Seit mehreren Tagen schon führt die Ukraine auf russischem Boden eine Offensive durch. Wie ist der Stand der Dinge und warum ist ausgerechnet die Stadt Sudscha so wichtig? Ein Überblick über die Lage.

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Die Ukraine hat in der vergangenen Woche überraschend einen Vorstoß in russisches Grenzgebiet unternommen. Seitdem halten die Kämpfe in der westrussischen Region Kursk an, mehrere Dutzend Ortschaften wurden von ukrainischen Soldaten eingenommen. Es ist die größte grenzüberschreitende Offensive der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs und die erste einer ausländischen Armee auf russischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein Überblick:

Wie startete die Offensive?

Nach Angaben des russischen Generalstabschefs Waleri Gerassimow startete der ukrainische Angriff am Dienstag, 6. August, kurz nach Sonnenaufgang. Bis zu tausend Soldaten drangen mit mindestens elf Panzern und mehr als 20 gepanzerten Fahrzeugen laut Schilderungen aus Moskau in die westrussische Grenzregion Kursk ein. Rund eine Stunde nach Beginn des Angriffs teilte der Gouverneur der Region Kursk, Alexej Smirnow, im Onlinedienst Telegram Bilder von zerstörten Häusern in der russischen Grenzstadt Sudscha. Seinen Angaben zufolge wurde die Stadt beschossen, auch mehrere Menschen sind demnach verletzt worden.

Das russische Verteidigungsministerium meldete sich erst mehr als elf Stunden nach Beginn des Angriffs zu Wort und erklärte, ukrainische Streitkräfte seien in die Region eingedrungen. Weiter hieß es, die russische Armee wehre die Angriffe ab und füge den ukrainischen Einheiten Schaden zu.

Nach Angaben eines ukrainischen Sicherheitsverantwortlichen waren an dem Angriff "tausende" ukrainische Soldaten beteiligt. Einer der Soldaten sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die Grenze zu Russland "nicht geschützt" gewesen sei. "Sie hatten nur Anti-Personen-Minen, die um die Bäume am Straßenrand verstreut waren, und einige Minen, die sie schnell entlang der Autobahnen verteilen konnten."

Wie ist die aktuelle Lage in der Region Kursk?

Nach Angaben des Gouverneurs von Kursk sind bislang mindestens zwölf Menschen bei Gefechten und Luftangriffen getötet worden, weitere 121 wurden demnach verletzt. Bis Montag wurden örtlichen Angaben zufolge 121.000 Menschen aus der Region in Sicherheit gebracht. Auch Teile der angrenzenden Region Belgorod wurden evakuiert. Zudem wurden Rettungskräfte in das betroffene Gebiet verlegt, auch zusätzliche Züge nach Moskau wurden eingerichtet, um flüchtende Menschen in Sicherheit zu bringen.

Ein lokaler russischer Fernsehsender veröffentlichte Bilder aus dem Zentrum von Sudscha, auf denen zerstörte Gebäude, über die Straßen verstreute Trümmer und große Krater im Boden zu sehen sind. Mehrere russische Medien verbreiteten ein Video, das angeblich Bewohner zeigt, die aus der Stadt geflohen sind und den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe bitten.

Warum ist die Stadt Sudscha so wichtig?

Die Kleinstadt Sudscha mit ihren rund 5.500 Bewohnern beherbergt die letzte Übergabestation für russisches Gas, das über die Ukraine nach Europa gelangt. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenplattform RBC Ukraine über diesen Transitpunkt rund 14,65 Milliarden Kubikmeter Gas - und damit knapp die Hälfte aller russischen Gasexporte nach Europa - transportiert.

Obwohl Europa nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs seine russischen Gasimporte drastisch reduziert hat, liefert Russland im Rahmen eines Fünfjahresvertrags mit der Ukraine weiterhin Gas über Sudscha. Kiew will den Vertrag nach dessen Auslaufen Ende des Jahres nicht mehr erneuern.

Wie weit ist die Ukraine bislang vorgerückt?

Nach einer Auswertung der Nachrichtenagentur AFP unter Berücksichtigung von Informationen des Washingtoner Instituts für Kriegsstudien (ISW) ist die ukrainische Armee bis Montagabend bis zu 800 Quadratkilometer in der Region Kursk vorgerückt. Indes erklärte der ukrainische Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj am Montag, Kiew kontrolliere rund 1.000 Quadratkilometer des Gebiets.

Russland erklärte am Sonntag, dass die ukrainischen Streitkräfte bis zu 30 Kilometer hinter die Grenze vorgedrungen seien. Mehr als zwei Dutzend Ortschaften wurden laut Gouverneur Smirnow eingenommen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am Montag von 74 Ortschaften, die von der Ukraine kontrolliert würden. Laut dem ISW kontrollieren die ukrainischen Streitkräfte auch den westlichen Teil von Sudscha.

Wie äußert sich Kiew zu der Offensive?

Die Ukraine äußerte sich zunächst nicht zu dem bislang größten Vorstoß auf russisches Gebiet seit Beginn des Krieges im Februar 2022. Präsident Selenskyj sagte am vergangenen Donnerstag zunächst, Russland habe den Krieg in sein Land gebracht und müsse nun "zu spüren" bekommen, was dies bedeute. Am Montag bestätigte er dann die Offensive im russischen Grenzgebiet und erklärte, dadurch solle der Krieg nach Russland "verlagert" werden.

Zudem sollten Gebiete eingenommen werden, von denen aus Russland die ukrainische Grenzregion Sumy angreife. Auch dort waren angesichts der Kämpfe rund 20.000 Zivilisten evakuiert worden. Kiew versicherte, nicht daran interessiert zu sein, die russischen Gebiete "einzunehmen". Durch die Offensive solle Moskau jedoch dazu gebracht werden, einen "gerechten Frieden" zu akzeptieren.

Wie reagiert Russland?

Russlands Präsident Wladimir Putin warf der Ukraine eine "großangelegte Provokation" in der Region Kursk vor und erklärte, die ukrainischen Soldaten versuchten, "Zwietracht" in der russischen Gesellschaft zu säen. Mit der Offensive führe Kiew den "Willen" seiner westlichen Verbündeten aus, sagte der Kremlchef. Er ordnete angesichts der Kämpfe die Entsendung weiterer Truppen und militärischer Ausrüstung an.

Der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, erklärte, Kämpfer eines seiner Bataillone seien in die Region entsendet worden. Moskaus Verbündeter Belarus ordnete seinerseits die Entsendung von Bodentruppen und Luftabwehr an die ukrainische Grenze an. (afp/bearbeitet von mbo)

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