Gutes Wetter, Sommerferien – und dazu die Coronakrise: Viele Orte im Alpenvorland klagen zunehmend über Ausflugsverkehr. Aus Protest wollen nun Anwohner am Samstag eine Bundesstraße in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen blockieren. Auch an weiteren Wochenenden sind Demonstrationen geplant.
Es ist ein Panorama, wie es in Bayern nicht oft zu sehen ist: Die Isar plätschert am Rand von Wallgau vorbei. Gleich hinter dem 1.500-Einwohner-Örtchen erhebt sich die über 2.000 Meter hohe Schöttelkarspitze. Und in Sichtweite ragen auch die schroffen Felszacken des Karwendel- und des Wettersteingebirges in die Höhe.
Doch genau dieses Bergidyll sorgt für zunehmende Probleme. "Es gibt Tage, da kann kein Kind mehr über die Straße rüber, weil auf ihr die Autos so dicht an dicht unterwegs sind", sagte Katharina Zunterer von der Interessengemeinschaft Verkehrsentlastung Wallgau (VEW) der "Süddeutschen Zeitung". Gegen Wanderer, Mountainbiker und andere Tagestouristen regt sich nun in zahlreichen Gemeinden im bayerischen Alpenvorland Widerstand. Um gegen den Durchgangsverkehr zu protestieren, will die Bürgerinitiative gemeinsam mit einer Fahrrad-Initiative aus dem benachbarten Garmisch-Partenkirchen am Samstag die Bundesstraße 11 blockieren, die sich durch Wallgau schlängelt.
Demonstration für Verkehrswende an vier Samstagen
"So kann's nicht weitergehen", heißt es in dem Aufruf auf Facebook. "Wir ersticken im Verkehr, Lärm und Müll – mit all den Folgen für Mensch, Tier und Natur". An vier weiteren Samstagen im August und im September wollen die Betroffenen auch in Grainau, Kochel, Murnau und Garmisch-Partenkirchen für eine Verkehrswende in der Region demonstrieren.
Anwohner begehren auch deshalb gegen Touristen auf, weil sich in diesem Sommer gleich mehrere Faktoren überlagern:
- Zum einen ist das Bundesland Bayern das mit Abstand gefragteste Reiseziel in der Bundesrepublik. Etwa jeder fünfte Urlauber in Deutschland machte im vergangenen Jahr in dem Freistaat Ferien, vor allem im Juli und August. 2019 verzeichnete das Bayerische Landesamt für Statistik 101 Millionen Übernachtungen durch 40 Millionen Gäste, etwa 80 Prozent davon kamen aus Deutschland.
- Zum anderen beschränkt die Corona-Pandemie die Mobilität, wie Claudia Brözel, Professorin für Marketing und eCommerce im Tourismus an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur erklärt. "Das führt auch dazu, dass die Deutschen weniger aus dem Land reisen."
Schließlich hatte sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Deutschen in den vergangenen Monaten immer wieder empfohlen, sich in Bayern zu erholen, wenn Auslandsreisen aufgrund der Beschränkungen in der Coronakrise schwer seien.
Touristen sind Fluch und Segen zugleich
Warum allerdings Proteste gegen Touristen und ein Willkommenheißen von Gästen kein Widerspruch sind, erklärt Wallgaus Bürgermeister Bastian Eiter (Wallgauer Wählerverein). Der 45-Jährige kann den Ärger der Bürger nachvollziehen, wie er unserer Redaktion am Telefon berichtet. Die Entwicklung sei zwar schleichend gewesen. "In der Coronakrise ist der Verkehr aber noch extremer geworden", sagt Eiter. Er schätzt, dass mittlerweile in Spitzenzeiten mehr als 12.000 Autos auf der B 11 durch Wallgau rollen.
Das Mehr an Gästen sei ein "Segen und Fluch zugleich", betont Eiter. Er sagt: "Grundsätzlich lebt unser Ort von Touristen." Wallgau habe 1200 Gästebetten, die wegen der derzeitigen Hochsaison alle ausgebucht seien. Problematisch seien ihm zufolge aber insbesondere die Tagestouristen und der Durchreiseverkehr am Wochenende, weil diese die Straßen verstopfen und dem Ort kaum etwas bringen.
"Alle Regionen im Alpenraum haben dieses Problem", sagt Eiter. Aufgrund der Nähe zur Landeshauptstadt München treffe es aber Wallgau verschärft. Weil man den Besucherstrom aber nicht einfach reduzieren könne, müsse der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden, fordert Eiter. Der Bürgermeister appelliert zudem an die Menschen, Rücksicht aufeinander zu nehmen. "Den Leuten muss bewusst werden, dass sie nicht in einen Freizeitpark reisen, sondern in eine Urlaubsregion, wo Menschen wohnen."
Tourismus künftig digital steuern
Tourismus-Professorin Brözel geht davon aus, dass der Tourismus künftig in nachgefragten Orten anders gesteuert werde. "Vielleicht müssen wir uns darauf einstellen, dass wir nicht jederzeit überall hin dürfen", sagt sie. Oder man müsse sich an bestimmten Orten in Zukunft vorher anmelden, und die Touristenströme werden über digitalen Lösungen gesteuert. "Kurzfristig kann es auch Preiserhöhungen geben", glaubt Brözel.
Erste Ansätze der digitalen Besucherlenkung gibt es schon. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) will das Konzept voranbringen. "Wir haben in Corona-Zeiten größere Besucherströme, die man so früher nicht hatte. Jetzt haben wir die Lehre gezogen, dass wir den Tourismus in Bayern deutlicher digitalisieren müssen", sagte Aiwanger Anfang Juli nach einem Besuch in Garmisch-Partenkirchen.
Noch im Juli soll Konzept für alle Tourismus-Spots umgesetzt werden
Der Tourismus hatte die Ausflugs-Hotspots vor allem im Süden von München vom Chiemsee bis zur Zugspitze schon vor der Coronakrise an den Rand der Belastbarkeit gebracht. Autoschlangen wälzten sich vor allem an den Wochenenden durch Orte, Müll blieb zurück. Bisher funktioniere der "Ausflugs-Ticker" nur in einem begrenzten Bereich, nämlich im Berchtesgadener Land, sagte Aiwanger. Noch im Juli solle das Konzept aber an allen Tourismus-Spots in Oberbayern umgesetzt werden. In dem Tickter bekommen (Kurz-)Urlauber nicht nur Ausflugsempfehlungen, sondern auch Meldungen über Verkehrsströme und Besucherprognosen für besonders nachgefragte Gebiete.
Wegen des anderthalbstündigen Protests am kommenden Wochenende werden wohl zumindest einige Kurzentschlossene Wallgau meiden. Bürgermeister Eiter will aber auf jeden Fall vor Ort sein. Und das, obwohl eine Familienfeier ansteht. "Ich werde eben ein bisschen später kommen – wie es der Verkehr erlaubt."
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