Dicke Luft zwischen Washington und Teheran, Drohgebärden auf beiden Seiten und Kritik an den Nato-Partnern: Die Ereignisse in der aktuellen Krise sorgen stündlich für neue Meldungen. Will der US-Präsident damit vom Impeachment-Verfahren ablenken oder sind seine Wahlchancen nun sogar gestiegen? Politikwissenschaftler Dr. Josef Braml spricht im Interview über Trumps Strategie und erklärt, wie sich der amerikanische "Middle East" von unserem "Nahen Osten" unterscheidet.

Ein Interview

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Die letzten Ereignisse zwischen Washington und Teheran wurden allgemein als Deeskalation gewertet: Beim iranischen Vergeltungsschlag gab es keine amerikanischen Opfer und Trump hat sich von Angriffen auf iranische Kulturstätten distanziert. Wie bedrohlich ist die Lage aktuell noch?

Dr. Josef Braml: Vorerst scheint die Lage zwischen den USA und dem Iran wieder entspannt. Nun rückt wieder der eigentliche Zankapfel in den Fokus: Das Atomabkommen, das jedoch aus amerikanischer Sicht längst nicht mehr gilt. Seit Trump es aufgekündigt hat, gibt es nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder die USA und Israel finden sich mit einer möglichen Atombombe Irans ab, oder sie tun das nicht und gehen mit Präventivschlägen gegen den Iran vor.

Die Iraner haben aus Sicht der USA jetzt erneut die Möglichkeit, ihr Verhalten zu verändern, also alle Aktivitäten einzustellen, die auch Israel bedrohen, seien es die Uran-Anreicherung und andere nukleare Aktivitäten oder regionale Machtspiele. Wenn die Iraner ihren bisherigen Kurs weiterführen, spielen sie mit dem Feuer.

Man darf sich nicht noch einmal täuschen und meinen, Trump wäre aus innenpolitischen Gründen daran gehindert, militärisch vorzugehen. Also: Entweder der Iran hört auf, Uran anzureichern und stellt seine Regionalaktivitäten ein, oder es kommt zum verschärften Krieg. Krieg haben wir bereits seit Längerem in der einen oder anderen Form.

Der Ball liegt also im Feld der Iraner?

Ja, die US-Regierung hat mit der gezielten Tötung Soleimanis der iranischen Führung unmissverständlich verdeutlicht, dass ihre bisherige Einschätzung der US-Strategie eine klare Fehlinterpretation war.

Die Iraner hatten angenommen, dass sie sich aufgrund amerikanischer Schwäche und des bevorstehenden Rückzugs der USA in der Region militärisch ausbreiten können. Iranische Strategen wie General Soleimani dachten, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die Schutzmacht USA aus der Region verschwinden würde und der Iran seinem Erzfeind Israel das Handwerk legen könne.

Aber die iranische Führung hat sich schwer getäuscht und sollte jetzt dringend umdenken. Um nicht das eigene Regime zu gefährden, sollte die iranische Führung nicht nur Frieden mit den USA, sondern auch mit Israel schließen.

Immer wieder wird diskutiert, ob Trump impulsiv oder nach teuflischem Kalkül handelte. Erkennen Sie eine Strategie in Trumps Iran-Politik?

Eine Strategie ist erkennbar und simpel: Israel und die USA teilen die Einschätzung, dass das Atomabkommen die iranische Gefahr nicht beseitigt hat und die Zeit, die der Deal Teheran gewährt hat, für den Iran spielt. Gemäß dieser Auffassung war es von Trump nur folgerichtig, den Deal aufzukündigen und Druck auf das Regime in Teheran auszuüben.

Die Europäer teilen diese Auffassung und dieses Vorgehen nicht. Sie denken, dass der Deal die Bemühungen Irans eingedämmt hätte. Gleichwohl wurden sie von den USA vor vollendete Tatsachen gestellt und konnten dem geoökonomischen Druck der USA wenig dagegenhalten. Die Amerikaner haben europäische Firmen aufgefordert, ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Iran preiszugeben, wenn sie nicht den amerikanischen Markt riskieren oder die Fähigkeit, weltweit über Dollar abzurechnen, verlieren wollen.

Die Europäer haben zwar mit der Zweckgesellschaft Instex, über einen möglichen Tauschhandel mit dem Iran, ihre Handlungsunfähigkeit etwas zu kaschieren versucht, aber das hat auch den Iran nicht überzeugt. Das Regime hat jetzt keine wirtschaftlichen Anreize mehr, sich an das Abkommen zu halten.

