Nach einem Terroralarm wird vor fünf Jahren ein Länderspiel in Hannover abgesagt. Kurz nach der verheerenden Anschlagsserie in Paris war die Sorge groß und nicht unbegründet. Zwar ist die Gefahr heute nicht geringer, die Polizei aber agiert anders.

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Bei dem Neun-Sekunden-Anruf aus dem Innenministerium in Hannover fallen nur zwei Worte: "Sofort absagen". Rund 90 Minuten vor Anpfiff wird am Abend des 17. November vor fünf Jahren das Freundschaftsspiel Deutschland-Niederlande wegen Hinweisen auf einen geplanten Sprengstoff-Anschlag abgesagt.

Trainer Joachim Löw und seine Spieler sind da schon im Bus auf dem Weg zum Stadion. Von den 30.000 erwarteten Zuschauern drängen sich zahlreiche bereits vor dem Einlass. Spezialkräfte sperren das Stadion mit Flatterband mit der Aufschrift "Stopp Polizei Lebensgefahr" ab. Dabei soll das Spiel nur vier Tage nach den verheerenden Attentaten von Paris mit 130 Toten ein Zeichen gegen den Terror setzen.

Die Szenen an dem Novemberabend in Hannover 2015 sind gespenstisch: Mit Lautsprecherwagen informiert die Polizei über die Absage. Große Gruppen Menschen bewegen sich vom Stadion weg. Mehr als 2.000 Beamte sind im Einsatz, darunter viele Spezialkräfte, die hunderte Menschen und Fahrzeuge überprüfen.

Denkwürdiger Satz: "Würde Bevölkerung verunsichern"

"Wir haben konkrete Hinweise gehabt, dass jemand im Stadion einen Sprengsatz zünden wollte", sagt Polizeipräsident Volker Kluwe und ruft die Bevölkerung auf, zu Hause zu bleiben. Bei Durchsuchungen in Hannover und anderenorts werden aber weder Waffen noch Sprengstoff gefunden, auch nicht in einem Rettungswagen am Stadion, der in den Fokus der Fahnder gerät.

Später am Abend will Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Absage des Spiels nicht näher begründen, sagt aber den denkwürdigen Satz: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Sein niedersächsischer Amtskollege Boris Pistorius (SPD) sagt tags drauf: "Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn wir nicht abgesagt hätten."

Wie sich später herausstellte, hatte es zuvor die entscheidende Warnung vor einem Terroranschlag durch einen israelischen Geheimdienst gegeben. Teil des angeblichen Schreckensszenarios, das im Laufe des Tages zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes, dem Bundesinnenministerium und dem Innenministerium von Niedersachsen besprochen wurde, war Sprengstoff, der angeblich ins Stadion geschmuggelt worden sein sollte.

"Die Darstellungen des ausländischen Nachrichtendienstes waren sehr konkret", sagte ein BKA-Beamter später als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz.

Ermittlungen wurden Anfang 2017 eingestellt

Knapp eineinhalb Jahre nach dem Terroralarm stellte die Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen ein. Es hätten sich "keine weiterführenden Erkenntnisse" ergeben. Der Verfassungsschutz habe damals den Hinweis bekommen, dass mindestens fünf Attentäter Anschläge auf das Spiel und den öffentlichen Nahverkehr verüben wollten.

Der Anführer habe die Explosionen im Stadion filmen sollen. Die Ermittler erfuhren demnach den Namen eines angeblichen Mitglieds der Gruppe. Eine solche Person habe aber nicht ausfindig gemacht werden können.

"Genau wie vor fünf Jahren besteht auch heute weiterhin die Gefahr islamistisch motivierter Anschläge, auch in Niedersachsen", sagt Innenminister Boris Pistorius (SPD). "Das damalige Geschehen und der polizeiliche Einsatz waren allerdings einzigartig."

Ein besonderer Faktor sei die besonnene Reaktion der bereits am Stadion eingetroffenen Fans sowie der Bevölkerung angesichts der für sie undurchsichtigen Lage gewesen. "Natürlich ist die Polizei auch jetzt gut aufgestellt, um eine vergleichbare Lage zu bewältigen, wobei klar sein muss, dass jede Lage anders ist."

Polizei greift heutzutage deutlich früher ein

Die Bedrohung durch den islamistischen Terror ist seither nicht unbedingt geringer geworden. Allerdings greift die Polizei inzwischen im Schnitt früher ein, manchmal auch dann wenn die Hinweise auf einen geplanten Anschlag noch nicht sehr konkret sind.

Handelt es sich um Ausländer, wird eine Abschiebung mit mehr Druck betrieben. Doch sowohl bei den Gefährder-Abschiebungen als auch bei dem internen Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden ist noch Luft nach oben, wie die Terrorattacke auf der Berliner Stadtautobahn und der tödliche Messerangriff in Dresden gezeigt haben.

Mit größeren Anschlägen, bei denen mehrere fanatische Islamisten gleichzeitig an verschiedenen Orten zuschlagen, rechnen die deutschen Sicherheitsbehörden derzeit eher nicht. Mit Gewalttaten einzelner Terroristen, die mindestens über das Internet in Kontakt mit Gleichgesinnten stehen, aber schon.

Seit dem Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 haben die Sicherheitsbehörden in Deutschland nach Aussage des Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, elf geplante Anschläge radikaler Islamisten vereiteln können. (dpa/fte)

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