• 49 Abgeordnete in der neuen SPD-Fraktion gehören zur Jugendorganisation Jusos – so viele wie noch nie.
  • "Man muss mit uns rechnen", sagt die Vorsitzende Jessica Rosenthal. Gleichzeitig betonen mehrere Jusos: Es gehe ihnen um konstruktive Politik, nicht um Revolution.
  • Wir stellen drei neue Parlamentarierinnen der Jusos vor.

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Zusammen sind sie im Bundestag größer als die gesamte CSU-Landesgruppe, zusammen sind sie auch größer als die Linksfraktion: 49 Abgeordnete der neuen SPD-Fraktion gehören zu den Jusos. Die SPD-Jugendorganisation wird im Parlament in Zukunft zweifellos mehr Einfluss haben.

In den Medien wird schon ehrfürchtig, fast ängstlich von der neuen Macht der jungen Sozialdemokraten berichtet. Ihre Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal sagt es im Gespräch mit unserer Redaktion so: "Man muss keine Angst vor uns haben, aber man muss mit uns rechnen."

Der Einfluss der Jusos ist gewachsen

Die Bonner Lehrerin Rosenthal ist bei der Bundestagswahl am 26. September selbst neu ins Parlament eingezogen. Für sie ist klar, dass die Jusos Akzente setzen werden: Sie wollen sich für bezahlbares Wohnen, für bessere Ausbildungsbedingungen und eine bessere Gleichstellung einsetzen.

Sie wollen aber auch die Frage stellen, welches Land Deutschland sein will. "Wir stehen für eine Einwanderungsgesellschaft, in der Schluss damit ist, dass man wegen des Nachnamens oder der Hautfarbe keinen Job oder keine Wohnung findet", sagt Rosenthal.

Die Jusos hätten in den vergangenen Jahren viele inhaltliche Impulse und Schritte der Gesamtpartei maßgeblich geprägt, sagt Rosenthal. Dass der Verband an Einfluss und Aufmerksamkeit gewonnen hat, hängt natürlich auch mit Kevin Kühnert zusammen. Der frühere Vorsitzende der Jugendorganisation ist jetzt ebenfalls Abgeordneter. Der Politik-Chef der "Bild"-Zeitung hat ihn schon zum "König" der Bundestagsjusos ausgerufen. Dabei ist Jessica Rosenthal die aktuelle Vorsitzende. Wenn überhaupt, müsste sie die Königin sein, oder?

Jessica Rosenthal: "Ich halte nichts von Personenkult"

"Das Gute ist, dass wir die Monarchie grundsätzlich ablehnen", sagt Rosenthal. "Alles andere würde dem Selbstverständnis unseres Verbandes, aber auch des Verständnisses von freigewählten Abgeordneten widersprechen."

Dass Kühnert als stellvertretender Parteivorsitzender eine bedeutende Figur ist, ist für sie selbstverständlich. "Wir verstehen uns aber als Team: ich in meiner Rolle als Bundesvorsitzende der Jusos und er als Juso im Parteivorstand. Ich bin auch gar kein Fan von Personenkult. Meine eigenen politischen Leistungen konnte ich immer nur vollbringen, wenn ich ein Team hinter und vor mir hatte."

Als Team haben die Jusos in der Tat Einfluss: Ohne sie geht nichts, denn ohne ihre 49 Stimmen hätte eine mögliche Ampel-Koalition keine Mehrheit im Bundestag. Allerdings sind die Jusos kein einheitlicher Block, der immer gemeinsam zur Abstimmung schreitet.

Nichts beschreibe das Jugenddefizit in der Politik stärker, als dass immer nur von "den jungen Menschen" gesprochen wird, sagt Rosenthal. "Wir Jusos sind in jedem Fall sehr unterschiedlich – und das ist auch gut so. Wir kommen aus unterschiedlichen Landesteilen, haben unterschiedliche Hintergründe und bringen eine vielfältige Perspektive mit. Ich glaube aber, dass es unser gemeinsames Anliegen ist, unserer Generation eine Stimme zu verschaffen und Fortschritt sozial zu gestalten."

Verena Hubertz: Start-up-Gründerin mit Begeisterung für die Ampel

Nicht ganz in das typische Juso-Klischee passt zum Beispiel Verena Hubertz. Tief im Südwesten der Republik hat die 33-Jährige bei der Bundestagswahl den Wahlkreis Trier-Saarburg gewonnen. Weil sie sich für den Mindestlohn einsetzen wollte, ist sie vor elf Jahren in die SPD eingetreten. Später gründete Hubertz die Koch-App "Kitchen Stories" mit heute rund 20 Millionen Nutzerinnen und Nutzern.

