Mit einem gemeinsamen Antrag wollen Politiker verschiedener Parteien ein AfD-Verbotsverfahren anstoßen. Eine der Initiatorinnen ist SPD-Politikerin Carmen Wegge. Im Interview erklärt sie, warum aus ihrer Sicht genau jetzt gehandelt werden muss.

Ein Interview

Mit ihrem Antrag haben Carmen Wegge (SPD), Marco Wanderwitz (CDU) und weitere Abgeordnete der Grünen, Linken sowie Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) eine breite Debatte befeuert. Sollte die AfD gerichtlich überprüft und womöglich verboten werden?

Mehr aktuelle News

Innerhalb der Politik ist man sich uneinig, das zeigt die Diskussion. Noch in diesem Jahr wollen die Abgeordneten ihren fraktionsübergreifenden Antrag im Bundestag zur Abstimmung stellen. SPD-Politikerin Wegge ist überzeugt: Die Zeit, die AfD zu überprüfen, ist gekommen.

Warum wollen Sie die AfD verbieten lassen, Frau Wegge?

Carmen Wegge: Ich will sie nicht verbieten lassen, ich möchte sie überprüfen lassen. Mehr kann der Bundestag sowieso nicht entscheiden.

Gemeinsam mit einer Gruppe von Abgeordneten aus CDU, Grünen und Linken haben Sie einen entsprechenden Antrag für ein Verbotsverfahren verfasst. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?

Der Antrag ist fertig, jetzt sammeln wir Unterschriften. Natürlich haben wir bereits die 37 Unterstützerinnen und Unterstützer zusammen, die es braucht, um einen solchen Antrag aus der Mitte des Bundestages einzubringen. Aber wir wollen den Antrag gerne breiter aufstellen und führen deswegen gerade viele Gespräche.

Der Verfassungsschutz will bis Jahresende ein neues AfD-Gutachten vorlegen. Wieso warten Sie dieses Gutachten nicht ab?

Wir haben mit Spannung wahrgenommen, dass es ein neues AfD-Gutachten geben wird. Wir wissen heute noch nicht, wie der Inhalt dieses Gutachtens lautet. Wenn durch dieses Gutachten alle Fraktionen zu einer gemeinsamen Haltung kämen, wäre das natürlich das Beste.

Es wäre also sinnvoller, das Gutachten erst einmal abzuwarten.

Theoretisch schon, aber da kommt uns der Verwaltungsdschungel im Bundestag in die Quere. Das Verfahren sieht so aus: Wir reichen den Antrag bei der Bundestagsverwaltung ein, dann dauert es zwei bis drei Wochen, bis wir eine Drucksachennummer bekommen. Dann ist der Antrag offiziell da und kommt auf die Tagesordnung im Plenum. Deswegen müssen wir uns genau überlegen, wann wir den Antrag einreichen. Aktuell ist alles im Fluss.

Von welchem Zeitraum sprechen wir?

Ich rechne damit entweder im November oder Dezember.

Vor einigen Jahren wurde ein Verbotsverfahren gegen die NPD angestrebt – und es ist gescheitert. Warum denken Sie, dass es bei der AfD funktionieren wird?

Als Juristin würde ich nicht sagen, dass das Verfahren tatsächlich gescheitert ist. Das Gericht hat damals festgestellt, dass die NPD verfassungswidrig ist. Sie war laut Urteil nur nicht gefährlich und groß genug, als dass sie eine Gefahr für die Demokratie hätte darstellen können. Das ist bei der AfD anders. Die AfD ist mittlerweile so groß, dass sie eine echte Gefahr für die Demokratie darstellt.

Kritiker meinen, dass es nur eine einzige Chance für ein solches Verbotsverfahren geben wird. Verpulvern Sie die gerade?

Ich teile die Auffassung, dass es nur eine Chance gibt. Uneinigkeit gibt es darüber, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ich bin der Meinung, dass die Voraussetzungen zur Verfassungswidrigkeit bei der AfD vorliegen. Ich frage mich: Worauf sollen wir warten?

