China treibt der Ehrgeiz: Das Land der Mitte will zur Supermacht aufsteigen. Eine "sozialistische Großmacht" will Xi Jinping formen, verkündete der Staatschef auf dem Parteitagkongress. Wirtschaft, Militär, Forschung - ein Experte erklärt, wo China führend ist und wo es dem Westen bald den Rang ablaufen könnte.

Ein Interview

Staats- und Parteichef Xi Jinping will den chinesischen Traum verwirklichen: den "Wiederaufstieg der Nation". Dazu rief er auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei in Peking zu verstärkten Anstrengungen auf.

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Der "Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära" soll zum Erfolg verhelfen. "Die Aussichten sind rosig, aber die Herausforderungen sind ernst", sagte Chinas Alleinherrscher.

Xi Jinping betonte auf dem Parteikongress den Weltmachtanspruch seines Landes. Doch auf welchem Gebiet ist der Anspruch bereits Realität? Asien-Experte Professor Ralph Wrobel spricht im Interview über Potenziale und Ansprüche Chinas, Hemmnisse für Innovationen. Und er erklärt, weshalb die Europäer auf der Hut sein sollten.

Wirtschaft, Technik und Wissenschaft, Militär, Politik: Wo ist China weltweit am einflussreichsten?

Ralph M. Wrobel: Eindeutig in der Wirtschaft. China ist der weltweit größte Exporteur und hat trotz jüngster Einbußen immer noch relativ hohe Wachstumsraten. Die wirtschaftliche Machtentfaltung hat in den letzten Jahren noch einmal deutlich zugenommen, insbesondere im Bereich Südostasien und Zentralasien bzw. im asiatisch-pazifischen Raum. Wirtschaftlich ist ein Großmachtstatus erreicht.

Und militärisch?

China ist militärisch absolut noch keine Weltmacht, rüstet aber massiv auf. Das Land hat schrittweise die Macht im gesamtem Südchinesischen Meer übernommen. Es baut dort künstliche Inseln und stationiert Militär, um seine territorialen Ansprüche zu untermauern. Vor allem im südostasiatischen Raum beansprucht China eine Vormachtstellung.

In anderen Teilen der Welt ist das noch nicht sichtbar. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), mit Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, die schon als asiatische Nato bezeichnet wurde, ist bisher eher ein Wirtschaftsbündnis geblieben.

Holen die Chinesen auch in Wissenschaft und Technik auf?

Ja, aber das sehe ich zwiespältig. China holt massiv auf, indem zum Beispiel riesige Infrastrukturprojekte finanziert werden wie Straßen, Eisenbahnlinien oder Ölpipelines. China ist auch das Land mit den meisten Patentanmeldungen weltweit. Wir haben aber das Problem, dass Know-How aus Amerika oder Europa gestohlen wird beziehungsweise nur durch den Aufkauf von Firmen erworben werden kann. Die chinesische Wissenschaft und Technik ist nicht so innovativ, wie sie sein müsste.

Woran liegt das?

An der Gesellschaftsstruktur und insbesondere am Machtmonopol der Kommunistischen Partei (KP). Sie lässt nur begrenzte Freiheiten zu und reglementiert Wirtschaft und Wissenschaft zu stark. Man kann zwar mehr Wachstum befehlen, aber keine Innovationen oder Kreativität. Zu einem wirklich innovativen Land wird China mit diesem Gesellschaftsmodell nicht werden.

Trotzdem macht das Land in vielen Bereichen enorme Fortschritte. Geschieht das nachhaltig?

Nur zum Teil. Die KP hat immerhin gelernt, dass sie auch die Umwelt schützen muss und den Menschen im Land weitere Konsummöglichkeiten bieten muss. Dafür werden beispielsweise Erneuerbare Energien und Elektromobilität stark gefördert. China ist an einem Scheideweg angekommen. Die große Frage ist: Gibt es am Wirtschaftsmodell Reformen? Wird ein Demokratisierungsprozess angestoßen? Aber es sieht alles derzeit nicht danach aus.

Welche Entscheidungen aus der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass eine weltweite Vormachtstellung angestrebt wird?

2013 haben die Chinesen das Wirtschaftsprojekt "One Belt, One Road" ins Leben gerufen, eine Art neue Seidenstraße. Dabei geht es um den Aufbau eines interkontinentalen Infrastruktur-Netzes. Es soll den chinesischen Einfluss über Zentralasien, Russland, den Kaukasus und Nordafrika bis an die europäischen Grenzen ausbauen. Auch die militärische Weiterentwicklung wurde zuletzt vorangetrieben. Politisch hat China ebenfalls an Einfluss gewonnen.

Läuft Peking den USA langsam den Rang ab, was den politischen Einfluss betrifft?

Unter Donald Trump haben die USA nicht nur TTIP, das Freihandelsabkommen mit Europa auf Eis gelegt, sondern auch das Transpazifische Partnerschaftsabkommen TPP mit dem ostasiatischen und pazifischen Raum "eingestampft". Damit nimmt der US-amerikanische Einfluss in der dynamischsten Wachstumsregion der Welt ab. Hier müsste dringend gegengesteuert werden. In Klimafragen kooperiert Europa heute besser mit China als mit den USA.

Was sind Punkte, bei denen die neue Führung besonders aufs Gaspedal tritt?

Bei Technik und Wissenschaft. Das sieht man an der großen Zahl von Firmenübernahmen durch Chinesen in Europa und Nordamerika. Wenn China im Bereich Elektromobilität und autonomes Fahren an Europa vorbei etwas Bahnbrechendes entwickeln würde, wären wir nicht in der Lage zu kontern. Das wäre für die Automobilindustrie in Europa katastrophal. Deswegen machen die Chinesen da ganz viel Druck, um nach vorne zu kommen.

Welche Person oder welche Gruppe steuert diese Entwicklung?

Staats- und Parteichef Xi Jinping und eine Gruppe von Mitgliedern der Kommunistischen Partei, die engste Verbindungen in die Wirtschaft haben. Sowohl zu großen Staatskonzernen, aber auch in die Privatwirtschaft hinein. In China sind Politik und Wirtschaft extrem verflochten.

Wie groß ist eigentlich der Ehrgeiz der Eliten, den Westen zu übertreffen?

Sehr groß. China strebt an, neben den USA die zweite Weltmacht zu werden und sie langfristig sogar zu übertreffen. Sie dürften nicht vergessen, China bezeichnet sich als das Reich der Mitte. Warum? Auf ihrer Landkarte liegt China in der Mitte, östlich liegt Amerika, westlich Europa. Manche Chinesen sagen etwas zugespitzt: "Während wir vor 5.000 Jahren schon eine Kultur hatten, haben die Europäer noch auf Bäumen gelebt." Das Selbstbewusstsein ist groß, vor allem in der KP.

Ralph M. Wrobel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Westsächsische Hochschule Zwickau. Er befasst sich in Lehre und Forschung kontinuierlich mit der Entwicklung in China und den Konsequenzen für eine weitere Zusammenarbeit mit Europa.
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