Ohne westliche Hilfe kann die Ukraine dem russischen Angriffskrieg auf Dauer nicht standhalten. Das zeigt der Fall Awdijiwkas eindrücklich. Kritik am Kongress kommt auch von US-Präsident Joe Biden. Die Lage im Überblick.

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US-Präsident Joe Biden hat nach dem Rückzug ukrainischer Truppen aus der Stadt Awdijiwka die Untätigkeit des Kongresses für den Rückschlag verantwortlich gemacht.

"Heute Morgen war das ukrainische Militär gezwungen, sich aus Awdijiwka zurückzuziehen, nachdem die ukrainischen Soldaten aufgrund der Untätigkeit des Kongresses ihre Munition rationieren mussten, was zu den ersten nennenswerten Gewinnen Russlands seit Monaten führte", teilte das Weiße Haus am Samstag nach einem Telefonat zwischen Biden und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit. Biden sicherte Selenskyj demnach abermals die Unterstützung der USA zu und betonte, dass der Kongress dringend ein neues Hilfspaket für die Ukraine genehmigen müsse.

Langes Diskutieren um weitere Hilfen für die Ukraine

Mit dem Senat hatte zwar jüngst eine der beiden Kammern des US-Kongresses nach langen Verzögerungen Pläne für neue Ukraine-Hilfen im Wert von rund 60 Milliarden US-Dollar (knapp 56 Milliarden Euro) zugestimmt. Die Zustimmung des Repräsentantenhauses gilt aber weiterhin als offen, weil dort die Republikaner eine knappe Mehrheit haben. Abgeordnete vom rechten Rand der Partei stemmen sich gegen weitere US-Hilfen für die Ukraine. Das setzt den republikanischen Vorsitzenden der Kammer, Mike Johnson, unter Druck. Er will deswegen gar nicht erst über das Paket abstimmen lassen. Ein Votum ist zwar theoretisch dennoch möglich - aber ein kompliziertes und langwieriges Verfahren wäre notwendig.

Der Demokrat Biden ruft den Kongress immer wieder zum Handeln auf - mit mäßigem Erfolg. Das Weiße Haus hatte zuletzt vor dem Fall von Awdijiwka gewarnt und den Kongress hierfür in die Verantwortung genommen. Der Abzug aus der monatelang umkämpften Stadt im Osten der Ukraine ist für die ukrainische Armee ein weiterer Rückschlag in ihrem Abwehrkampf gegen Russland.

Biden äußerte sich am Samstagnachmittag nach einem Kirchgang im US-Bundesstaat Delaware zur Lage in der Ukraine. Dabei machte der 81-Jährige deutlich, dass es sein könnte, dass die russischen Besatzer noch weitere Städte erobern. "Es steht so viel auf dem Spiel", betonte Biden. Die Vorstellung, dass der ukrainischen Armee jetzt die Munition ausgehe, sei "absurd" und "unethisch".

Stoltenberg: Schon jetzt weniger Munition für Ukraine wegen US-Streits

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte, dass der innenpolitische Streit in den USA den Munitionsmangel in der Ukraine noch verstärke. Details könne er nicht nennen, aber es sei gewiss, dass es beispielsweise Rückgänge bei der Belieferung des Landes mit Standardmunition und bestimmten Typen von Luftverteidigungsgütern gegeben habe, sagte der Norweger am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.

"Da die Situation auf dem Schlachtfeld so schwierig ist, können selbst kleine Reduzierungen große Auswirkungen haben", fügte er hinzu. Er forderte den Kongress in den USA auf, schnell eine Entscheidung über neue Militärhilfen für die Ukraine zu treffen.

Putin gratuliert Russlands Armee

In Moskau ist derweil die Genugtuung groß. Russlands Präsident Wladimir Putin beglückwünschte die von ihm in den Krieg geschickte Armee zur Eroberung Awdijiwkas. "Der Präsident hat unseren Soldaten und Kämpfern zu einem so wichtigen Sieg und einem solchen Erfolg gratuliert", wurde Kremlsprecher Dmitri Peskow von der Agentur Interfax zitiert.

Die Streitkräfte Russlands und der Ukraine teilten mit, dass die jeweils andere Seite innerhalb der vergangenen 24 Stunden rund 1.500 Soldaten verloren habe. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben nicht.

Am frühen Samstagmorgen hatte der neue Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj mitgeteilt, dass die eigenen Einheiten nach den monatelangen schweren Kämpfen aus Awdijiwka abgezogen und auf günstigere Verteidigungslinien verlegt worden seien. So sollte eine Einkreisung vermieden und das Leben der Soldaten geschützt werden, erklärte Syrskyj. Zugleich versprach er, dass die Stadt mit ihren einst etwa 30.000 Einwohnern zu einem späteren Zeitpunkt wieder aus russischer Besatzung befreit werde.

Ukrainischer Außenminister hofft auf Taurus-Lieferung

Die ukrainische Regierung geht nach eigenen Angaben davon aus, dass die Bundesregierung sich doch noch für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an das vor fast zwei Jahren von Russland angegriffene Land entscheiden wird. "Die Tatsache, dass Sie kein klares Nein hören, ist schon eine Antwort an sich", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz vor Journalisten. "Wir vertrauen immer darauf, dass solche Probleme irgendwann gelöst werden, denn das hat uns das Leben in den letzten zwei Jahren gelehrt."

Im Oktober hatte Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, dass Deutschland vorerst keine Taurus liefern werde. Dahinter steckt die Befürchtungen, dass die Raketen russisches Territorium treffen könnten. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wich Scholz der Frage aus, ob er sie vielleicht doch noch freigeben will. Er versicherte in einem Interview nach seiner Rede lediglich, dass Deutschland immer genug tun werde, um die Ukraine zu unterstützen.

Was heute wichtig wird

Auch nach dem Rückzug der ukrainischen Armee aus Awdijiwka dauern die Kämpfe im Osten und Süden des Landes an. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hofft die Ukraine zudem weiter auf eine deutsche Zusage für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. (dpa/sbi)

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