Parteiübergreifend setzt sich die Unternehmerin für einen "Zukunftsfonds 2.0" ein. Dieser Staatsfonds soll zur Hälfte aus der gesetzlichen Rentenversicherung finanziert werden und unter anderem in vielversprechende Start-ups investieren, um ihnen so Kapital zur Verfügung zu stellen.

Hubertz ist zwar für eine höhere Erbschaftssteuer. Bei der Einführung der Vermögenssteuer ist sie allerdings skeptisch. "Ich bin nicht generell dagegen. Wichtig ist, bei der Ausgestaltung die besondere Situation von kleinen und mittelständischen Unternehmen mit Blick auf das Betriebsvermögen zu berücksichtigen."

Die Sozialdemokratin will sich nicht in Schubladen stecken lassen. "Mit meinem unternehmerischen Hintergrund bin ich in vielen Fragen eher wirtschaftsnah. Aber ich bin auch in vielen Einstellungen links. Ich würde mich eher in die Mitte packen."

Die Jusos seien in erster Linie Abgeordnete ihrer Region, sagt Hubertz. "Wir bringen sicher frischen Wind in die SPD-Fraktion, aber wir planen keine Revolution. Wir wollen in der Fraktion zusammen mit allen anderen gute Arbeit machen. Juso ist nicht gleich Juso."

Im Gegensatz zu vielen anderen Jusos war und ist Hubertz keine Anhängerin eines rot-rot-grünen Bündnisses mit der Linkspartei, das im neuen Bundestag ohnehin keine Mehrheit hätte. Eine Ampel-Koalition war immer ihre Wunschkonstellation. "Ich fände die Ampel super. Ich glaube, dass sie einen echten Forstschritt für das Land bringen kann."

Maja Wallstein: Vom Fußballplatz auf die Parlamentsbank

Vom anderen Ende der Republik aus kommt Maja Wallstein in den Bundestag. Die 31-Jährige hat das Direktmandat im Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße gewonnen. Auf Twitter nennt sie sich "Krawallstein". Den Namen hat ihr einst die eigene Partei verpasst, als sie sich zur Studienzeit mit der Hochschulpolitik der SPD-geführten brandenburgischen Landesregierung anlegte. Heute trägt sie ihn mit Stolz: "Weil er für Politik mit Rückgrat steht."

Auf Krawall gebürstet ist die Sozialdemokratin gleichwohl nicht. Zu Wallsteins Zielen für die nächsten vier Jahre gehören typische SPD-Positionen: faire Löhne, Bürgergeld statt Hartz IV, Kindergrundsicherung, Bürgerversicherung. Nicht alles davon wird in einer Koalition mit der FDP umzusetzen sein.

Rote Linien will die Brandenburgerin aber nicht ziehen. Auch ihre Vorsätze klingen weniger nach Revolution als nach konstruktiver Politik. "Es ist immer traurig, dass man das eigene Wahlprogramm nie eins zu eins umsetzen kann", sagt Wallstein. "Aber das ist ja auch das Schöne an der Demokratie: dass man am Ende zu Kompromissen kommen muss. Das entspricht auch dem Willen der Bürgerinnen und Bürger."

Auch wenn sie demnächst in Berlin arbeitet: An den Wochenenden will Wallstein möglichst häufig weiter als Fußball-Schiedsrichterin auf dem Platz stehen: Sie pfeift Spiele in der Landesklasse der Männer und der Frauen-Regionalliga. "Wenn ein Spiel gut gelaufen ist, dann setzt man sich danach mit den Teams zusammen, trinkt noch ein Bierchen und hört Dinge, die wahrscheinlich hier in der Berliner Blase nicht ankommen würden."

Natürlich lassen sich auch einige Parallelen zu ihrer neuen Aufgabe ziehen. Was man auf dem Platz lerne, lasse sich auch in der Politik gebrauchen: "Man lernt, sich selbst zu kontrollieren. Man lernt, auch gegen Widerstände Gerechtigkeit durchzusetzen. Man wird nicht von Jubelstürmen empfangen und kann es nicht allen recht machen", sagt Wallstein. "Aber es geht immer um die Sache und nicht um die Person."

Wallstein findet es positiv, dass nicht nur in der SPD, sondern auch in den anderen Fraktionen viele neue Abgeordnete vertreten sind. "Wir sind zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle." Schließlich finde gerade in jedem Lebensbereich ein Aufbruch oder Umbruch statt: in der Pflege, im Klimaschutz, im Finanzsystem und in der internationalen Politik.

Eines ist für Wallstein klar: Der Satz "Das haben wir immer schon so gemacht" wird im neuen Bundestag künftig weniger Akzeptanz finden als früher.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Jessica Rosenthal
  • Gespräch mit Verena Hubertz
  • Gespräch mit Maja Wallstein
  • Twitter-Profil von "Bild"
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