Es ist eine besondere Parteitagsrede und überhaupt ein besonderer Parteitag: Markus Söder schwört die CSU und das ganze Land auf einen harten Corona-Winter ein. Und er liest aus Morddrohungen vor, die ihn regelmäßig erreichen.
Es ist vielleicht die entscheidende Passage dieses ohnehin denkwürdigen CSU-Parteitags, die noch länger in Erinnerung bleiben wird. Eine halbe Stunde hat
"Sie werden den morgigen Tag nicht mehr erleben", liest Söder vor. "Ich werde Sie erschießen, in Scheibchen schneiden und Tigern zum Fraß vorwerfen." Oder: "Dieser größenwahnsinnige Psychopath muss unbedingt schnellstmöglich am nächsten Baum aufgehängt werden." Noch einige weitere Zuschriften, eine kruder als die andere, liest der bayerische Ministerpräsident vor. "Schon ziemlich krass, oder?"
Und dann kommt Teil zwei dieser Szene: Söder schenkt sich Tee ein, in eine Tasse mit der Aufschrift "Winter is coming" aus dem auch von Söder überaus geschätzten US-Serien-Epos "Game of Thrones". "Durchschnaufen" müsse er erstmal, sagt Söder nach dem Vorlesen der Morddrohungen. Und dann, just als er den heißen Tee in die Tasse gießt, ist darauf plötzlich zu lesen: "Winter is here".
Söder spricht von "Naturkatastrophe" und "Prüfung"
Zwei zentrale Botschaften dieser Parteitagsrede hat Söder mit dem Zitieren der Morddrohungen und mit den Aufschriften der Tasse jedenfalls gesetzt. Zur Erläuterung: Botschaft eins, und das ist ja Söders zentrale Warnung seit Wochen angesichts der wieder steigenden Corona-Zahlen: Der Winter kommt - mit all den damit verbundenen Gefahren und drohenden Rückschlägen im Kampf gegen das Virus. Botschaft zwei: Das Land müsse zusammenstehen, um in dieser "Naturkatastrophe" (O-Ton-Söder), in dieser "Prüfung" für die heutige Zeit und die heutigen Generationen, zu obsiegen. Und in diesem Kampf will Söder allen Verschwörungstheoretikern, auch allen Demokratiefeinden und besonders Neonazis die Stirn bieten.
In Söders am Ende fast einstündiger Rede geht es natürlich in weiten Teilen um die Corona-Krise und den Kampf gegen das Virus. Wegen der hohen Infektionsgefahr hatte die CSU nach einem kleinen Parteitag im Mai auch diesen großen Parteitag zum ersten Mal in der CSU-Geschichte komplett ins Internet verlegt. Rund 700 Delegierte sind zugeschaltet, aus Wohnzimmern und Dachstudios, manche mit Kindern auf dem Schoß. Später werden zahlreiche Anträge diskutiert und verabschiedet. Doch im Fokus der Öffentlichkeit stehen Söder und dessen Rede, die er wie im Mai von seinem Schreibtisch im Parteivorsitzenden-Büro aus hält.
Söder: "Wir sind viel stärker, als wir glauben."
Söder will die breite Öffentlichkeit, aber offenbar auch noch manche Zweifler in seiner Partei, einschwören auf einen noch langen Kampf. "Corona ist mit voller Wucht, aller Macht wieder da, in ganz Europa", warnt er. "Die zweite Welle läuft." Man solle aber nicht ängstlich und kopflos sein, sondern besorgt - und optimistisch: "Wir sind viel stärker, als wir glauben. Wir können mehr, als wir denken", sagt er.
Söder macht klar: Er will grundsätzlich bei seinem vorsichtigen Kurs bleiben - dabei aber je nach Entwicklung der Infektionszahlen vor allem auf regionale Gegenmaßnahmen setzen. Und: Schule, Kita und Wirtschaft haben für ihn klar Vorrang vor Privatvergnügen. "Für mich als Christ ist es ethisch nicht vertretbar, für das Freizeitverhalten vieler das Leben weniger zu opfern." Mehr Vernunft und Vorsicht fordert Söder vor allem im Privaten: "Man kann Spaß haben mit weniger Alkohol, das geht doch auch." Und es sei schließlich besser, weniger extrem zu feiern, als nachher mit einem "Corona-Kater" aufzuwachen. Söder mahnt: "Es braucht schon eine Koalition der Freiwilligen, eine Koalition der Vernünftigen, ein Bündnis der Umsichtigen."
CSU steht hinter Söders Corona-Politik
Fakt ist, auch wenn es bei einem Online-Parteitag keinen Applaus und keinen Jubel gibt: Söder hat die CSU bei alledem klar hinter sich. Manche sähen ihn ja auch gerne als nächsten Unions-Kanzlerkandidaten.
Söder wiederholt aber, auch in der Parteitagsrede, es bleibe dabei: "Mein Platz ist immer bei euch, also in Bayern." Er rammt aber, was die Kandidatenkür angeht, deutliche Pflöcke für die CSU ein: Die CDU habe das Vorschlagsrecht - aber die CSU sei nicht nur da, um das dann abzunicken. "Keiner kann ohne die Stimmen aus Bayern und ohne die Unterstützung der CSU gewinnen", schreibt er den drei CDU-Anwärtern Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen ins Stammbuch.
Und trotz Schwerpunkt Corona: Söder richtet - wie man dies von einer Parteitagsrede erwarten kann - den strategischen Blick auch auf die Bundestagswahl in einem Jahr. Vor allem warnt er die Union angesichts der aktuellen guten Umfragewerte vor Siegesgewissheit. "Es wird ein Wimpernschlagfinale werden", mahnt er. Es werde "spannend wie nie".
Vor allem warnt Söder vor einem "linken Bündnis", dass SPD und Linke eindeutig anstrebten. Und auch bei den Grünen dürfe sich keiner täuschen, dass diese sich lieber für ein linkes Bündnis als für eine Koalition mit der Union entscheiden würden. Söder stellt die Frage: "Will man rebellische Regierungen haben oder gute Regierungen?"
Söder weiß vor allem eines: Bis zur Wahl ist es noch ein Jahr hin. Vor allem in Zeiten von Corona ist das eine halbe Ewigkeit. Und wie steht schon auf Söders Tasse: Erst einmal kommt bald der Winter. (dpa/fra)
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