Dass sich eine Oppositionspartei an der amtierenden Regierung abarbeitet, ist nichts Ungewöhnliches. Doch in der CDU wurden dabei zuletzt Töne angeschlagen, die selbst prominenten Mitgliedern der Partei zu scharf sind. Parteienforscher Uwe Jun sieht im Ton der CDU zwar noch keinen Populismus, aber die Partei vor einem grundsätzlichen Dilemma.

Ein Interview

Herr Jun, CDU-Chef Friedrich Merz hat unlängst von einem "Justemilieu" der Ampel gesprochen, und den Grünen eine "penetrant vorgetragene Volkserziehungsattitüde" unterstellt. Der Thüringer CDU-Chef Mario Voigt nannte die Ampel mit Blick auf das Wärmeplanungsgesetz eine "Energie-Stasi". Rückt die CDU derzeit nach rechts?

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Uwe Jun: Das lässt sich jedenfalls nicht aufgrund von einzelnen Äußerungen schließen. Wir müssen das Grundsatzprogramm abwarten. Mit solchen Formulierungen geht es der CDU primär darum, Aufmerksamkeit zu erregen. In aufgeregten Zeiten ist das durch Pointierungen leichter möglich. Das Ziel der CDU ist es, dass nicht nur eine andere parlamentarische Oppositionspartei wahrgenommen wird.

Die CDU hat zuletzt rhetorisch aufgerüstet

Sie meinen die AfD. Aber trotz des zuletzt verschärften Tons kann die CDU sich in Umfragen nicht durchsetzen. Ihre Zustimmungswerte stagnieren, während die AfD einen Höhenflug feiert.

Genau das ist das Dilemma der CDU. Einerseits versucht sie klarzumachen, dass auch sie eine andere Politikidee als die Ampelkoalition hat. Aber andererseits wird ihr, obwohl sie zuletzt rhetorisch etwas aufgerüstet hat, kein Protestcharakter zugeschrieben. Die mit der Regierung Unzufriedenen wollen ihren Protest zum Ausdruck bringen und als Ventil dafür eignet sich die Union als zentrale Regierungspartei in der Geschichte der Bundesrepublik nun mal nicht. Auch deswegen kommt sie in Umfragen aktuell nicht voran.

Und spielt der AfD auch noch in die Karten, indem sie sich deren Ton annähert. Oder?

Angesichts der klaren Polarisierung der AfD ist es für die CDU schwieriger, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Deswegen kann es eben auch vorkommen, dass sie ähnliche Worte anschlägt, weil sie der AfD das Feld nicht überlassen will. Das kann man kritisch sehen. Aber ich erkenne nicht, dass die CDU der AfD inhaltlich substanziell näherkommt. Merz betont schließlich auch immer wieder, dass es keinerlei Kooperationen mit der Partei geben wird und grenzt sich deutlich von ihr ab.

Sie haben selbst gesagt, dass die Wählerinnen und Wähler die CDU nicht als Ventil wahrnehmen, mit dem sie ihren Protest zum Ausdruck bringen können. Hat die CDU noch das Potenzial, AfD-Wähler zu überzeugen?

Ich würde diejenigen, die derzeit angeben, dass sie die AfD wählen würden, in drei Gruppen einteilen. Sie haben die Stammwählerschaft der AfD, die teilweise von extremistischen, rechtspopulistischen und völkischen Anschauungen durchdrungen ist. Das ist eine Wählergruppe, die für die Union unerreichbar ist. Die anderen zwei Gruppen kann die Union aber durchaus für sich gewinnen, wenn sie ihnen passende Angebot macht.

Und was für Wähler sind das?

Diejenigen, die hauptsächlich aus Protest mit der AfD sympathisieren, weil sie mit dem Auftreten und der Politik der Regierung nicht einverstanden sind. Etwa beim Gebäude-Energiegesetz. Auch die Russlandpolitik ist, besonders in Ostdeutschland, so ein Thema. Die dritte Gruppe sind bürgerliche Wähler, die derzeit weder mit der FDP noch der Union etwas anfangen können, weil beide ihnen zu nah an rot-grünen Positionen erscheinen. Das ist die kleinste der drei Gruppen, die Merz in ihrer Quantität wohl überschätzt hat.

