• Spanien will angeblich die Ukraine mit Leopard-2-Panzern deutscher Herstellung unterstützen.
  • Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich einer solchen Lieferung bislang versperrt. Nun gerät die Regierung unter Zugzwang – denn die Spanier brauchen Deutschlands Zustimmung.
  • Experten erklären, wieso das Angebot Spaniens überraschend kommt und was seine Umsetzung bedeuten würde.

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Die Tageszeitung "El País" war die erste, die die brisante Meldung verbreitete: Die spanische Regierung soll erwägen, alte Leopard-Panzer aus deutscher Produktion an die Ukraine zu liefern. Brisant ist das vor allem, weil die Bundesregierung selbst solche Lieferungen ausgeschlossen hat – mit Verweis darauf, dass kein weiterer Nato-Partner solche Panzer liefere. Die Ukraine hatte immer wieder um Leopard-Panzer gebeten.

Auch Politikwissenschaftler Andreas Umland vom Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien sagt: "Das spanische Angebot fällt aus dem bisherigen Modell der Unterstützung mit Kampfpanzern heraus. Bis jetzt hat die Nato nur sowjetische Panzer, vor allem vom Typ T-72, geliefert", erläutert er. Zu einer Übereinkunft in der Nato, nur sowjetisches Gerät zu liefern, gebe es widersprüchliche Angaben.

Gab es eine Nato-Absprache?

Olaf Scholz hatte in der Vergangenheit behauptet, es gäbe eine solche Absprache. "Man hat aber bislang vor allem sowjetisches Gerät geliefert, weil es von den Ukrainern leicht bedient werden kann. Sie kennen dieses Gerät schon", sagt Umland.

Mit den spanischen Leopard-2-Panzern aus deutscher Herstellung würden die ersten modernen westlichen Panzer in die Ukraine gelangen. Es soll sich um 10 bis 15 Panzer handeln. "Es ist überraschend, dass Spanien, was relativ weit weg von den Kriegsschauplätzen ist und bislang nicht durch eine nachhaltige Unterstützung der Ukraine aufgefallen ist, nun einen solchen Gedankensprung macht", kommentiert Publizist und Friedensforscher Erich Schmidt-Eenboom.

Experte: "Absolute Neuerung"

Bislang habe die Ukraine keine Nato-Kampfpanzer, sondern nur gepanzerte Transportfahrzeuge des Typs M113 erhalten. "Die Leopard-Panzer würden eine absolute Neuerung in der Ausstattung der Ukraine bedeuten", meint er.

Dass gerade Spanien vorprescht, könnte innenpolitische Gründe haben. Der ukrainische Botschafter hatte der Regierung unter Pedro Sánchez vorgeworfen, zu wenig Waffen zu liefern. Die Munition, die Madrid geschickt habe, sagte er, reiche gerade einmal für zwei Stunden.

Innenpolitische Motivation

In der spanischen Presse stand Sánchez im Anschluss scharf in der Kritik. Etwas, was er vermeiden will, denn er strebt eine Wiederwahl an. Auf dem Nato-Gipfel im Juni in Madrid will er vor seinen Landsleuten nicht als Bremser dastehen.

Viel Kritik gibt es auch hierzulande: Das, was Deutschland bislang an schweren Waffen geliefert oder angekündigt habe – sieben Panzerhaubitzen, vier Mehrfachraketenwerfer und 15 Flugabwehrkanonenpanzer – sei zahlenmäßig "erbärmlich", befindet Schmidt-Eenboom.

Provokationen vermeiden

"Man will vermeiden, aus Deutschland heraus direkt westliches Gerät zu liefern", beobachtet Umland. Es gebe die Überlegung, nicht zu provozieren und insbesondere keine deutsche Technik zu liefern. "Aber nun ist ein großer Teil der noch vorhandenen sowjetischen Technik mittlerweile bereits in der Ukraine", sagt er.

Wenn man dann noch weiter liefern wolle, stelle sich die Frage, welches Gerät es sein solle. "Spanien hat dabei nicht die historische Belastung wie Deutschland. Deutsche Panzer waren in der Vergangenheit in der Ukraine im Einsatz", erinnert er.

