• Eine Woche vor den US-Kongresswahlen liefern sich Republikaner und Demokraten ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
  • Die Wahl fällt in eine Zeit, in der Amerika besonders polarisiert ist.
  • Einen Verlust der Demokraten im Kongress dürften auch die Europäer zu spüren bekommen.

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Wie gespalten die USA am Vorabend der Kongresswahl sind, zeigte sich am vergangenen Freitag auf hässliche Art und Weise. In den frühen Morgenstunden verschaffte sich ein Mann Zutritt auf das Anwesen der demokratischen Politikerin Nancy Pelosi, die als Sprecherin des Repräsentantenhauses eine der mächtigsten Frauen in der US-Politik ist, und verletzte ihren Ehemann mit einem Hammer schwer am Kopf.

Auch wenn vieles ungeklärt ist: Der Angriff galt weniger Paul Pelosi als seiner Ehefrau, die zum Zeitpunkt des Einbruchs auf Wahlkampftour in Washington weilte. Darauf deuten unter anderem Aussagen des Täters hin, der in den sozialen Medien Verschwörungstheorien verbreitet und während der Attacke "Wo ist Nancy?" gerufen haben soll.

Pelosis Ehemann, so heißt es, soll sich von dem Angriff vollständig erholen. Doch die Wahrscheinlichkeitsrechnung zeigt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis jemand nicht mehr dieses Glück hat. So sind nicht nur verbale Drohungen gegen Amtsträger fast an der Tagesordnung, auch tätliche Attacken häufen sich. Und sie richten sich gegen Politiker jeglicher Coleur. So versuchte im Juli ein Mann den republikanischen Kandidaten für das Gouverneursamt von New York mit einer Stichwaffe anzugreifen. Und im vergangenen Herbst wurde das Büro von Debbie Dingell, einer Abgeordneten der Demokraten, verwüstet. Der Angriff auf Pelosis Ehemann reiht sich in diese Attacken ein.

Kongresswahlen fallen in eine aufgeheizte Lage

Inmitten dieser aufgeheizten Lage, die durch immer teurere Lebensmittelpreise, Energiekosten und wirtschaftliche Schwierigkeiten noch einmal beschleunigt werden dürfte, sind die Amerikaner für den 8. November dazu aufgerufen, die politischen Weichen für die kommenden Jahre zu stellen. Bei den "Midterms" genannten Zwischenwahlen müssen sich die auf zwei Jahre gewählten Mitglieder des Repräsentantenhauses der Wiederwahl stellen. Zudem werden 35 der insgesamt 100 Senatssitze neu besetzt. Hinzu kommen zahlreiche Abstimmungen auf der Eben der Bundesstaaten und Kommunen.

Das Ergebnis dieser Zwischenwahlen, das frühestens in den Morgenstunden des 9. November und, sollten Stichwahlen notwendig werden, spätestens bei der konstituierenden Sitzung des neugewählten Kongresses am 3. Januar feststeht, ist in seiner politischen Bedeutung kaum zu überschätzen. Das liegt an den besonderen Aufgaben, die beide Kammern im amerikanischen System haben - darunter die wichtige Budgethoheit. So braucht die US-Regierung die Zustimmung des Kongresses, um humanitäre oder finanzielle Unterstützung zu leisten oder um militärische Ausrüstung an Verbündete zu liefern. Der Kongress hat außerdem die Befugnis, Krieg zu erklären. Sollte der Krieg gegen die Ukraine etwa massiv eskalieren, bräuchte Joe Biden die Zustimmung des Kongresses, um militärisch zu intervenieren.

Auch in der Gesetzgebung haben beide Kammern eine große Bedeutung. So werden die meisten Vorlagen für neue Gesetze sowohl in den Ausschüssen des Repräsentantenhauses sowie des Senats diskutiert. Erst wenn beide Kammern zugestimmt haben, werden die Vorlagen dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt. In manchen Bereichen gibt es darüber hinaus eine klare Aufabenteilung: Das Repräsentantenhaus kann im sogenannten Impeachment-Verfahren Regierungsbeamte, denen ein Verbrechen gegen den Staat vorgeworfen wird, im Senat vor Gericht stellen. Der Senat nimmt in diesem Fall dann die Rolle des Gerichts ein.

Insgesamt lässt sich sagen: "Der Senat ist mit Blick etwa auf die Außenpolitik wichtiger", erklärt Michael Hochgeschwender, Nordamerika-Experte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Das Repräsentantenhaus hingegen vor allem für die Budgetpolitik. Insofern sind beide Häuser bedeutsam, zumal sie bei der Gesetzgebung kooperieren müssen."

Demokraten droht der Verlust von mindestens einer Kammer

Mit 453 Abgeordneten ist das Repräsentantenhaus die größere der beiden Kammern und vergleichbar mit dem Deutschen Bundestag. Als Vertretung des Volkes im amerikanischen System werden die Sitze im Repräsentantenhaus proportional zur Bevölkerung verteilt. Jeder Bundesstaat bekommt mindestens einen Repräsentanten, mit etwa einem Repräsentanten je 700.000 Einwohner.

Im Senat hingegen werden analog zum Bundesrat in Deutschland die Sitze nicht proportional verteilt - jeder Bundesstaat erhält zwei Senatoren, unabhängig von der Größe. Diese Senatoren werden für insgesamt sechs Jahre gewählt, wobei die Wahlen gestaffelt werden, sodass es alle zwei Jahre eine Wahl von einem Drittel der Senatoren gibt.

