Schmähvideos, persönliche Anfeindungen: Das "negative" campaigning hat im deutschen Wahlkampf längst Einzug gehalten. Politikwissenschaftler Uwe Jun erklärt, welche Gefahren sich daraus für den politischen Diskurs ergeben und welche gesellschaftliche Entwicklung wie ein Brandbeschleuniger für negative campaigning wirkt.

Ein Interview

Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern stehen ins Haus – und auch in diesen Wahlkämpfen spielt negative campaigning eine Rolle: Jüngst sorgte ein Wahlwerbespot der SPD für Aufsehen, der eine Zusammenarbeit von CDU und AfD als möglich dargestellt hatte. Ist der Vorfall ein Zeichen dafür, dass Wahlkämpfe hierzulande immer schmutziger werden?

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Uwe Jun: Eine generelle Tendenz würde ich daraus nicht ableiten. Aber aufgrund der Wahlkampfkommunikation im Netz und den sozialen Medien sind manche Hemmungen geringer ausgeprägt, als es früher der Fall war. Negative campaigning gibt es allerdings bereits, seit es Wahlkämpfe gibt. Je nachdem, wie polarisiert ein Wahlkampf ablief, hat dieses politische Instrument eine größere oder kleinere Rolle gespielt.

Um es noch einmal deutlich zu machen: Wo liegt die Grenze zwischen berechtigter und angemessener Kritik und negative campaigning? Im jetzigen Fall wurde der Spot von der CDU als "Schmähvideo" bezeichnet, der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Armin Laschet nannte es "menschlich enttäuschend und unverzeihlich".

Wenn Persönlichkeitsrechte Einzelner diskreditiert oder angegriffen werden, hört angemessene Kritik auf. Auch wenn es zu beleidigend erscheint, ist eine Grenze überschritten. Das sollte man vermeiden.

Jun: "Negative campaigning gibt es, seitdem es Wahlkämpfe gibt"

... aber es kommt trotzdem immer wieder vor?

Ja, wie gesagt: Negative campaigning gibt es, seitdem es Wahlkämpfe gibt. Konrad Adenauer hat in den 1950er-Jahren ein Zeichentrickvideo erstellen lassen, in dem der Eindruck erweckt wurde, die SPD sei eine fünfte Kolonne der Sowjetunion. Die SPD hat wiederum 1998 einen Wahlwerbespot veröffentlicht, in dem Helmut Kohl als völlig veraltete, zukunftsunfähige Persönlichkeit dargestellt wurde. Und im letzten Bundestagswahlkampf hat die SPD einen Spot sogar zurückziehen müssen, in dem der damalige Chef der Staatskanzlei in NRW, Nathanael Liminski, persönlich attackiert wurde.

Er war darin als "erzkatholischer Laschet-Vertrauter, für den Sex vor der Ehe ein Tabu ist" bezeichnet worden. Zieht sowas bei den Wählerinnen und Wählern?

Zum Teil ist negative campaigning erfolgreich. Es dient hauptsächlich dazu, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. Man grenzt sich damit verstärkt von den politischen Gegnern ab. Das kann auch einzelne unentschlossene Wähler umstimmen. Wie erfolgreich negative campaigning ist, ist in der Forschung allerdings nicht abschließend geklärt. Wir wissen aber: Negatives wird allgemein schneller aufgenommen und beschäftigt uns mehr als etwas, das positiv behaftet ist. Auch in den sozialen Netzwerken haben Spots mit negativem Inhalt in der Regel höhere Klickzahlen als solche, die allgemeine oder positive Tendenzen aufgreifen.

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"Wir sind definitiv noch nicht bei dem Polarisierungsgrad des US-amerikanischen Parteienwettbewerbs angelangt"

Kommt das negative campaigning in Deutschland denn aus einer bestimmten Ecke, oder nutzen alle Parteien solche Methoden?

Die Partei, die am stärksten negative campaigning betreibt, ist eindeutig die AfD. Sie versteht sich von Grund auf als Anti-Establishment-Partei und versucht das politische Establishement anzugreifen. Und genau das ist negative campaigning: ein Angriffswahlkampf, bei dem man die politischen Gegner desavouieren will. Parteien an den Rändern greifen allgemein stärker auf negative campaigning zurück, als die Parteien der Mitte. SPD und CDU waren lange Zeit aber die Hauptkonkurrenten im Parteienwettbewerb, sodass negative campaigning gelegentlich auch von ihnen geschaltet wird und wurde.

In den USA ist das negative campaigning schon viel verbreiteter. Dort waren in den 1960er-Jahren zehn Prozent aller Wahlwerbespots negativ, 2008 waren es bereits 60 Prozent. Trump hat seine politischen Gegner immer wieder verunglimpft, wenn er Obama beispielsweise als "Weichei" und "dummen, schwachen Führer" bezeichnete. Drohen hierzulande auch amerikanische Verhältnisse?

Wie viel negative campaigning eingesetzt wird, hängt immer davon ab, wie polarisiert ein Wahlkampf und eine Gesellschaft sind. Wir sind definitiv noch nicht bei dem Polarisierungsgrad des US-amerikanischen Parteienwettbewerbs und der amerikanischen Gesellschaft angelangt. Beides ist eindeutig polarisierter, sodass negative campaigning dort viel besser eingesetzt werden kann. Hierzulande haben wir immer noch eine – wenn auch schrumpfende – politische Mitte, die sich gegenüber bestimmten Formen des negative campaignings skeptisch zeigt.

Wird sich das bald ändern?

Je polarisierter Gesellschaft und Parteienwettbewerb sind, desto wahrscheinlicher wird der Einsatz von negative campaigning. Auch die politische Kultur spielt eine Rolle. In den USA erleben wir eine stärkere Zentrierung auf die Herabsetzung des politischen Gegners. Unsere erkennbare und spürbare politische Mitte ist weniger stark auf eine der großen Parteien festgelegt. In den USA ist die Festlegung auf eine Partei viel stärker ausgeprägt.

Negative campaigning: "Statt Argumenten stehen Stimmungen im Vordergrund"

Wie gefährlich ist es, wenn im Wahlkampf verstärkt "mit Dreck geworfen" wird?

Negative campaigning sucht weniger die Sachaussetzung, sondern versucht verstärkt zu emotionalisieren. Statt Argumenten stehen Stimmungen im Vordergrund. Man setzt auf Diskreditierung des politischen Konkurrenten – durch all das tritt die sachpolitische Auseinandersetzung in den Hintergrund. Auch durch Polemik und Satire weicht man der sachlichen Debatte aus. Negative campaigning versucht selbst stärker zu polarisieren, indem bestimmte Eigenschaften der politischen Konkurrenten aufgegriffen und pointiert dargestellt werden. Wenn solche Formen den Wahlkampf bestimmen, steht die Emotion vor der Ratio.

Kann man dem irgendwie Einhalt gebieten?

Man kann nur an die Parteien und das Verantwortungsgefühl der Wählerinnen und Wähler appellieren. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl und gesellschaftliches Verhalten kann man schwer verordnen. Gesetze oder politische Regelungen, die negative campaigning verhindern wollen, erscheinen mir nicht besonders vielversprechend. Sie würden vermutlich nur neue Einfallstore schaffen, sodass auf anderen Wegen Einfluss genommen wird.

Zur Person:

  • Prof. Dr. Uwe Jun ist Direktor des Trierer Instituts für Demokratie- und Parteienforschung (TIDuP) an der Universität Trier und hat dort die Professur „Westliche Demokratien – Das politische System Deutschlands“ inne.
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