Aufbau des ukrainischen Militärs

Experte Pieter Wezeman hielte eine solche Lieferung allerdings für weniger problematisch: "Größere Bedenken gibt es nur bei der Lieferung von Raketen mit einer solchen Reichweite, dass die Ukraine damit auch Ziele innerhalb Russlands treffen könnte. Das wird als Risiko angesehen, dass Russland weiter eskaliert", sagt der Wissenschaftler vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).

Die Lieferung der Leopard-Panzer scheine einem längerfristigen Aufbau der ukrainischen Streitkräfte mit Nato-Standard-Systemen zu dienen, zusätzlich zum bereits gelieferten Standard aus leichteren Waffen sowie Artillerie. "Das ukrainische Militär hat gezeigt, dass es neue Waffen schnell in seine Strukturen integrieren kann", erklärt Wezeman.

Deutschland muss zustimmen

Spanien nutzt das nun diskutierte Gerät, das es als Teil einer größeren Lieferung von Deutschland erworben hatte, derzeit nicht. Nach Medienangaben sollen die Panzer auf einer Militärbasis im Norden Spaniens lagern. Ihre Instandsetzung würde einige Zeit in Anspruch nehmen.

Umso wichtiger, dass Deutschland schnell grünes Licht erteilt. Die Zustimmung ist nämlich aufgrund der sogenannten Endverbleibserklärung nötig, die Bundesregierung würde also unter Zugzwang geraten. Noch soll aber im zuständigen Bundeswirtschaftsministerium kein offizielles Exportgesuch aus Spanien eingegangen sein. Teilweise heißt es, der Vorgang sei noch nicht einmal regierungsintern abgestimmt.

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Schnelle Entscheidung nötig

"Es wäre für die Ukraine sehr deprimierend, wenn Deutschland die Lieferung verhindert", meint Umland. Er erachtet die Leopard-Panzer als großen Mehrwert für die Ukrainer. "Ein Großteil der militärischen Erfolge der Ukraine ist bereits jetzt darauf zurückzuführen, dass sie mit Panzerabwehrsystemen – auch deutschen – ausgestattet sind", erinnert er. Es handele sich also nur um eine graduelle Veränderung bei der Lieferung.

Auch Schmidt-Eenboom ist der Meinung, Berlin müsse schnell handeln. Scholz hatte angekündigt, ein solcher Antrag müsse "sorgfältig" geprüft werden. "Man muss diesen Antrag nicht lange prüfen", sagt hingegen Schmidt-Eenboom. Wenn man gewillt sei, die ukrainischen Streitkräfte mit schweren Waffen zu unterstützen, könne man schnell entscheiden.

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Signal an Nicht-Atom-Staaten

"Dann kämen die Panzer möglicherweise noch rechtzeitig, bis die russischen Truppen den Donbass eingenommen und sich neuformiert haben, um auf Kiew vorzustoßen", sagt er. Scholz sei ein Getriebener: "Er muss zustimmen", meint der Experte. Auch Wezeman hält schnelles Handeln für wichtig: "Standardkonzepte zur Ausbildung an neuen Waffentypen zählen für ein Land, das um sein Überleben kämpft, nicht", sagt er.

Umland hat einen weiteren Punkt: "Aus den eigenen Sicherheitsinteressen ergibt es Sinn, die Ukraine mit solchen Waffen zu beliefern. Wenn man sie nicht ausreichend unterstützt, könnten andere Staaten ohne Atomwaffen die Schlussfolgerung ziehen, dass sie Atomwaffen anschaffen müssen, um ihre nationale Sicherheit zu garantieren."

Über die Experten:
Dr. Andreas Umland ist Politikwissenschaftler, Publizist und Osteuropa-Experte. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (UI).
Erich Schmidt-Eenboom ist Publizist und Friedensforscher mit einem Arbeitsschwerpunkt auf Nachrichtendiensten. Er ist Vorsitzender des Forschungsinstituts für Friedenspolitik.
Pieter D. Wezeman ist Wissenschaftler am Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). Zu seinen Arbeitsgebieten zählen die globale Produktion und -Lieferung von Waffen und Militärtechnologie.

Verwendete Quellen:

  • El Pais: España, dispuesta a entregar a Ucrania misiles antiaéreos y carros de combate Leopard. (05.06.2022)
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