Trump forderte Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und China auf, nicht mehr am Atomabkommen mit dem Iran festzuhalten und das Regime als Gefahr zu erkennen. Wie sollte sich Deutschland positionieren?

Deutsche Diplomaten sollten zur Kenntnis nehmen, dass das Nuklearabkommen, trotz aller diplomatischen Mühen, nunmehr null und nichtig ist. Ein indianisches Sprichwort lautet: "Wenn das Pferd tot ist, steig ab." Eine weitere Realität ist, dass das, was die Amerikaner "Middle East" nennen, für uns der "Nahe Osten" ist - weil er tatsächlich näher ist.

Wenn die Amerikaner dort Bomben abwerfen, haben sie mit viel weniger Konsequenzen, vor allem Flüchtlingen, zu rechnen als der europäische Kontinent. Die europäischen Nato-Verbündeten sollten also ernst nehmen, was Trump von ihnen fordert und tatsächlich mehr für ihre eigene Sicherheit tun, auch im Nahen Osten.

Die außenpolitische Krise hat von innenpolitischen Themen abgelenkt. Dort steht das Impeachment-Verfahren ganz oben auf der Agenda. War es von Trump kalkuliert, so vom Impeachment-Verfahren abzulenken?

Das war nicht der Hauptgrund. Hier haben sich eher die Iraner geirrt, als sie meinten, sie könnten sich in der Region ausbreiten, weil Trump innenpolitisch angeschlagen sei. Es hätte jedoch der iranischen Führung klar sein sollen, dass Trump zurückschlagen würde, wenn sie ihm einen Kriegsvorwand lieferten – sie waren auf dem besten Weg dahin.

Trump würde eine bedrohliche Sicherheitslage nützen, um ein "unified government" hinter sich zu scharen. Denn es wäre dann selbst für die Demokraten im Kongress schwierig, dem Oberbefehlshaber und Präsidenten hier in die Hand zu fallen. Sie müssen sich hinter ihn stellen, Kritik und Kontrolle wären dann nicht mehr angesagt.

Sicherlich haben die Vorkommnisse auch Aufmerksamkeiten verändert. Der italienische Macht-Theoretiker Machiavelli hätte Trump bestimmt geraten, sich ein solches Scharmützel zu suchen, um von inneren Problemen abzulenken.

Welche Rolle spielt Außenminister Mike Pompeo?

Pompeo gilt als Hardliner, vor allem auch in der Iran-Frage.

Wie würde sich eine Kriegssituation auf Trumps Wahlchancen auswirken?

Ein Kriegspräsident hat bessere Karten, Wahlen zu gewinnen. Das gilt auch für die Präsidentschafts- und die Kongresswahlen in diesem Jahr. Trump hat nicht nur christlich-rechte Wähler hinter sich, sondern gewinnt durch die aktuelle Lage auch vermehrt jüdische Wähler für sich. Dabei spielt besonders der hart umkämpfte "Swing State" Florida eine wichtige Rolle.

Trump vermittelt seinen Wählern: ‚Wer an der Seite Israels steht, steht an meiner Seite, denn ich beschütze Israel vor dem Iran, der das Land von der Landkarte tilgen will.‘ Es geht dabei nicht nur um jüdische Wählergruppen, sondern auch um die Evangelikalen, die Kernwählerschaft der Republikaner, die aufgrund ihrer Heilserwartung ein großes Interesse an Israel haben.

Hat Trump nicht auch ein Wahlversprechen gegeben, Truppen aus den Krisenregionen zurückzuholen?

Ja das stimmt. Und er hat es ja auch schon teilweise eingelöst. Die Amerikaner haben bereits viele Bodentruppen abgezogen – auch, um ihre Verwundbarkeit im Falle einer militärischen Konfrontation zu reduzieren. Nach möglichen Präventivschlägen der USA sind nun weniger Ziele für Zweitschläge des Irans und seiner Milizen vor Ort.

Aber viele Demokraten sind auch misstrauisch gegenüber den Nachrichtendiensten …

Wenn der Iran einen "Casus belli", einen klaren Kriegsgrund liefern oder seine nukleare Bewaffnung weiter betreiben sollte, würde sich die Debatte auch bei den Demokraten schnell drehen und deutlich patriotischer werden.

Dann müssten auch die Demokraten für den Schutz Israels einstehen, nicht zuletzt auch, um ihre Wähler zu überzeugen. Ein Anschlag auf eine US-Botschaft könnte die Lage ebenso schnell zum Eskalieren bringen und innenpolitische Unterstützung für einen Waffengang der USA schaffen.

Dr. Josef Braml ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Autor des Buches "Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit". Aktuelle Analysen veröffentlicht er auch über seinen Blog "usaexperte.com".
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