Donald Trump wird verfolgt – von den Medien, von der Justiz und von seinen politischen Gegnern. So sieht es der Ex-Präsident jedenfalls. Er wähnt sich gerne als Opfer, aber wie kommt er damit immer wieder durch?

Ein Interview

In knapp einem halben Jahr heißt es in den USA aller Voraussicht nach erneut Biden versus Trump. Trotz zahlreicher laufender Prozesse gegen den Ex-US-Präsidenten, Finanzproblemen und einer fragwürdigen ersten Amtszeit sitzt Donald Trump so sicher im Sattel wie kaum zuvor. Warum das so ist, beleuchtet im Gespräch mit unserer Redaktion der Autor und Journalist Matthias Lohre.

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Derzeit steht Donald Trump wegen Schweigegeldzahlungen in den USA vor Gericht. Sollte er verurteilt werden, könnte er der erste US-Präsident mit einer Vorstrafe werden. Das scheint jedoch seine meist konservativen und christlichen Wähler wenig zu stören.

Matthias Lohre
Autor und Journalist Matthias Lohre. © Denise Sterr

Matthias Lohre: Das hat viel damit zu tun, dass eher Linke Trump mit moralischen Argumenten kritisieren. Sie fragen, wie kann jemand so großen Rückhalt genießen, der für sexuelle Übergriffe rechtskräftig verurteilt worden ist. Wie können Menschen, die sich als Christen bezeichnen, so einen niederträchtigen Menschen bloß feiern?

Wie gelingt ihm das?

Viele Anhänger von Trump machen sich diese moralischen Argumente nicht zu eigen, sondern verstehen sich als eine in die Defensive geratene Mehrheit. Und wer sich als in die Defensive geraten oder bedrängt versteht, nimmt für sich in Anspruch, in Notwehr die Regeln brechen zu dürfen. Nach dem Motto: "Trump kämpft für uns, die Guten. Bei den Methoden müssen wir ab und an ein Auge zudrücken."

Was sagen die Trumpianer selbst?

Seine Anhänger argumentieren, in normalen Zeiten wäre es vielleicht nicht richtig, diesen Menschen zu unterstützen. Jetzt ist es aber notwendig, weil die Zeiten doch so schlimm und die Gegner so verlogen sind. Und egal, was Trump macht, es wird immer eine Begründung geben, warum die Gegenseite doch schlimmer sei. Präsident Joe Biden wird sogar als Dämon geschmäht, der Amerika vernichten wolle.

"Es ist vollkommen okay, dass Trump ein Tyrann ist, solange es ihr Tyrann ist."

Matthias Lohre

Ihnen ist also bewusst, dass Trump, gelinde gesagt, eine schwierige Person ist?

Es ist vollkommen okay, dass Trump ein Tyrann ist, solange es ihr Tyrann ist. Solange sie das Gefühl haben, dass er doch zu ihrer Gruppe gehört oder sie verteidigt, prallen alle moralischen Argumente ab.

Das grenzt schon fast an einen Kult und Trump ist der neue Messias.

Ein Trump-Wähler wurde interviewt und gefragt: Hätten Sie lieber vier Jahre einer Diktatur unter Trump oder wollen Sie vier Jahre unter einem normalen Präsidenten Biden? Die Antwort des Wählers: "Manchmal brauchen wir halt eine harte Hand, die uns wieder auf den rechten Weg führt. Eine Art strenger Vater, der seine Kinder zur Ordnung ruft." Darin stecken also vielfach archaische Vorstellungen, die autokratische Herrschaften rechtfertigen.

Trump stellt sich immer wieder als Opfer dar. Sie schreiben in Ihrem Buch "Das Opfer ist der neue Held", der frühere US-Präsident Richard Nixon wäre mit dieser Außendarstellung nicht durchgekommen. Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in den USA verändert?

Das hat etwa vor 60 Jahren angefangen, seitdem die Gruppe der evangelikalen Christen in den USA immer größer wurde und sich immer stärker politisch organisiert hat. Und spätestens seit der ersten Regierung unter George W. Bush sind sie eine nicht mehr zu ignorierende gesellschaftliche Gruppe geworden.

