In Deutschland gehen Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Bundesinnenministerin Nancy Faeser will das Momentum nutzen und stärker gegen Verfassungsfeinde vorgehen. Sorgen bereiten aktuelle Zahlen.

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Nancy Faeser ist hoffnungsvoll gestimmt. "Dass so viele Menschen gegen Hass auf die Straße gehen, ist Ermutigung und Auftrag zugleich für mich", sagt die Bundesinnenministerin. Worauf die SPD-Politikerin anspielt: Die Hunderttausenden, die in den vergangenen Wochen in Deutschland gegen Rechtsextremismus demonstriert haben. "Wir müssen uns als wehrhafte Demokratie den Extremisten entgegenstellen", sagt Faeser.

Und darum geht es an diesem Dienstagmittag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Auf dem Podium neben Faeser sitzen Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts (BKA). Was sie verkünden: "Aktuelle Maßnahmen im Kampf gegen Rechtsextremismus."

Statistik: Rechte Gewalt erreicht Höchststand

Fakt ist: Politik und Sicherheitsbehörden sind alarmiert. Nicht erst seit dem Rechtsextremen-Treffen in Potsdam Ende vergangenen Jahres, das das Recherchenetzwerk "Correctiv" enthüllt hat und das als Auslöser für die aktuellen Proteste auf Deutschlands Straßen gilt. Allein im vergangenen Jahr gab es zudem "über 20.000 Straftaten von rechts", wie die Innenministerin sagt. BKA-Chef Münch geht davon aus, dass es 2023 – noch liegen die finalen Zahlen nicht vor – einen neuen Höchststand an rechtsextremen Straftaten gegeben hat.

Hinzu kommt: Gewaltorientierte Rechtsextreme arbeiten mit Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene zusammen, wie Verfassungsschutzpräsident Haldenwang anmerkt. Dies sei "beunruhigend". Gemeint sind damit die Verbindungen der AfD ins rechtsextreme Milieu.

Zu dem gehören längst nicht mehr nur Neonazis. Sorgen bereitet die sogenannte Neue Rechte, die breit aufgestellt ist: Sie reicht vom rechtsextremen Magazin Compact über das Institut für Staatspolitik bis hin zu aktionsorientierten Gruppen wie der Identitären Bewegung oder Ein Prozent. Und natürlich die Junge Alternative (JA), der Jugendverband der AfD.

"Wir wollen diese rechtsextremistischen Netzwerke zerschlagen", sagt Innenministerin Faeser. Sie setzt dabei auf konsequentes Vorgehen des Staates. Heißt: Rechtsextremen die Einnahmen, ihre Logistik und im Zweifel auch die Waffen entziehen. Ein Großteil der vom Bundesinnenministerium dafür aufgelisteten Vorhaben ist allerdings bereits bekannt und teils auch schon beschlossen. Insgesamt dreizehn Vorhaben wurden noch einmal konkretisiert – darunter auch Neues. Dazu gehören unter anderem:

  • Das Bundesverfassungsgericht schützen: Die Bundesinnenministerin spricht sich dafür aus, das Bundesverfassungsgericht besser vor der Einflussnahme durch Demokratiefeinde zu schützen. Dazu müsste das Grundgesetz geändert werden. So könnte verhindert werden, dass etwa neue Senate geschaffen werden, um dann möglicherweise politische Prozesse zu führen. Auch unter Juristen wird dies bereits diskutiert, dabei geht es aber vor allem um die Besetzung von Richterstellen.
  • Ein- und Ausreisen von Rechtsextremisten verhindern: Der Fall des Österreichers Martin Sellner hat gezeigt: Es ist mitunter komplex, Rechtsextremisten die Einreise nach Deutschland zu verwehren. Das will das Innenministerium ändern. "Rechtsextremistischer Hass darf weder nach Deutschland importiert noch aus Deutschland heraus exportiert werden", heißt es im Papier des Ministeriums. Daher arbeite das BMI "gemeinsam mit den betroffenen Behörden daran, Ein- und Ausreisen von Rechtsextremisten so weit wie möglich zu verhindern".
  • Eine Verschärfung des Waffenrechts: Darauf dringt die SPD-Politikerin schon länger. Ziel ist es, Rechtsextremisten konsequenter entwaffnen zu können. Bislang sperrt sich die FDP, die argumentiert, dass das aktuelle Recht ausreichend sei. Es müsse nur entsprechend angewendet werden. In Berlin sagte Faeser am Dienstag, dass es innerhalb der Koalition gute Gespräche gebe und sie optimistisch sei, eine Einigung zu erzielen.

Seit zwei Jahren gibt es den "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus"

Außerdem sollen Nachforschungen zu Geldquellen rechter Netzwerke einfacher werden. Lokale Polizei- und Ordnungsbehörden wie die Gewerbe- und Gaststättenaufsicht sollen – basierend auf Informationen des Verfassungsschutzes – möglichst rechtsextremistische Veranstaltungen untersagen. Die neuen Vorhaben fußen auf dem "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus", den Faeser im März 2022 vorgestellt hatte. Ein Teil von ihnen ist in dem Vorgängerpapier bereits enthalten, etwa die Pläne zur Verschärfung des Waffenrechts.

In Berlin mahnt Verfassungsschutzpräsident Haldenwang, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht nur auf Gewaltbereitschaft abzielen dürfe. Es gebe auch "verbale Grenzverschiebungen". Dazu gehörten Begriffe wie "Remigration", ein anderes Wort für massenhafte Abschiebung, oder "Ethnopluralismus" – also die Vorstellung, dass jedes Volk sein eigenes Land hat und Austausch nicht erwünscht ist. "Das ist im Ergebnis nichts anderes als kaschierter purer Rassismus", sagt Haldenwang, der – übrigens selbst CDU-Mitglied – davor warnt, dass diese Agenda in die bürgerliche Mitte getragen werde. "Wir müssen aufpassen, dass sich diese Denk- und Sprachmuster bei uns nicht einschleichen."

"Das Internet bleibt ein Implusgeber für die Radikalisierung"

Holger Münch, Chef des Bundeskriminalamts (BKA)

Daran arbeite die Neue Rechte. Es ist die Grenzverschiebung des Diskurses. Und auf Worte folgen oft Taten.

BKA-Chef Münch stellt fest, dass die Gewaltbereitschaft in der Szene "nach wie vor hoch" ist. Straftaten von rechts richteten sich vor allem gegen ausländische und als so wahrgenommene Personen, gegen Menschen jüdischen Glaubens und politische Gegner, sagt Münch. Das Internet bleibe ein "Impulsgeber für die Radikalisierung", so der BKA-Chef.

Was dieser Dienstag einmal mehr gezeigt hat: Der Kampf gegen Rechtsextremismus, er hört nie auf.

Verwendete Quellen

  • Pressekonferenz in der Bundespressekonferenz
  • Mit Material der dpa
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