Rund zwei Drittel der SPD-Mitglieder sind für den Eintritt in eine Koalition mit CDU und CSU. Die Parteiführung ist froh über das Votum – doch die Probleme der Sozialdemokraten sind damit noch nicht aus dem Weg geräumt.
Das Ergebnis ist deutlich: 66 Prozent der gültigen Stimmen beim SPD-Mitgliederentscheid entfielen auf das "Ja" – damit ist nach wochenlangen Querelen der Weg frei für eine Neuauflage von Schwarz-Rot.
Welche Bedeutung hat das Votum für die Partei und die nächste Bundesregierung? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:
Wie ist das Ergebnis einzuschätzen?
2013 hat die SPD schon einmal über die GroKo abstimmen lassen. Damals beteiligten sich knapp 78 Prozent der Mitglieder, rund 76 Prozent von ihnen stimmten mit "Ja".
In diesem Jahr haben sich bei leicht gestiegener Wahlbeteiligung zehn Prozent weniger Parteimitglieder für die GroKo ausgesprochen – allerdings war die Situation für die Parteiführung deutlich schwieriger.
Die Vorbehalte gegenüber einem Bündnis mit der Union sind noch einmal gewachsen, die Partei wirkt nach dem desaströsen Wahlergebnis vom September stark verunsichert.
66 Prozent Zustimmung unter den Teilnehmern des Mitgliederentscheids: Das sei vor diesem Hintergrund ein gutes Ergebnis, sagt Jörg Siegmund, Politikwissenschaftler bei der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. "Angesichts der Zustimmungsquote und der hohen Beteiligung lässt sich sagen, dass mehr als die Hälfte aller Mitglieder für den Koalitionsvertrag gestimmt haben."
Ob die Basis aber wirklich aus voller Überzeugung oder eher aus Angst vor der Alternative mehrheitlich für die GroKo ist – darüber sagt das Ergebnis nichts aus.
Hat der Mitgliederentscheid die Partei gestärkt oder geschwächt?
Das ist eine Frage der Perspektive. Für die SPD selbst sei das Prozedere ein Instrument für innerparteiliche Demokratie, urteilt Oskar Niedermayer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Auch Jörg Siegmund glaubt, dass die Parteiführung die Basis mit der Abstimmung gut eingebunden hat. "Der Mitgliederentscheid hat die Mitglieder dazu gebracht, den Koalitionsvertrag in die Hand zu nehmen – so dass allen klar ist, was verabredet wurde."
In der Außendarstellung sieht das etwas anders aus: "Die gesamte Kommunikation rund um den Mitgliederentscheid ist nicht glücklich gelaufen", findet Siegmund. "Nach außen war das ein sehr langwieriger Prozess, der der SPD nicht unbedingt genützt hat."
In den Umfragen ist die Partei auf einen historischen Tiefststand abgesackt. Das liege aber nicht am Mitgliederentscheid an sich, glaubt Oskar Niedermayer, sondern "am Führungschaos, das die SPD veranstaltet hat".
Was bedeutet das Ergebnis für die Arbeit der neuen Regierung?
Dazu haben die Experten unterschiedliche Einschätzungen. Jörg Siegmund betrachtet es als gutes Zeichen, wie intensiv und gleichzeitig sachlich die Partei in den vergangenen Wochen diskutiert hat. Auch der Juso-Vorsitzende und GroKo-Gegner
Hinzu kommt laut Siegmund, dass die SPD mit dem Koalitionsvertrag durchaus zufrieden sein kann: "Die Partei hat wichtige Forderungen durchsetzen und einflussreiche Ministerien besetzen können. Es wird jetzt darauf ankommen, wie sich der Vertrag im Regierungsalltag umsetzen lässt."
Politik-Professor Niedermayer glaubt dagegen nicht, dass die SPD mit dem Votum befriedet ist. "Die GroKo-Gegner werden weitermachen und sehr genau schauen, was vom Koalitionsvertrag umgesetzt wird." Zudem gehe es dem linken Flügel der Partei gar nicht nur um einzelne Programmpunkte, so Niedermayer. "Sie wollen einen generellen strategischen Wechsel hin zu einer Machtperspektive für eine rot-rot-grüne Regierung."
Ist die Krise der SPD jetzt vorbei?
"Überhaupt nicht", glaubt Oskar Niedermayer. "Die Partei muss diskutieren, wie sie sich inhaltlich aufstellen will." Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers hat die SPD es zum Beispiel vermieden, sich in der Flüchtlingspolitik klar zu positionieren – und in den vergangenen Jahren sowohl Wähler an die Linke als auch an die AfD verloren. "Auch die personelle Aufstellung ist nicht optimal, wenn man sieht, auf welche Vorbehalte Olaf Scholz als möglicher neuer Finanzminister in seiner eigenen Partei stößt", so Niedermayer.
Jörg Siegmund sieht die Krise der SPD eher im Zusammenhang mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen – nicht nur in Deutschland. "Wie anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa fällt es ihr zunehmend schwer, feste Wählergruppen anzusprechen. Der Wandel in der Arbeitswelt bringt es mit sich, dass der Partei ihre typische Klientel abhanden kommt."
Was wird aus Kevin Kühnert?
Der Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation und Anführer der GroKo-Gegner ist in kurzer Zeit zu einem der bekanntesten Gesichter seiner Partei geworden. Dass der 28-Jährige jetzt gleich ein einflussreiches Amt bekommt, gilt trotzdem als unwahrscheinlich. In den Gremien der Partei sei Kühnert als Juso-Chef ohnehin schon vertreten, sagt Jörg Siegmund.
Klar ist aber auch: Kühnert kann für die angeschlagene Partei ein Mann der Zukunft werden. "Man wird alles versuchen, Herrn Kühnert in irgendeiner Weise einzubinden", glaubt Oskar Niedermayer. Schließlich hat sich der Berliner auch über das Nein-Lager hinaus Respekt verschafft. "Kevin Kühnert hat sich profiliert, ohne Verletzte zu hinterlassen", sagt Jörg Siegmund. "Auf so ein Talent kann eine Partei nicht verzichten."
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