Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird deutlich im Streit mit den Niederlanden und droht, das Land werde "den Preis dafür bezahlen", dass Wahlkampfauftritte türkischer Minister verboten wurden. Doch was hat Erdogan gegen die Niederlande - und die EU - tatsächlich in der Hand? Ein Experte meint: Hinter den wagen Drohgebärden könnte vielmehr eine konkrete Strategie stecken.
Am Sonntag sagte Erdogan bei einer Preisverleihung in Istanbul, die Niederlande hätten sich "nicht wie ein Rechtsstaat, sondern wie eine Bananenrepublik verhalten". Nach dem Auftrittsverbot für türkische AKP-Minister und Diplomaten müssten sie den Preis für dieses "unanständige" Verhalten bezahlen.
Womit plant die Türkei? Sind es nur Drohgebärden oder hat Erdogan ernstzunehmende Druckmittel gegen Europa? Christoph Neumann ist Professor am Institut für den Nahen und Mittleren Osten an der LMU in München. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt er, was hinter Erdogans Verhalten stecken könnte.
Womit droht die Türkei den Niederlanden?
Aussetzen der diplomatischen Beziehungen
Die Führung in Ankara kündigte an, die diplomatischen Beziehungen zu den Niederlanden auf höchster Ebene auszusetzen und den Botschafter nicht mehr einreisen zu lassen.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zeigte sich von diesen Drohungen unbeeindruckt: "Die Sanktionen sind nicht sehr schlimm", sagte er.
Sanktionen durch internationale Organisationen gegen die Niederlande
Mit dieser Drohung könnte Erdogan darauf abzielen, dass der Europarat Sanktionen gegen die Niederlande ausspricht. Neumann bleibt jedoch skeptisch und gibt zu bedenken: "Recep Tayyip Erdogan hat bereits mehrmals in seiner politischen Karriere aus dem Bauch heraus gehandelt." Damit schaffe er es immer wieder, die politische Stimmung zu seinen Gunsten anheizen.
Wirtschaftliche Sanktionen
Hinter den wirtschaftlichen Sanktionen, von denen Erdogan spricht, stecken möglicherweise Reisebeschränkungen für normale Bürger.
Professor Neumann erklärt, dass eine Visumspflicht für niederländische Bürger leicht umzusetzen wäre. Diese würde mit einer Gebühr belegt werden. Beschlossen wurde in diese Richtung allerdings noch nichts. "Deswegen denke ich, dass im Moment nicht damit zu rechnen ist", so Neumann.
Eine Visumspflicht für holländische Touristen würde dem ohnehin geschwächten Tourismus in der Türkei zusetzen, was nicht im Sinne Erdogans sein kann.
Wie stark ist das Druckmittel "Flüchtlingspakt"?
Bereits in der Vergangenheit drohte Erdogan Deutschland mit der Aufkündigung des sogenannten Flüchtlingspakts. Dass das Abkommen noch immer gilt könnte Europa laut Neumann als Zeichen dafür nehmen, dass auch die Türkei daran festhalten möchte.
Das Motiv der Türkei ist ein finanzielles. "Weil es Geld gibt", So Neumann. Die türkische Wirtschaft sei in Schwierigkeiten geraten und benötige dringlich Kapital.
Das Druckmittel "Flüchtlingspakt", das wie ein Damokles-Schwert über der EU zu hängen scheint, könnte demnach schwächer sein, als zunächst angenommen.
"Der Konflikt wird symbolisch ausgetragen"
Was dafür spreche, dass Reisebeschränkungen tatsächlich umgesetzt werden, ist laut Neumann vor allem der symbolische Wert der Sanktion: "Eigentlich ist der Konflikt ein Symbol-Kampf. Die türkische Regierung ist außerdem nicht unglücklich darüber, dass es zu solch einer Auseinandersetzung gekommen ist."
Es gehe Erdogan nicht darum, die Beziehungen zu Europa nachhaltig zu schädigen, sondern darum, das Referendum zu einem Präsidialsystem durchzubekommen.
Es passe der türkischen Regierung auch sehr gut, dass sie den Konflikt mit den Niederlanden eskalieren lassen konnte - und nicht mit dem wirtschaftlich wichtigeren Partner Deutschland.
"Die Türkei und Europa gehören zusammen", sagt Neumann. Sie seien einerseits wirtschaftlich stark miteinander verbunden und andererseits gebe es eine starke demografische Verflechtung. "Was immer man gegeneinander unternimmt schadet nicht nur dem Anderen, sondern hat auch negative Rückwirkungen auf einen selbst", erklärt Neumann in Bezug auf Europa und die Türkei.
Obwohl es also Konfliktpotenzial gebe, würden beide Seiten ein schweres Zerwürfnis vermeiden wollen. Der gesamte Streit zwischen der Türkei und Europa werde symbolisch ausgetragen, schließt Neumann.
Deshalb werden viele Drohungen aller Voraussicht nach leere Drohungen bleiben.
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