Die Sprengung des Kachowka-Staudamms stellt einen neuen Höhepunkt im Ukraine-Krieg dar. Viele Vertreter westlicher Länder werfen Russland Kriegsverbrechen vor. Moskau dementiert derweil, an der Zerstörung beteiligt gewesen zu sein.

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Die Ukraine und der Westen haben Russland für die Sprengung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine verantwortlich gemacht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf Moskau vor, in dem seit mehr als 15 Monaten dauernden Angriffskrieg gegen das Nachbarland immer stärker zivile Ziele anzugreifen. "Das ist ja auch etwas, das sich einreiht in viele, viele der Verbrechen, die wir in der Ukraine gesehen haben, die von russischen Soldaten ausgegangen sind", sagte der Kanzler am Dienstag bei einem WDR-"Europaforum" in Berlin.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hielt Russland vor, Tausende Zivilisten zu gefährden und schwere Umweltschäden in Kauf zu nehmen. "Dies ist eine ungeheuerliche Tat, die einmal mehr die Brutalität von Russlands Krieg in der Ukraine demonstriert." EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich schockiert über einen "beispiellosen Angriff". Der britische Außenminister James Cleverly sprach von einem "Kriegsverbrechen".

Überflutungen am Flussverlauf Dnipro
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Ukraine fordert Ausschluss Russlands aus UN-Sicherheitsrat

Die Ukraine selbst warf Russland Staatsterrorismus vor. Der ukrainische Sonderbotschafter Anton Korynevych sagte vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, wo eine Klage der Ukraine gegen Moskau läuft: "Russlands Taten sind die eines terroristischen Staates." Der Chef des Präsidentenbüros in Kiew, Andrij Jermak, stufte die Zerstörung des Damms als "größte menschengemachte Katastrophe seit Jahrzehnten" ein und forderte, Russland müsse seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat verlieren. Dort gehört es zu den fünf Vetomächten.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat ebenfalls die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine verurteilt. "Zehntausende Menschen sind in einer desolaten Situation", teilte die für die Region zuständige IKRK-Regionaldirektorin Ariane Baurer mit. "Die Zerstörung von wichtiger Infrastruktur kann ganze Bevölkerungsgruppen in Verzweiflung stürzen und sie zugrunde richten. Das internationale Völkerrecht kann davor schützen, aber nur, wenn Staaten ihre Verpflichtungen einhalten."

Verortung des Kachowka-Staudamms © dpa-infografik GmbH

Auch in Polen wurde Kritik laut. Die Zerstörung des Staudamms sei ein "beispielloser Akt russischer Barbarei". Es wurden neue Sanktionen gegen das Land gefordert. Die Sprengung des Staudamms verstoße gegen Normen des Menschenrechts sowie des Umweltschutzes und trage die "Merkmale eines Kriegsverbrechens", heißt ist in einer am Dienstag vom Außenministerium in Warschau veröffentlichten Erklärung. Polen werde sich dafür einsetzen, dass Russland zur Verantwortung gezogen werde.

Deutsche Reaktionen auf Zerstörung des Kachowka-Staudamms

Nicht nur Kanzler Scholz äußerte sich zu dem Angriff auf den Staudamm. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte: "Für diese menschengemachte Umweltkatastrophe gibt es nur einen Verantwortlichen: der verbrecherische Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Mit dem Kachowka-Damm wird ein ziviler Staudamm in Nähe eines Kernkraftwerks als Kriegswaffe missbraucht und das Leben der Menschen in der Umgebung in höchste Gefahr gebracht."

Baerbock versicherte, dass in der Bundesregierung "mit Hochdruck" an einem genauen Lagebild gearbeitet werde. Dies geschehe in enger Abstimmung mit der Ukraine, den anderen Staaten der Siebener-Gruppe der großen westlichen Industrienationen (G7) und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA).

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hat die Zerstörung des Staudamms in der Südukraine scharf verurteilt. "Dieser Angriff Russlands auf den Kachowka-Stausee ist ein weiteres unvorstellbar grauenhaftes Kriegsverbrechen. Es zeigt einmal mehr, zu welch brutalem Vorgehen Putin bereit ist", teilte die FDP-Politikerin mit, die am Dienstag in New York war. "Es beweist auch: Dieses Regime will niemals verhandeln. Mit Putins Russland wird es keinen Frieden geben."

Russland weist Vorwürfe zurück

Moskau wiederum wies alle Anschuldigungen zurück und beschuldigte ukrainische Truppen, den Staudamm und das angrenzende Wasserkraftwerk in der Stadt Nowa Kachowka beschossen und so zerstört zu haben. "Wir erklären offiziell, dass es sich hier eindeutig um eine vorsätzliche Sabotage der ukrainischen Seite handelt, die auf Befehl (…) des Kiewer Regimes geplant und ausgeführt wurde", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Beweise legte er keine vor. Die Angaben beider Kriegsparteien sind von unabhängiger Seite vielfach kaum zu überprüfen.

In den frühen Morgenstunden waren sowohl der Staudamm als auch das Wasserkraftwerk durch eine Explosion zerstört worden. Die Anlagen halten russische Soldaten seit vergangenem Jahr besetzt. Befürchtet werden nun schwere Überschwemmungen. Nach ukrainischen Angaben sind in der "kritischen Zone" rund um die Anlage etwa 16.000 Menschen zu Hause. Die Flutwelle aus dem Kachowka-Stausee setzte nach Angaben ukrainischer Behörden acht Ortschaften ganz oder teilweise unter Wasser, teilweise auch die Gebietshauptstadt Cherson.

Kiew sieht die Sprengung als Versuch, die geplante ukrainische Offensive gegen den Angriff auszubremsen. Zugleich versicherten die Streitkräfte, sich nicht von der Befreiung besetzter Gebiete abhalten zu lassen. Die Ukraine verfüge über "alle notwendigen Boote und Pontonbrücken, um Wasserhindernisse zu überwinden".

Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) teilte mit, dass derzeit keine unmittelbare Gefahr für das am Kachowka-Stausee gelegene Atomkraftwerk Saporischschja bestehe. In dem von Russland besetzten AKW würden jedoch Maßnahmen zum Weiterbetrieb der Kühlsysteme getroffen, die normalerweise mit dem aufgestauten Wasser gespeist werden. "IAEA-Experten am Atomkraftwerk Saporischschja beobachten die Situation genau", so die Behörde. (dpa/the)

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