Der Absturz des Privatjets von Wagner-Chef Prigoschin genau zwei Monate nach seinem Aufstand kommt der Machtelite in Russland gut zupass. Präsident Putin könnte dadurch sogar an Ansehen gewinnen. Eine Expertin ist sich sicher, dass Prigoschins Tod eine Lehre sein soll. Es gibt aber auch Vermutungen, der Söldner-Chef habe sich abgesetzt.

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Fast 24 Stunden nach dem Absturz des Privatjets von Söldnerchef Jewgeni Prigoschin ließ Kremlchef Wladimir Putin auf seine Reaktion warten. Erste Daten deuteten darauf hin, dass an Bord der Maschine Leute von Prigoschins Wagner-Armee gewesen seien, sagte er nun in einem vom Kreml am Donnerstagabend veröffentlichten Video. Prigoschin, den er seit den 1990ern kannte, sei ein Mensch mit "schweren Fehlern" und "hartem Schicksal" gewesen, aber auch ein "talentierter Geschäftsmann", der Ergebnisse geliefert habe, sagte Putin würdigend. Wagners Verdienste im Krieg in der Ukraine seien unvergessen. Zwar betonte Putin, dass die Untersuchungsergebnisse abzuwarten blieben, er sprach den Angehörigen aber sein Beileid aus. "Das ist immer eine Tragödie."

Zuvor hatte Putin sichtlich unbeeindruckt vom Absturz seine politischen Termine durchgezogen. Als sich die Meldungen vom Tod des Anführers der Privatarmee Wagner im Gebiet Twer überschlugen, gedachte er am Mittwochabend im Gebiet Kursk stolz der siegreichen Schlacht vor 80 Jahren während des Zweiten Weltkriegs. Am Donnerstag nahm der 70-Jährige per Video am Brics-Gipfel in Johannesburg teil. Und während alle Welt rätselte, wer oder was die Embraer 600 zum Absturz brachte, und sich die Augen der internationalen Gemeinschaft auf Putin richten, schwieg der Kreml eine gefühlte Ewigkeit.

Offiziell bestätigt ist der Tod Prigoschins und seiner Wagner-Führungsriege, darunter der Kommandeur Dmitri Utkin, damit weiter nicht. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung mit Gen-Analysen soll klären, ob die auf einer Passagierliste der Luftfahrtbehörde Rosawiazija zehn veröffentlichen Namen mit den am Boden gefundenen Überresten der Menschen übereinstimmen. Ermittler untersuchen, ob womöglich ein Sprengsatz an Bord die Maschine zum Absturz brachte oder ob gegen Sicherheitsregeln verstoßen wurde.

Wenig Trauer in der russischen Macht-Elite

Hoch im Machtapparat aber trauert niemand öffentlich der Wagner-Führungsriege nach, der Russland in dem Angriffskrieg gegen die Ukraine auch Kampferfolge zu verdanken hat. Schon lange gilt der Wagner-Chef trotz seiner engen Verbindungen zu Putin der Elite als Ärgernis, weil er "Speichelleckerei", "Korruption" und "Duckmäusertum" im Machtapparat anprangerte. Vor allem der Militärführung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow warf er öffentlich Versagen vor, in dem von russischen Niederlagen überschatteten Krieg.

Dem Kreml komme Prigoschins Tod durchaus gelegen, hieß es in vielen russischen Kommentaren. Feinde hatte Prigoschin viele - in Russland und international. Der Todesgefahr war sich der Geschäftsmann stets bewusst, der in Syrien und vor allem in afrikanischen Staaten in Konflikten mitmischte und zu Reichtum kam.

Expertin: Priogoschins Tod soll eine Lehre sein

Der Kreml werde nun kaum etwas unternehmen gegen das entstandene "Bild, dass es sich um einen Akt der Vergeltung" handelt, meint die Politologin Tatjana Stanowaja. Damit werde einmal mehr gezeigt, wie mit Verrätern umgegangen werde in Russland. "Der Tod Prigoschins soll eine Lehre für alle potenziellen Nacheiferer sein", schrieb sie bei Telegram auch mit Blick auf den Aufstand des Wagner-Chefs vor genau zwei Monaten gegen Moskaus Militärführung.

