Erst hat US-Präsident Donald Trump den Geldhahn zugedreht, nun hat den Ausstieg seines Landes aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell verkündet. Trumps Zorn auf die UN-Unterorganisation hat sich an ihrer Rolle in der Corona-Pandemie entzündet. Eine Chronologie von Fehlentscheidungen.

Mehr zu den USA unter Donald Trump hier

US-Präsident Donald Trump hat im Streit um den Umgang mit der Corona-Pandemie offiziell den Austritt seines Landes aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeleitet.

Wie ein US-Regierungsvertreter am Dienstag sagte, wurde UN-Generalsekretär António Guterres formell über den geplanten Austritt informiert. Der Austritt würde damit in einem Jahr wirksam. Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden kritisierte den Schritt - und kündigte für den Fall seines Siegs bei der Wahl im November eine sofortige Rückkehr zur WHO an.

Ein Guterres-Sprecher in New York bestätigte, das Dokument zum US-Austritt aus der WHO sei am Montag eingegangen. Er betonte, eine der Bedingungen für einen Austritt sei, dass alle Beiträge für die Organisation beglichen seien. Guterres prüfe derzeit gemeinsam mit der WHO, ob alle Bedingungen erfüllt würden. Der Rückzug würde dann am 6. Juli 2021 in Kraft treten.

Trump wirft der UN-Unterorganisation seit Monaten Fehler in der Corona-Krise sowie Einseitigkeit zugunsten Chinas vor. Er kündigte deswegen zunächst einen Stopp der Beitragszahlungen an die WHO und schließlich den Bruch mit der Organisation an. Der jüngste Schritt ist der vorerst letzte in der Entwicklung.

Wir zeichnen den Umgang der WHO und der USA mit dem Virus nach. Die Chronologie zeigt, dass vor allem Trump die Wucht des Virus unterschätzte – und für Fehler unerklärlicherweise die WHO verantwortlich macht.

Erste Fälle in Wuhan

31. Dezember 2019: China erstattet der WHO Bericht über eine Häufung von Lungenentzündungen mit "unbekannter Ursache" in Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei. Von 44 Patienten seien elf "ernsthaft krank", der Zustand der anderen Betroffenen sei stabil.

1. Januar 2020: Die WHO setzt einen Krisenstab für den "Umgang mit dem Ausbruch" ein.

4. Januar: Die WHO berichtet in Online-Netzwerken über eine Häufung von Lungenentzündungen in Wuhan "ohne Todesfälle". Am folgenden Tag veröffentlicht sie für Wissenschaftler und Fachleute für öffentliche Gesundheit ihre ersten "Disease Outbreak News" (Neuigkeiten zum Krankheitsausbruch) zu dem neuartigen Virus.

10. Januar: Die WHO versendet "Technische Leitlinien" mit Ratschlägen für ihre 194 Mitgliedsländer, wie sie potenzielle Infektionen mit dem neuen Erreger erkennen und testen können und wie sie mit ihnen umgehen sollten. Die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse weisen laut WHO auf "keine oder eine beschränkte Mensch-zu-Mensch-Übertragung" hin.

Übergreifen von China auf andere Länder

11. Januar: China übermittelt der WHO die Gensequenz des neuartigen Coronavirus.

14. Januar: WHO-Corona-Expertin Maria Van Kerkhove sagt auf Grundlage von 41 bestätigten Infektionsfällen, dass es möglicherweise "begrenzte Mensch-zu-Mensch-Übertragungen" gegeben habe. Es bestehe das Risiko eines größeren Ausbruchs.

22. Januar: Die WHO-Vertretung in China informiert über Beweise für Mensch-zu-Mensch-Übertragungen des neuartigen Erregers. Es seien aber "weitere Untersuchungen nötig, um das volle Ausmaß der Übertragung zu verstehen". Am selben Tag fragt ein Journalist nach dem ersten bestätigten Fall in den USA, ob Trump Sorgen angesichts einer möglichen Pandemie habe. Die Antwort des US-Präsidenten: "Nein, überhaupt nicht. Wir haben es vollkommen unter Kontrolle."

22./23. Januar: WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus beruft ein Notfall-Komitee zur Frage ein, ob das neuartige Coronavirus einen "Notfall für die öffentliche Gesundheit von internationaler Tragweite" darstellt – die höchste Alarmstufe der WHO. Das aus unabhängigen internationalen Experten bestehende Gremium kann sich nicht einigen. Es vereinbart, zehn Tage später erneut zu beraten.

