Die britische Premierministerin Theresa May will ihre Macht mit Hilfe der nordirischen Partei DUP sichern. Zugleich wirft der Brexit seinen Schatten voraus. Was wird aus Nordirland? Ist der Frieden in der Unruheprovinz gefährdet?

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In Nordirland haben sich zwei verfeindete Gruppen jahrzehntelang einen Bürgerkrieg geliefert. Auf der einen Seite die überwiegend protestantischen Unionisten, die sich eng an London binden wollen.

Auf der anderen Seite die katholischen Nationalisten, die lieber eine Wiedervereinigung mit der irischen Republik sähen. Seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 herrscht ein fragiler Frieden in der Provinz.

Doch jetzt hat sich die britische Premierministerin Theresa May ausgerechnet die radikal-unionistische DUP als Mehrheitsbeschafferin für ihre wacklige konservative Regierung in London ausgesucht.

Welche Folgen das - und natürlich das über allem stehende Thema Brexit - für Nordirland haben könnte, erklärt Dr. Bernhard Moltmann von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung im Interview mit unserer Redaktion.

Herr Moltmann, die Partei DUP soll die Macht der Konservativen im britischen Unterhaus sichern. Was bedeutet das für den Frieden in Nordirland?

Bernhard Moltmann: Für die Situation in Nordirland war dieser Wahlausgang eine unglückliche Entwicklung. Er hat dort zu einer enormen Polarisierung der politischen Landschaft geführt. Gemäßigte Parteien beider Seiten sind von der Bildfläche verschwunden, es dominieren bei den Unionisten die DUP und bei den Katholiken die Sinn Fein.

Wie äußert sich diese Polarisierung?

Die Fronten haben sich enorm verhärtet. Sinn Fein ist dabei, die Anti-Brexit-Bewegung umzuwandeln in eine Bewegung für die irische Einheit. Sie will also die Grenze zwischen dem Süden und dem Norden ganz aufheben.

Das ist für die Unionisten natürlich ein Schreckgespenst, und entsprechend haben sie bei den den Wahlen dagegen mobilisiert. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist sehr gering.

Und die britische Regierung wiederum kann in dem Konflikt nicht mehr neutral auftreten, wenn sie von der DUP abhängig ist.

Ja, auch das spielt eine Rolle. Sowohl das Vereinigte Königreich als auch die Republik Irland sind Garantiemächte des Friedensabkommens von 1998. Sie sollen einspringen, wenn das Institutionengefüge in Nordirland in Gefahr ist.

Und das ist im Augenblick der Fall, weil die beiden Lager in Belfast nicht im Stande sind, eine Regierung zu bilden. Da bräuchte man eigentlich erfahrene Moderatoren.

Aber der Nordirland-Minister vertritt die Position der britischen Regierung und damit auch die Position der DUP, die ja eine Stütze dieser Regierung ist. Damit kann er diese ausgleichende Rolle überhaupt nicht mehr wahrnehmen.

Was ist die DUP für eine Partei?

Sie ist eine sozialkonservative Partei mit sehr fundamentalistischen Zügen. Gleichzeitig hat sie auch pragmatische Seiten – zehn Jahre lang haben DUP und Sinn Fein eine gemeinsame Regierung geführt.

Trotzdem ist sie eine Anti-Partei: anti-liberal, anti-katholisch, gegen Kompromissbereitschaft und gegen das Establishment.

Und gegen die EU. Wie sehen das die Menschen in Nordirland?

Beim Brexit-Referendum vor einem Jahr haben immerhin 56 Prozent von ihnen für einen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Das heißt, dass auch eine Reihe von unionistischen Wählern dafür eingetreten sind.

Die DUP hat als einzige Partei für einen harten Brexit geworden und dafür auch unseriöse Geldquellen mobilisiert.

Hat die offene Grenze zwischen Nordirland und der irischen Republik den Frieden stabilisiert?

Ja. Wenn Grenzbefestigungen verschwinden, verschwindet die Grenze auch aus dem Bewusstsein. Es gibt ein reges Hin und Her von Menschen, die im Süden wohnen und im Norden arbeiten oder einkaufen – oder andersherum, je nachdem wie das Verhältnis zwischen Euro und Pfund ist.

Auch Gesundheitseinrichtungen und Schulen werden gemeinsam genutzt. Im Alltag ist die Grenze viel weniger von Bedeutung – und dadurch relativieren sich alte Gegensätze.

Vor allem ist die Gewaltkriminalität um die Grenze herum vollkommen verschwunden. Der Frieden ist dort unmittelbar zu erfahren.

Und könnte man diese Grenze im Zuge des Brexit jetzt einfach wieder hochziehen?

Das gibt es noch vollkommen offene Widersprüche. Und ich glaube, dass die langwährenden Verhandlungen zwischen der DUP und den Konservativen auch daher rühren, dass die DUP wissen will: Was passiert denn jetzt mit der Grenze?

Die geben sich nicht einfach mit schönen Worten zufrieden. Die Regierung May weiß aber noch nicht, wie das aussehen wird.

Hinzu kommt, dass Nordiren seit dem Friedensabkommen das Recht haben, einen irischen Pass zu bekommen – also einen EU-Pass.

Ja, das war 1998 ein großer Fortschritt: Die Staatsbürgerschaft in Nordirland ist nicht mehr an Territorien gebunden, sondern an das, was die Menschen wirklich wollen. Das ist jetzt in der Tat auch ein Problem, das die britische Regierung klären muss.

Aber das muss sie ja auch für alle EU-Bürger, die derzeit im Land leben. Die irischen Konsulate und das irische Außenministerium registrieren auf jeden Fall einen enormen Anstieg von Anträgen auf irische Pässe, weil viele sich noch schnell einen EU-Pass verschaffen wollen.

Zur Person: Der Historiker und Politologe Bernhard Moltmann beschäftigt sich als Assoziierter Wissenschaftler am Leibniz-Institut/Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung mit Friedensstrategien nach dem Ende von Bürgerkriegen. Der Nordirland-Konflikt gehört zu seinen Fachgebieten.
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