Prigoschin, der am Ende als Verräter galt, hat sich zwar nach der Revolte noch mit Putin im Kreml getroffen und beteuert, er strebe keinen Machtwechsel an. Aber das Vertrauen war da längst zerstört. Putin sprach am Tag des Aufstands von einem "Stoß in den Rücken". Der frühere Geheimdienstchef, dem oft Methoden wie in Mafiakreisen nachgesagt werden, vergisst solch eine öffentliche Bloßstellung nie.

Stanowaja meint, Putin habe zuletzt keinen Nutzen mehr gesehen in Prigoschin. Die Expertin erwartet, dass Russland seine Interessen etwa in Afrika auch ohne den dort einflussreichen Strippenzieher wahrnehmen kann. Putin selbst hatte bei dem Treffen im Kreml auch vorgeschlagen, dass der Wagner-Mitbegründer Andrej Troschew, ein Held Russlands, die Armee übernehmen könnte. Prigoschin lehnte das ab. Der 61-jährige Troschew dürfte nun im Spiel sein.

Und Putin geht damit wohl als vorläufiger Sieger aus dem Machtkampf hervor, nachdem ihm im Zuge des Putschversuchs noch Schwäche attestiert wurde. Übel nahmen ihm auch viele Russen, dass er die Wagner-Aufständischen ungestraft laufen ließ, obwohl sie etwa sechs Hubschrauber und ein Flugzeug abschossen und hoch angesehene russische Piloten töteten. Einige dürften den Absturz des Wagner-Jets als eine Wiederherstellung der Gerechtigkeit auffassen.

Putin könnte an Ansehen gewinnen

Putin hat in der Wahrnehmung der Elite schon oft wieder an Ansehen gewonnen, wenn er sich rigoros seiner Gegner entledigte. Viele, die seine Macht infrage stellten, haben das mit dem Leben bezahlt oder sitzen wie der Kremlgegner Alexej Nawalny jahrelang in Haft. Aber auch Putins Vertraute wie der Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Gerassimow dürften jetzt erleichtert sein, dass einer ihrer schärfsten Kritiker von der Bildfläche verschwunden ist. Sie hatten zuletzt zahlreiche Generäle, die als Verbündete Prigoschins galten, aus dem Weg geräumt.

Öffentlich hinterfragen wird die Machenschaften des Kremls in Russland niemand, weil auch die Medien weitgehend unter staatlicher Kontrolle stehen. Für das Staatsfernsehen, das immer wieder über Flugzeugabstürze im größten Land der Erde berichten muss, kam die Nachricht erst vergleichsweise weit hinten - nach der Lage in den russischen Überschwemmungsgebieten und hinter Putins Terminen.

Neue Identität Prigoschins: Deal mit Putin?

Viele Russen glauben indes auch angesichts fehlender Beweise für Prigoschins Tod, dass sich der Wagner-Chef womöglich in einem Deal mit Putin nun einen Abgang verschafft haben könnte, um unter neuer Identität woanders zu leben. Hinweise darauf gibt es aber nicht.

Vielmehr äußerte der Politologe und frühere Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow, die Meinung, dass der Kremlchef durch die Tötung seines früheren Vertrauten vor allem weiter Angst säe. Erstmals sei ein Patriot und Quasi-Vertreter des Systems Putin aus dem Weg geräumt worden, der öffentlich die Wahrheit gesagt habe. Damit wolle Putin zwar Stärke beweisen, in den Augen der öffentlichen Meinung aber stehe er als Schwächling da. "Ein Mord im Schutze der Nacht schmückt einen Herrscher nicht. Es entsteht vielmehr ein unangenehmer Geruch der Heimtücke und Feigheit." (dpa/cgo)

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