28. Januar: Eine WHO-Delegation unter Tedros' Führung reist nach Peking. Der WHO-Chef vereinbart mit Chinas Staatschef Xi Jinping, dass ein internationales Wissenschaftlerteam in die Volksrepublik geschickt wird.

Ausweitung zur Pandemie

30. Januar: Die WHO erklärt das neuartige Coronavirus zum "Notfall für die öffentliche Gesundheit von internationaler Tragweite".

10. Februar: Bei einer Wahlkampfveranstaltung erklärt Trump zum Ende des Coronavirus: "Es scheint, dass theoretisch im April, wenn es etwas wärmer wird, es wie durch ein Wunder weggeht."

16. bis 24. Februar: Eine Delegation mit Wissenschaftlern aus China, den USA, Deutschland, Japan, Südkorea, Singapur, Russland, Kanada und Nigeria besucht Wuhan.

24. Februar: "Das Coronavirus ist in den USA sehr gut unter Kontrolle", twittert Trump.

28. Februar: Der US-Präsident wirft liberalen Medien vor, "alles zu tun, was sie können, um den Menschen Angst einzuflößen". Auch die Demokraten würden "eine Menge Unwahrheiten" zum Coronavirus verbreiten. Die US-Fallzahlen würden aus seiner Sicht in Kürze von 15 "auf beinahe Null" sinken.

11. März: Die WHO stuft die Verbreitung von SARS-CoV-2 als Pandemie ein – also als länder- und kontinentübergreifendes Problem. Bis dahin sind 90 Prozent der Infektionsfälle in nur vier Ländern aufgetreten. Allerdings gibt es bereits in insgesamt 81 Ländern Fälle.

16. März: Auf eine Journalisten-Frage, wie viele Punkte er sich selbst auf einer Skala von eins bis zehn für sein Krisenmanagement geben würde, antwortete Trump: "Ich würde zehn Punkte geben, weil wir einen großartigen Job gemacht haben."

17. März: "Ich habe immer gewusst, dass das eine wirkliche Pandemie ist", sagt Trump bei einer Presseunterrichtung im Weißen Haus. "Ich habe gefühlt, dass es eine Pandemie ist, lange bevor es als Pandemie bezeichnet wurde."

21. März: Trump preist auf Twitter den Medikamentenmix aus dem Malaria-Mittel Hydroxychloroquin und dem Antibiotikum Azythromicin als Corona-Mittel an: "Hydroxychloroquin und Azythromicin zusammen könnten eine der bahnbrechendsten Entwicklungen der Geschichte der Medizin werden."

23. März: Bei einer Pressekonferenz wiederholt Trump, Hydroxychloroquin habe eine "echte Chance auf eine enorme Wirkung". "Es wäre ein Geschenk Gottes, wenn es (gegen das Coronavirus) helfen würde." Im April raten die US-Behörden wegen Gesundheitsrisiken vom Einsatz des Medikamentencocktails ab.

29. März: "Jetzt ist von 2,2 Millionen Toten die Rede", sagt Trump mit Blick auf Medienberichte und Warnungen von Experten. "Wenn es (letztlich) zwischen 100.000 und 200.000 sind, haben wir alle zusammen einen sehr guten Job gemacht."

Die WHO als Zielscheibe der Kritik

2. April: Drei Monate nach Bekanntwerden der ersten Corona-Infektionen in China steigt die Zahl der nachgewiesenen Fälle weltweit auf mehr als eine Million. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Im Fokus stehen inzwischen längst andere Länder als China – vorneweg: Die USA. Das Land verzeichnet inzwischen mehr als 236.000 nachgewiesene Infektionen.

9. April: Die WHO veröffentlicht als Reaktion auf Kritik, sie habe zu langsam auf die Corona-Pandemie reagiert, eine Chronologie ihrer diesbezüglichen Stellungnahmen.

14. April: US-Präsident Trump setzt die Zahlungen an die WHO so lange aus, bis überprüft würde, welche Rolle die WHO bei der "schlechten Handhabung und Verschleierung der Ausbreitung des Coronavirus" gespielt habe. Trump wirft der WHO eine zu China-freundliche Haltung vor.

29. April: Die Zahl der Todesopfer in den USA durch das Coronavirus hat nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität inzwischen die Zahl der während des Vietnamkriegs getöteten US-Bürger überschritten. Bislang wurden in den Vereinigten Staaten mehr als eine Million Infektionen nachgewiesen – ungefähr ein Drittel aller weltweit diagnostizierten Fälle.