Aktuell halten die Demokraten in beiden Kammern eine knappe Mehrheit - Joe Biden kann deshalb mehr oder weniger "durchregieren", also Gesetzte ohne Zugeständnisse an die Republikaner durch den Kongress hieven. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sich diese für Biden komfortablen Mehrheitsverhältnisse aber am 8. November ändern - zu Ungunsten seiner Partei. Das zeigt allein schon die Geschichte. Fast immer verlor in der Vergangenheit die Partei des amtierenden Präsidenten bei den Midterms viele ihrer Abgeordneten und die Mehrheit in mindestens einer der beiden Kammern.

Das war schon bei deutlich beliebteren Präsidenten als Joe Biden der Fall - im Lichte der desaströsen Umfragewerte des amtierenden Präsidenten ist ein solcher Ausgang der Wahl umso wahrscheinlicher. "Die Republikaner werden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den Senat gewinnen", erklärt Hochgeschwender. "Die Demokraten könnten aber das Repräsentantenhaus halten, wenn sie Glück haben und ihre Wähler mobilisieren." Beides sei im Moment aber noch nicht präzise absehbar.

Joe Biden ist kein Stimmenfänger

Die Demokraten haben früh erkannt, dass sich Joe Biden in diesem Wahlkampf nicht unbedingt als Stimmenfänger eignet. Im Wahlkampf hielt er sich auffällig zurück, äußerte sich nur gelegentlich und überließ zahlreiche Veranstaltungen seinem Vorgänger Barack Obama. "Biden wollte das Augenmerk der Öffentlichkeit vermutlich nicht übermäßig auf seine gelegentlichen Ausfallerscheinungen lenken", so Hochgeschwender. Was die Demokraten hingegen versuchten: Über Inhalte zu punkten. So mobilisierten die Demokraten insbesondere bei suburbanen weiblichen Wählergruppen massiv gegen eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, der das Recht auf Abtreibung gekippt hatte und konnten in den ersten Wochen nach der Entscheidung auch in den Umfragen massiv zulegen.

Bei den Republikanern zeigte sich hingegen Donald Trump trotz zahlreicher Verfahren, die derzeit vorbereitet werden, aktiv und trieb die Demokraten bei Themen wie der hohen Inflation, der prekären Wirtschaftslage und dem ungebremsten Zustrom illegaler Migranten vor sich her.

Einbrecher verletzt Ehemann von Nancy Pelosi schwer

Der Ehemann der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi ist von einem Einbrecher schwer verletzt worden.

Verlieren die Demokraten eine Kammer, drohen Folgen

Sollten die Demokraten tatsächlich mindestens eine der Kammern verlieren, könnte das Folgen haben, die weit über die amerikanische Innenpolitik hinausgehen. Biden wäre ab dem 3. November, wenn der neugewählte Kongress zusammentritt, eine sogenannte "Lahme Ente", ein Präsident ohne Durchsetzungskraft, der mit einem gespaltenen Kongress kein größeres Gesetz mehr verabschieden könnte.

"Biden wäre dann entweder darauf angewiesen, Kompromisse mit den Republikanern auszuhandeln, was schwer werden dürfte, vor allem wenn trumpistische Kandaten gestärkt werden", sagt Amerika-Experte Hochgeschwender. "Oder er muss, wie Obama und Trump, über Executive Orders regieren, was demokratietheoretisch nicht unproblematisch wäre." Hochgeschwender hält es für möglich, dass beide Wege ungangbar werden - spätestens dann wären alle Merkmale für eine "Lahme Ente" erfüllt.

Wahl könnte Einfluss auf den Ukraine-Krieg haben

Das wiederum hätte unmittelbare Folgen für den Ukraine-Krieg, bei dem es bislang einen parteiübergreifenden Konsens gegenüber der Biden-Linie gibt. Sollten, wie vorhergesagt, hauptsächlich Trump-Republikaner in das Repräsentantenhaus und in den Senat einziehen, könnten die Rufe nach einer Kürzung der militärischen, finanziellen und humanitären Mittel für die Ukraine und einer Verlagerung der Verantwortung nach Europa um einiges lauter werden. Schon jetzt gibt es anlässlich steigender Inflation und Energiepreise erste Bruchlinien.

Auch bei Fragen wie dem Atomabkommen mit dem Iran oder den Beziehungen zu Saudi-Arabien müsste sich Biden auf einen deutlich stärkeren Gegenwind einstellen. In jedem Fall gäbe eine Mehrheit der Republikaner in einer der beiden Kammern einen Vorgeschmack darauf, was eine Republikanische Präsidentschaft im Jahr 2024 innen- wie außenpolitisch bedeuten würde.
Und auch für Biden persönlich hätte eine massive Niederlage bei den Midterms vermutlich Konsequenzen. Nicht aus Zufall hatte der 79-Jährige angekündigt, sich um "eine zweite Amtszeit zu bemühen", eine endgültige Entscheidung aber nicht vor den Midterms zu treffen. Ein Verlust der Kongressmehrheit wäre zumindest kein Bewerbungsschreiben.

Über den Experten: Professor Michael Hochgeschwender ist Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2016 legte er "Die Amerikanische Revolution: Geburt einer Nation” (C.H. Beck) vor.

Verwendete Quellen:

  • Böll-Stiftung: Wie ein neuer US-Kongress die amerikanische Außenpolitik aufmischen könnte
  • fivethirtyeight.com: Aktuelle Umfragen zur Kongresswahl
  • nytimes.com: Who Is the Man Accused of Attacking Nancy Pelosi’s Husband?
  • washingtonpost.com: Democrats fear the midterm map is slipping away
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