Was hat es mit dieser Gruppe auf sich?

Große Teile des evangelikalen Christentums reden immer stärker im Sinne eines militanten Nationalismus, bei dem es nur wir oder die gibt. Sie sehen sich in einem Kampf auf Leben und Tod gegen den Multikulturalismus, gegen die Eliten an Ost- und Westküste, gegen die Andersgläubigen oder Nichtgläubigen. Das ist eine gewaltige Gruppe in den USA, die man mit Argumenten niemals überzeugen kann. Diese Gruppe verfolgt ein striktes Gut-Böse-Denken. Trump ist zwar ein „bad guy“, aber wir werden ihn unterstützen, weil die andere Seite doch gottlos sei und beispielsweise das Land einer Invasion an Migranten an der mexikanischen Grenze aussetze.

"Kaum ein Land dieser Erde hat in den letzten 120 Jahren mehr Traumata erfahren als Russland."

Matthias Lohre

Auf der Welt gibt es noch andere autoritäre, teils faschistoide Regierungschefs wie Putin, Orban oder Erdogan. Sie markieren aber im Gegensatz zu Trump eher den starken Mann als das Opfer.

Die Opferhaltung ist immer die Kehrseite der Medaille des starken Mannes. Putin verkauft sich als starker Mann, weil ein starker Mann doch gegen den bösen Internationalismus, gegen die böse westliche Welt, die alle Russen schwul machen will, gebraucht wird. Es ist tatsächlich die Politik des Kremls, LGBTQ-Organisationen zu verbieten, weil diese vom Westen infiltriert seien und einen Geburtenrückgang in Russland erzielen wollen.

Das wird dort tatsächlich so verbreitet?

Vollkommener Unsinn, aber auch ein Zeichen für eine Opferhaltung. Diese Opferhaltung speist sich stark aus Traumata. Kaum ein Land dieser Erde hat in den letzten 120 Jahren mehr Traumata erfahren als Russland: Erster Weltkrieg und Bürgerkrieg, Massenmorde, Überwachungsstaat, der Gulag, der Zweite Weltkrieg und die Zeit der Perestroika, die millionenfach weniger als Befreiung denn als Kontrollverlust empfunden wurde. Die meisten Russen erhielten nie die Chance, diese Traumata aufzuarbeiten. Dort ist, noch viel stärker als in Ostdeutschland, das Gefühl entstanden: Um zu überleben, muss ich hart gegen mich und andere sein. Und dort gehören Opferhaltung und die Starke-Mann-Sehnsucht ganz eng zusammen.

Neben Russland haben auch die ehemaligen Ostblockstaaten Traumata erlebt. Wie schafft es Putin dann, seinem Volk zu verkaufen, dass die Ukraine von Nazis regiert werde und man das Land von ihnen reinigen müsse?

In dieser Begründung blitzen verdrängte Traumata auf. Man unterstellt einem jüdisch-stämmigen Präsidenten der Ukraine, er sei der Chef eines Nazi-Regimes. Daran kann man sehen, welche Erschütterungen noch durch den deutschen Vernichtungskrieg in der damaligen Sowjetunion angerichtet worden sind. Die Erinnerungen an die Nazi-Verbrechen schwelen immer noch, aber es gibt keine heilsame Auseinandersetzung damit. Stattdessen wird neues, selbst angerichtetes Leid damit begründet, dass man den alten Feind noch mal bekämpfen muss. Wer traumatische Erfahrungen nicht erkennt und bewältigt, tendiert dazu, sie zu reinszenieren. Gewalt sät Gewalt.

Über den Gesprächspartner

  • Matthias Lohre, 48, absolvierte ein Geschichts- und Anglistik-Studium an der Universität Köln. Er schloss eine Redakteursausbildung an der Berliner Journalisten-Schule ab und ist Mitgründer des Journalistenbüros Freie Redaktion in Berlin. Mehr als neun Jahre arbeitete er als Reporter, Parlamentskorrespondent und Kolumnist der taz. Als Autor historischer Rekonstruktionen schrieb er für Geo Epoche, P.M. History und Zeit Geschichte.
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