"Von einem Richtungsstreit zu sprechen, ginge zu weit.

Einige CDU-Politiker sehen es aber derzeit als unwahrscheinlich, dass man mit dem Ton, den die Partei zuletzt anschlug, Wähler von der AfD zurückholen kann. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther sprach etwa von "populistischem Draufhauen", das der Partei nicht helfe. Und er ist nicht allein mit dieser Meinung. Droht der CDU ein Richtungsstreit?

Von einem Richtungsstreit zu sprechen, ginge zu weit. Die Frage, die sich die Union stellen muss, ist: Mit welchen Mitteln versucht man bei Umfragen oder Wahlen erfolgreicher zu werden. Da gibt es unterschiedliche Ansichten, besonders zwischen den ostdeutschen und den westdeutschen Landesverbänden.

Inwiefern?

Die ostdeutschen Verbände nehmen die AfD viel stärker als zentralen Konkurrenten wahr, als es bei den westdeutschen der Fall ist. Deswegen kam auch die interne Kritik an solcherlei pointierten Tönen zuletzt aus dem Westen. Dort vertritt man viel stärker die Haltung: Wir sollten die politische Mitte adressieren. Im Osten sagen hingegen viele: Das reicht nicht aus, damit erreichen wir die Wählerinnen und Wähler nicht ausreichend und drohen Wahlen zu verlieren. Im Osten stehen nächstes Jahr schließlich wichtige Landtagswahlen an.

Aus westdeutscher Sicht unterlaufen Merz "gelegentlich Entgleisungen"

Merz selbst weist die Vorwürfe von populistischen Tönen von sich. Er erklärte jüngst, man müsse dem Volk "aufs Maul" schauen, ohne ihm "nach dem Mund zu reden". Sie würden also sagen, genau das gelingt der Partei, beziehungsweise Merz derzeit noch nicht?

Genau so können Sie es formulieren. Merz als Bundesvorsitzender muss darauf bedacht sein, dass sich alle Landesverbände hinter ihm versammeln können und die Partei zusammenhalten. Nicht zuletzt deswegen führt er das Wort gelegentlich rhetorisch aufgeladener. Aus westdeutscher Sicht unterlaufen ihm dabei gelegentlich Entgleisungen. Die ostdeutschen Landesverbände teilen diese Einschätzung hingegen nicht.

Die CDU profitiert kaum von der Schwäche der Ampel. Merz erklärtes Ziel, die AfD zu halbieren und ihre Wähler zurück zur CDU zu führen, liegt in weiter Ferne. Zuletzt kamen auch noch Spekulationen auf, dass Hendrik Wüst Merz die Kanzlerkandidatur bei der nächsten Wahl streitig machen könnte. Glauben Sie, dass Merz deswegen noch mehr in die verbale Offensive gehen könnte, um sich nach außen als starke Führung zu inszenieren?

Das kann ich nicht erwägen. Ich würde Herrn Merz aber sagen, dass das kein guter Weg ist, um die politische Mitte zu adressieren. Die braucht die CDU aber. Es wäre übrigens auch kein guter Weg, um seine persönlichen Zustimmungswerte zu steigern, die bedenklich niedrig sind. Ein populärerer Vorsitzender würde es der CDU erleichtern, wieder zurück ins Kanzleramt zu kommen.

Zur Person: Professor Dr. Uwe Jun wurde 1963 in Braunschweig geboren. 2003 habilitierte der Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam mit einer Arbeit zum "Wandel von Großparteien im Vergleich". Seit 2005 leitet er den Lehrstuhl für "Westliche Regierungssysteme: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland" an der Universität Trier. In seiner Arbeit befasst sich Jun schwerpunktmäßig unter anderem mit Parteien, Föderalismus und politischer Kommunikation.
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