Die SPD hat bei der Bundestagswahl ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. In Hamburg hält sie sich einigermaßen stabil. Dort will Bürgermeister Peter Tschentscher bei der Bürgerschaftswahl am Sonntag wiedergewählt werden – und die Fahne für die Sozialdemokratie hochhalten.
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Wie an diesem Mittwochmorgen in Deutschlands zweitgrößter Stadt. Die Genossen verteilen schon seit den frühen Morgenstunden Flyer. Eindeutiger Stargast: der Bürgermeister, Peter Tschentscher. Ihm wird die Wahlwerbung förmlich aus den Händen gerissen. Eine Schülergruppe bleibt für Selfies stehen, Tschentscher nimmt sich Zeit für jeden Einzelnen und jede Einzelne.
Für die SPD in Hamburg geht es in dieser Woche um alles. Nur eine Woche nach der Bundestagswahl heißt es in der Hansestadt: nochmal Kreuze setzen – für die Wahl der Bürgerschaft. Eigentlich ist es aber eine Personenwahl.
Tschentscher stellt sich als Bürgermeisterkandidat der SPD schon zum zweiten Mal zur Wiederwahl. Der Sohn einer Schneidermeisterin und eines Holzkaufmanns studierte in Hamburg Humanmedizin und Molekularbiologie, arbeitete später als Arzt am Universitätsklinikum Eppendorf. Erst mit 45 Jahren wechselte der Sozialdemokrat in die aktive Politik. Er wurde später unter anderem Hamburgs Finanzsenator, folgte 2018 auf
SPD schmiert bundesweit ab – nur in den hanseatischen Stadtstaaten nicht
Die SPD ist nach der Bundestagswahl vergangene Woche (16,4 Prozent laut vorläufigem Ergebnis) hart auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen. Tschentscher sagte vor Pressevertreterinnen und -vertretern: "Wir haben am Wahlsonntag gesehen, dass in diesem Land die politische Mitte zerbröselt." Hamburg sei bislang ein Gegenbeispiel gewesen. Das sei aber "kein Selbstgänger".
Deshalb sammeln die Sozialdemokraten in dieser Woche noch einmal ihre letzten Kräfte, stehen am Mittwoch beinahe an jeder U-Bahn-Station der Hansestadt. Man merkt ihnen, aber auch den Menschen in Hamburg, dennoch an: Viele sind froh, wenn sie keine Flyer mehr sehen müssen, sie wirken müde.
In Hamburg schaut derzeit ein starker und erfolgreicher Landesverband der eigenen Bundespartei beim Untergehen zu. Hier ist die SPD bei der Bundestagswahl wieder stärkste Kraft geworden – das ist sonst nur noch in Bremen der Fall. Die letzten Bastionen der Sozialdemokratie?
"Die Bundestagswahl hat auf vieles einen Einfluss, aber nicht auf unseren Wahlkampf in Hamburg", sagt Tschentscher unserer Redaktion an diesem Tag. Er will, "dass wir in Hamburg im Gegensatz zu vielen anderen Ländern und dem Bund ein Ort der Stabilität und Sicherheit in schwierigen Zeiten sind".
Derzeit steht seine Partei bei 32 Prozent in den Umfragen. Begeisterungsstürme lösen diese Zahlen bei den Genossen kaum aus. Vielmehr wecken die Zahlen Erinnerungen an 2004, als die SPD mit 30,5 Prozent ihr bisher schwächstes Nachkriegs-Ergebnis in der Hansestadt einfuhr.
SPD-Wahlsieg in Hamburg: Tschentschers Chancen stehen gut
Es sieht trotzdem so aus, als bleibe auch in Zukunft wenig Zeit für Tschentschers Hobbys: Krimis lesen und Klavier spielen. Denn die SPD liegt weit vor Grünen (zwischen 18 und 19 Prozent) und CDU (zwischen 17 und 18 Prozent). Damit hätte die bisherige rot-grüne Regierung weiter eine Mehrheit.
Peter Tschentscher geht es aber nicht um Umfragen. "Es geht mir darum, dass wir unsere Stadt politisch stabil weiterentwickeln", sagt er. Dazu gehöre, dass die Hamburger SPD die bestimmende Kraft wird, die auch eine stabile Regierung bilden kann. "Am liebsten aus meiner Sicht mit den Grünen", macht Tschentscher klar. "Aber natürlich ist es auch denkbar, mit anderen demokratischen Parteien ein Bündnis für die Stadt Hamburg zu schließen."
Sollte er weitere fünf Jahre seinen Posten behalten, würde Tschentscher als Hamburgs am längsten amtierender Bürgermeister in die Nachkriegsgeschichte eingehen.
Tschentscher wirkt im Umgang mit den Menschen manchmal fast schüchtern. Trotzdem versucht er, wo immer es geht, in der Stadt ins Gespräch zu kommen. Er hört aufmerksam zu, schaut die Leute direkt an. Nimmt sich Zeit für eine oftmals ausführliche Antwort. Das spüren die Hanseatinnen und Hanseaten, so wirkt es zumindest in den Gesprächen.
Die Beliebtheitswerte des Ersten Bürgermeisters sind mit 58 Prozent Zustimmung weiterhin hoch. Zum Vergleich: Nur 35 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger sind mit der Arbeit seiner Herausforderin Katharina Fegebank (Zweite Bürgermeisterin, Grüne) und 19 Prozent mit der von Dennis Thering (CDU-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft) zufrieden. Das geht aus einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des NDR hervor.
Was macht Tschentscher anders?
Dass Tschentscher überhaupt auf einen Wahlsieg hoffen darf, trotz der kritischen Lage, in der sich die SPD im Bund derzeit befindet, hat mehrere Gründe. Einer davon: Hamburg ist traditionell fest in der Hand der Sozialdemokraten. Schon seit 1957 regiert die SPD fast durchgängig im Senat – mit einer Unterbrechung von 2001 bis 2011, als der CDU-Politiker Ole von Beust an der Macht war.
Punkt zwei: Peter Tschentscher kümmert sich. Er bereitet jeden seiner Termine akribisch vor, kennt die Namen, Jahreszahlen, Meilensteine von Projekten. Das ist es allerdings auch, was viele seiner Kritikerinnen und Kritiker bemängeln. Er arbeite ganz nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, heißt es hier und da. Tschentscher mischt beinahe bei jedem im Senat mit. Dadurch kann manches auch mal länger dauern in der Hansestadt.

Ein weiterer Grund: Für sechs von zehn Hamburgerinnen und Hamburger ist bei ihrer Wahlentscheidung die Landespolitik wichtiger als die Bundespolitik. Und mit der Landespolitik sind die meisten Menschen in der Hansestadt einverstanden. 59 Prozent gaben in einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der ARD an, mit der Arbeit des aktuellen Senats sehr zufrieden oder zufrieden zu sein. Mit der Ampelkoalition im Bund waren kurz vor ihrem Aus nur 14 Prozent der Befragten zufrieden.
"Wir haben eine der höchsten Zustimmungen zu Landesregierungen", sagt Tschentscher. Er setzt in Hamburg voll auf seinen Amtsbonus. Dafür sprechen auch die Wahlplakate: Auf einigen davon sind sein Name und seine Partei nicht zu finden. Tschentschers Blick muss genügen.
Verwendete Quellen
- Begleitung von Peter Tschentscher und Interview vor Ort in Hamburg
- Tagesschau: Hamburger SPD hat trotz Verlusten die besten Karten
- Wahlumfragen
- dpa