Die erste Studie zum Bürgergeld offenbart, dass seit der Einführung rund 30.000 Stellen mehr unbesetzt geblieben sind als zu Hartz-IV-Zeiten. Fehlt nun der Anreiz, arbeiten zu gehen? Ökonomen geben eine differenzierte Einschätzung.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

30.000 - so viele Jobs sollen weniger besetzt worden sein, weil es das Bürgergeld gibt. Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg hat die erste Studie zum Bürgergeld [PDF] vorgelegt und kommt zu dem Schluss: Die Sozialleistungen sorgen nicht dafür, dass sich Arbeit nicht mehr lohnt, aber: Sie verringern die Aufnahme von Arbeit durch Bürgergeldbezieher.

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Verglichen mit dem Hartz-System hätten daher rund 30.000 Arbeitssuchende weniger einen Job angetreten als zuvor.

Gerade in der aktuellen Situation, in der viele Arbeitgeber Arbeitskräfte suchen, scheint diese Entwicklung bedenklich. Die Union fordert daher bereits die Abschaffung des Bürgergelds – obwohl sie im Bundesrat zuletzt dafür gestimmt hatte. Kritiker sehen im Bürgergeld eine Art bedingungsloses Grundeinkommen und die soziale Hängematte. Arbeit würde sich nun nicht mehr lohnen.

Arbeit lohnt sich noch – doch es gibt Ausnahmen

Ronnie Schöb ist Professor für Finanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Arbeit lohnt sich gegenüber Nicht-Arbeit im Bürgergeld immer."

Durch die Hinzuverdienstmöglichkeiten gelten bis zu einem gewissen Betrag noch Steuererleichterungen, die Anreiz liefern zu arbeiten. Dadurch bleibt nach der Arbeitstätigkeit immer mehr Geld übrig als im Bürgergeld-Bezug, erklärt Schöb.

Allerdings ist es laut dem Experten so, dass es sich nicht mehr lohne, mehr zu arbeiten. Das ließe sich bei sogenannten Aufstockern sehen. Diese sind zwar erwerbstätig, würden aber aufgrund der geringen Höhe des Einkommens und ihrer Lebensumstände Bürgergeld beziehungsweise Wohngeld beziehen. Wenn sie Eltern sind, kommt zusätzlich der Kinderzuschlag hinzu.

Diese Leistungen werden allerdings von unterschiedlichen Behörden gewährt. Das führt dazu, dass diese schlecht abgestimmt sind und sich als Folge ein höherer Verdienst nicht lohnt. Also dann, wenn das höhere Einkommen dazu führt, dass die Transferleistungen nicht mehr gewährt werden. Das sei nicht überall der Fall, könne aber beispielsweise bei Familien in München zutreffen, bei denen von 500 Euro Mehrverdienst letztlich nichts übrigbliebe.

Inflation frisst Löhne

Das hat sich zeitweise durch den Anstieg der Inflation und den Ausgleich beim Bürgergeld zusätzlich verschärft: Während die Arbeit durch den Preisanstieg bei gleichbleibenden Löhnen entwertet wurde, stieg die Kaufkraft im Bürgergeld durch das Anheben des Satzes. Letztlich bleibt laut Schöb aber der Anreiz, arbeiten zu gehen. Auch gleiche sich dieser Unterschied durch das Absinken der Inflation wieder an.

Auch die Studie des IAB belegt diese Aussage: Es kam zu keiner Flucht aus der Arbeit ins Bürgergeld, wie von Kritikern befürchtet wurde. Im Gegenteil, Studienteilnehmer Enzo Weber erklärte unserer Redaktion bereits vor Veröffentlichung der Studie: "Es sind noch nie so wenig Menschen wie jetzt aus Arbeit in die Arbeitslosigkeit mit Bürgergeld gegangen."

Fördern und Fordern

Auch Ökonom Schöb sieht daher keinen Bedarf, das Bürgergeld zu kürzen oder in ähnlicher Weise auf den Bezug einzuwirken, um ihn weniger attraktiv zu machen. Letztlich sei der errechnete Betrag notwendig, um ein Existenzminimum in unserer Gesellschaft sicherzustellen.

Problematisch hält er hingegen an dem Ergebnis der Studie des IAB, dass diese belege, wie schwierig es ist, Bürgergeldbezieher wieder in Arbeit zu bringen. "Die Studie belegt, dass das, was seit den Hartz-Reformen immer wieder gesagt wird, wichtig ist: 'Fördern und Fordern'", sagt Schöb. Dieser Grundsatz müsste dem Ökonomen zufolge mehr beachtet werden.

Das Wort "Sanktionen" sei zwar sehr negativ konnotiert, es ist allerdings Teil des Sozialgesetzbuches und wird auch vom Bundesverfassungsgericht als sinnvoll erachtet.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 in einem Urteil erklärt, dass es keine Sanktionen über 30 Prozent gegen Bezieher geben dürfe, weil diese gegen das im Grundgesetz geschützte Existenzminimum verstoßen, welches Bedürftigen zusteht. Auf diesem Urteilsspruch berief sich die Ampelregierung bei der Einführung des Bürgergelds. "Das Bundesverfassungsgericht besagt aber auch, dass Sanktionen bis zu einem Grad von 30 Prozent wirken und rechtmäßig sein können", sagt Schöb.

Außerdem gebe es noch ein Schlupfloch, das das Bundesverfassungsgericht beim Thema Sanktionen offengelassen hat, denn: Transferleistungen, also Bürgergeld, sind nur dann bezugsfähig, wenn Bedürftigkeit besteht. "Wir haben im Sozialgesetzbuch eine Mitwirkungspflicht. Wenn jemand in Not kommt, muss der Staat helfen. Wenn jemand sich selbst helfen kann, dann ist der Staat dementsprechend nicht mehr in der Pflicht", sagt der Experte.

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Sanktionen bis zu hundert Prozent durchaus noch möglich

Damit wären letztlich auch Sanktionen bis zu hundert Prozent des Bürgergeldes möglich, wenn der Bezieher keinerlei Motivation zeigt mitzuwirken. "Wenn ein Bürgergeldbezieher einem Vorstellungstermin nicht nachkommt, dann ist der Verdacht begründet, dass dieser nicht arbeiten will. Dann muss man dazu auffordern und wenn nötig sanktionieren", erklärt Schöb.

Notfalls wäre dem Ökonomen zufolge auch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme denkbar, wie es nach den Hartz-Reformen mit den Ein-Euro-Jobs der Fall war. "Zumutbar wäre zum Beispiel auch, eine Beschäftigung in einer kommunalen Beschäftigungsanstalt anzubieten", sagt Schöb. "Wenn wir einen Arbeitsmarkt haben, wie es derzeit der Fall ist, wo wir nicht nur einen Fachkräftemangel haben, sondern auch bei einfachen Tätigkeiten Mitarbeiter fehlen und gleichzeitig sehr viele Menschen Bürgergeld beziehen, die die angebotenen Jobs nicht wahrnehmen, dann sollte man gezielt handeln."

Eine Arbeitspflicht für Erwerbslose, wie es die CDU zuletzt gefordert hat und die es in den Niederlanden und Dänemark in ähnlicher Form gibt, lehnt Schöb hingegen ab: Diese Maßnahmen können letztlich nur eine Option sein, wenn der Arbeitsmarkt einen entsprechenden Arbeitskräftemangel aufweist, wie es jetzt der Fall sei, als generelle Maßnahme würden sie sich nicht eignen.

Über den Gesprächspartner

  • Ronnie Schöb ist Professor für Finanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Verwendete Quellen

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