Schachzug ging auf. Wohl auch, weil viele Brandenburger taktisch gewählt haben, um einen Sieg der AfD zu verhindern.

Selbst der sächsische Ministerpräsident, CDU-Mann Michael Kretschmer, hatte sich für Woidke, statt seinen Parteifreund Jan Redmann ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag mit 74 Prozent mehr als zehn Prozentpunkte höher als 2019, viele Menschen haben per Briefwahl abgestimmt. Ein Punkt, der auf der Wahlparty der AfD für Skepsis sorgt. Zu fälschungsanfällig, der Vorwurf.

Abschiebefantasien auf der Wahlparty

Was das Wahlergebnis für die AfD bedeutet, fasst der Vorsitzende Tino Chrupalla in seiner Rede zusammen: "Die nächsten Wahlen kommen und dann stehen wir ganz vorn." Der Bass beginnt zu wummern. Auf Beat und Melodie von "Das geht ab", von den Atzen tanzen und grölen die Anhänger zu "Ey das geht ab, wir schieben sie alle ab." Von der anderen Straßenseite tönt: "Ganz Potsdam hasst die AfD."

Tatsächlich fährt die Partei in Potsdam mit 10,7 Prozent ihr schwächstes Ergebnis in Brandenburg ein. Trotzdem: Gerade bei jungen Wählenden ist die selbsternannte Alternative gut angekommen, wie schon bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen. 31 Prozent der Erstwählenden haben sich für die selbsternannte Alternative entschieden.

Der Wahlsieg von Dietmar Woidke liegt laut "rbb" vor allem an der Gruppe der Rentner. Hier hat jeder zweite Senior für den Landesvater gestimmt. Bei den Erstwählenden hingegen waren es gerade einmal 18 Prozent.

SPD vor schwieriger Regierungsbildung

Auf der Wahlparty der Genossen ist die Stimmung an diesem Abend entspannt. Das Ergebnis tue gut, gerade auch jenen, die einen intensiven Wahlkampf geführt haben, sagt eine Sozialdemokratin. Zu Jazzmusik feiert die Partei im Innenhof der Gaumen Arche in Potsdam. Der Hof ist in ein warmes Rot getaucht. Die Menschen stehen in Gruppen, unterhalten sich, sie wirken erleichtert, hoffnungsvoll. Wirklich freuen wolle man sich erst, wenn das Ergebnis fix ist.

Woidke selbst lässt sich nach der Verkündung der ersten Hochrechnungen mit den Worten "wie so oft in der Geschichte" seien es Sozialdemokraten, "die Extremisten von ihrem Weg zur Macht gestoppt haben" feiern. Brandenburgs SPD-Generalsekretär David Kolesnyk zeigt sich kurz nach der Wahl in einem Interview mit dem Deutschlandfunk demütig. Knapp 30 Prozent für die AfD bei einer solch hohen Wahlbeteiligung sei ein extremer Wert, stellt er klar. Für den Sieg der Sozialdemokratie habe eine Mischung aus Furcht vor dem Extremen und der Person Woidke geführt.

Nun gehe es darum, mit allen demokratischen Parteien zu sprechen und für eine stabile Mehrheitsregierung für Brandenburg zu sorgen. Doch welche Optionen hat die SPD? Die Weiterführung einer sogenannten Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen ist vom Tisch, die Grünen haben den Einzug in den Landtag verpasst und auch das erhoffte Direktmandat nicht ergattert.

Für eine Große Koalition aus SPD und CDU reicht es rechnerisch nicht. Ein Bündnis aus SPD und BSW würde auf eine knappe Mehrheit kommen, eine Koalition aus SPD, CDU und BSW auf eine stabile.

Woidke erklärte nach der Wahl zunächst mit der CDU sprechen zu wollen – dann müsse man weiterschauen. Bereits im Vorfeld der Wahl nannte Woidke das BSW beim "Tagesspiegel" eine "Blackbox", von der man abwarten müsse, ob sie überhaupt zu Gesprächen bereit sei. Klar ist aber auch: Ohne BSW reicht es für Woidke nicht.

Bereits an diesem Abend in Potsdam wird deutlich, wie in Sachsen und Thüringen dürfte die Regierungsbildung auch in Brandenburg schwierig werden.

Verwendete Quellen

Woidke: "Haben Extremisten auf ihrem Weg zur Macht gestoppt"

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat seine Partei bei der Landtagswahl in Brandenburg zum Sieg geführt. "Es scheint so zu sein, dass es wiederum, wie schon so oft in der Geschichte, Sozialdemokraten waren, die Extremisten auf ihrem Weg zur Macht gestoppt haben", sagte er mit Blick auf die zweitplatzierte AfD.
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