14. Mai: Die WHO warnt, dass das neuartige Coronavirus womöglich niemals verschwinden und die Welt damit leben müssen wird.

Trump nehme vorsorglich Hydroxychloroquin ein

18. Mai: US-Präsident Trump droht mit einem Austritt aus der WHO und wirft ihr vor, eine "Marionette Chinas" zu sein. Zugleich erklärt er vor Journalisten, dass er zum Schutz vor dem Coronavirus seit etwa anderthalb Wochen vorsorglich Hydroxychloroquin einnehme, weil er es "gut finde". "Ich habe viele gute Geschichten darüber gehört." Zur Vorbeugung nehme er außerdem Zink ein.

19. Mai: Die WHO-Mitgliedstaaten beschließen bei ihrer Jahrestagung eine unabhängige Untersuchung der Reaktion der UN-Unterorganisation auf die Corona-Pandemie.

25. Mai: Die WHO setzt wegen Sicherheitsbedenken klinische Tests des Malariamittels Hydroxychloroquin zur Behandlung von Coronavirus-Infektionen aus.

28. Mai: Die Vereinigten Staaten beklagen nun erstmals mehr als 100.000 Corona-Tote seit Beginn der Pandemie.

29. Mai: Trump kündigt den Ausstieg der USA aus der WHO an.

5. Juni: Das Krisenmanagement Chinas nach dem Ausbruch des Coronavirus war nach Ansicht der früheren Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Gro Harlem Brundtland, mangelhaft. "Die Verantwortlichen dort waren zu langsam, haben zu spät informiert", sagt Brundtland dem "Spiegel". Die WHO nimmt sie dagegen in Schutz. Sie sei auf die Zuarbeit der Mitgliedsländer angewiesen. "Die Experten der WHO haben von Anfang an darauf gedrängt, mehr aus China zu erfahren."

Mitte Juni: Nachdem so gut wie alle US-Bundesstaaten als Reaktion auf die Pandemie Beschränkungen angeordnet hatten, gibt es nun fast überall Lockerungen.

28. Juni: Die Zahl der täglichen gemeldeten Corona-Neuinfektionen ist nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf einen neuen Rekordwert geklettert. Binnen 24 Stunden seien weltweit 189.000 neue Fälle registriert worden. Auch in einigen Ländern, darunter die USA, sei der Anstieg auf Rekordhöhe.

30. Juni: Mehrere US-Bundesstaaten führen wieder Corona-Beschränkungen ein. So müssen etwa in Arizona Bars, Fitnesszentren und Kinos wieder schließen. Der Gouverneur des südwestlichen US-Bundesstaates, Douglas Ducey, verbot wieder Veranstaltungen mit über 50 Teilnehmern - und das nur eine Woche nach einem großen Auftritt von Trump in Arizona.

Trump: Virus wird verschwinden

1. Juli: Trotz eines dramatischen Anstiegs der täglichen Neuinfektionen in den USA glaubt Trump weiter an das Verschwinden des Virus. Die Wirtschaft werde sich bald wieder erholen und "das Virus wird irgendwann gewissermaßen einfach verschwinden", sagte der US-Präsident dem Fernsehsender Fox Business.

4. Juli: Die USA kämpfen weiter mit einem dramatischen Anstieg der Corona-Fälle. Mit rund 54.500 Neuinfektionen binnen 24 Stunden wurde laut Daten der Johns-Hopkins-Universität ein neuer Höchststand erreicht.

6. und 7. Juli: Die Vereinigten Staaten reichen offiziell ihren Austritt bei der WHO ein. Deren Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus warnt erneut davor, die Corona-Pandemie zu verharmlosen. "Der Ausbruch beschleunigt sich, und wir haben eindeutig noch nicht den Höhepunkt der Pandemie erreicht." Am selben Tag wurde bekannt, dass der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der die Gefahr durch das Virus wie Trump regelmäßig herunterspielt, selbst positiv getestet wurde.

Mittlerweile sind in den USA bereits mehr als 130.000 Menschen an den Folgen von Covid-19 gestorben - die mit Abstand höchste Zahl weltweit. Mit knapp drei Millionen bestätigten Infektionen wurden zudem mehr Corona-Fälle registriert als in jedem anderen Land der Welt. (afp/dpa/mf)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.