AfD

AfD-Verbotsverfahren sorgt für Skepsis in der SPD

In der SPD stoßen die neuen Pläne für ein AfD-Verbotsverfahren auf Widerspruch. "Ein Verbotsantrag wäre jetzt politisch kontraproduktiv", sagte die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan.

Die AfD wurde in Thüringen und Brandenburg von einem Drittel der Menschen gewählt. Deren Einstellung können Sie nicht vom Bundesverfassungsgericht verbieten lassen.

Da will ich einmal klar sagen: Die Überprüfung der AfD ist keine Überprüfung der Wählerinnen und Wähler. Natürlich ist die Feststellung der Verfassungswidrigkeit kein Allheilmittel. Wir wissen aus der Populismus-Forschung, dass es unter AfD-Wählerinnen und -Wählern eine hohe Zustimmung zur Demokratie gibt und auch zu den Verfassungsorganen wie dem Bundesverfassungsgericht. Wir gehen davon aus, dass eine solche Feststellung des Verfassungsgerichts einen Weckruf darstellen könnte. In der Abwägung müssen wir aber auch auf die Mehrheit der Bevölkerung achten, die die AfD nicht gewählt hat.

Wie meinen Sie das?

Wir erhalten viel Unterstützung aus der Zivilgesellschaft. Es gibt eine Petition, die ein AfD-Verbotsverfahren fordert und mittlerweile von knapp 900.000 Menschen unterzeichnet wurde. In meinem Büro hat ein Bürger aus Schleswig-Holstein angerufen, der sich bedankt hat, dass wir diesen Antrag auf den Weg bringen. In seiner Familie gab es Opfer der NS-Euthanasie – also der planmäßigen Verfolgung von Menschen mit Behinderung. Menschen haben Angst vor der AfD und überlegen, ihr Bundesland zu verlassen oder auszuwandern. Diese Stimmen werden zu selten gehört.

Ein Verbotsverfahren ist das letzte Mittel im Umgang mit Parteien. Ist der Versuch, die AfD politisch zu stellen, gescheitert?

Der politische Kampf gegen die AfD hat nicht so funktioniert, wie er hätte funktionieren sollen. Da müssen wir uns selbst reflektieren und fragen: Woran liegt das, was müssen wir besser machen?

Und was müssen Sie besser machen?

Wir sind lange davon ausgegangen, dass Demokratie selbstverständlich ist. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich fände es deshalb wichtig, wenn sich beispielsweise die Bildungsministerinnen und -minister der Länder zusammensetzen und gemeinsam überlegen, wie junge Menschen für Demokratie begeistert werden können. Aber auch im Alltag sollten wir Werte besser vermitteln. Da müssen wir uns selbst an die Nase fassen und fragen, was wir dazu beigetragen haben, damit Hass und Hetze im Diskurs in diesem Land so stark werden konnten. Wir müssen zur Sachpolitik zurückfinden und dürfen nicht dazu neigen, extreme Forderungen in den Vordergrund zu stellen.

Wo muss sich die SPD an die Nase fassen?

Auch wenn es nicht unsere Intention war, hat sich aus der sicherheitspolitischen Debatte, die wir aktuell führen müssen, eine migrationspolitische Debatte rund um das Sicherheitspaket entsponnen. Hier müssen wir sensibler werden, am Ende gewinnen wir weder durch solche Vermischungen noch durch solche Debatten.

Über die Gesprächspartnerin

  • Carmen Wegge sitzt für die SPD im Bundestag. Die 35-jährige Juristin ist Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat und im Rechtsausschuss. Ihr Wahlkreis liegt im Süden von Bayern genauer gesagt in Starnberg – Landsberg am Lech. Gemeinsam mit Politikern anderer Parteien hat sie einen Antrag zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der AfD erarbeitet.

"Diese Leute werden sich blamieren, wenn sie mehr leisten müssen": Campino rät zu weniger Panik vor AfD und BSW

Bei "Markus Lanz" debattierte Musiker Campino gemeinsam mit Autorin Juli Zeh über die polarisierte Stimmung im Land sowie die teils aggressive Debattenkultur. Darüber hinaus forderte der Sänger der Toten Hosen weniger Panik vor AfD und BSW. © ProSiebenSat.1
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.