Beamtenzahlen reduzieren, Geburtenzahlen ankurbeln, auf Landes- und Bundesebene mitregieren – AfD-Chef Tino Chrupalla sprach im ZDF-Sommerinterview über die Ziele seiner Partei. Dabei musste er auch Stellung nehmen zum Fachkräftemangel, zu sozialen Fragen und einem möglichen Nachfolger seines Amtes.

Eine Kritik
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Der Start ins ZDF-Sommerinterview, das am 6. August bei "Berlin direkt" ausgestrahlt wurde, verlief für Tino Chrupalla noch recht wohlwollend - dann musste sich der AfD-Chef aber die ersten Sticheleien gefallen lassen.

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"Brauchen Sie ab und zu mal diesen Abstand zu den eigenen Leuten?", wollte Moderatorin Shakuntala Banerjee von dem AfD-Politiker wissen, der gerade von der Europawahlversammlung in Magdeburg zurück in seinen Wahlkreis in Sachsen gekommen war.

"Abstand braucht man immer von der Berliner Politik, aber hier ist mein Heimatwahlkreis, meine Heimat", entgegnete Chrupalla. Dann kam Banerjee auch schon darauf zu sprechen, dass er als Co-Vorsitzender keinen einfachen Job hat. "Da sitzt man immer auf dem Schleudersitz", kommentierte die Journalistin.

Chrupalla im Sommerinterview: "Ist auch mein Verdienst"

Sie erinnerte ihren Interviewgast: "Momentan läuft es in der Öffentlichkeit vor allem für Ihre Co-Vorsitzende Alice Weidel besonders gut." Sie sei auf den Titelblättern und sei kürzlich bei einem viel beachteten Treffen in Thüringen von Björn Höcke eingeladen worden. "Sie waren nicht dabei. Warum geraten Sie gerade so in den Hintergrund?", stichelte die Moderatorin.

Chrupalla zeigte sich davon nicht angegriffen: "Das sehe ich nicht. Wir sind ein Team. Wir sind eine Doppelspitze." Er habe die Partei zusammen mit Alice Weidel zusammengehalten. Die guten Umfragewerte für die AfD erklärten sich auch damit, dass man als geschlossene Partei auftritt: "Ich denke, das ist auch mein Verdienst."

Chrupalla will Regierungsverantwortung

Banerjee wollte dann über den AfD-Anspruch auf Regierungsbeteiligung sprechen und über die Frage, was das konkret für Bürgerinnen und Bürger bedeuten würde. Sie erinnerte Chrupalla: "Sie haben auf Ihrem Europaparteitag gesagt 'Wir sind attraktiv, wir sind Volkspartei'". In einem Moment, in dem es bei Union und bei der Ampel schlecht laufe - "ist die Vorfreude da nicht verfrüht?"

Chrupalla verteidigte sich: "Es sind ja nicht bloß die Umfragen, die uns da bestätigen. Es sind natürlich auch die Wahlergebnisse, gerade auch auf kommunaler Ebene." Man habe einen Oberbürgermeister und einen Landrat gestellt. "Hier sieht man, dass wir auch auf kommunaler Ebene angekommen sind." Das sei Ansporn, auch auf Landes- und Bundesebene mehr zu erreichen und mitzuregieren. "Wir sind bereit für mehr", betonte er. Die Wähler würden erwarten, dass die AfD Verantwortung übernimmt.

Mehr als nur Protestpartei?

An dieser Stelle verpasste Banerjee es, Chrupalla darauf anzusprechen, wie ein Mitregieren aussehen soll, wenn die anderen Parteien eine Koalition mit der AfD ausschließen. Das wurde unter anderem im Sommerinterview mit Friedrich Merz ausgiebig thematisiert.

Stattdessen sprang Banerjee zu einem Zitat von AfD-Politiker Alexander Gauland, der gesagt hatte, die AfD verdanke ihre Zustimmung den Fehlern der anderen: "Hat er Unrecht?", wollte sie von Chrupalla wissen. "Nein, er hat nicht Unrecht", sagte der AfD-Chef. Natürlich profitiere auch die AfD von den Fehlern der anderen. Sie stelle aber, anders als andere Oppositionsparteien, wirkliche Alternativen zur "desaströsen Politik der Ampel-Regierung" dar.

Ob die AfD nicht nur inhaltsleere Protestpartei sei, provozierte Banerjee daraufhin. "Wir sind Protest- und Programmpartei", betonte Chrupalla. Man habe Alleinstellungsmerkmale etwa in der Sanktionspolitik, der Friedenspolitik in Europa, der Wirtschaftspolitik und bei der Kernenergie.

Chrupalla: Potenziale im eigenen Land heben

Banerjee wollte diese konkreten Vorschläge direkt hören und kam auf die angespannte Wirtschaftslage und den mangelnden Nachwuchs an Arbeitskräften zu sprechen. Wissenschaftliche Studien hätten mehrfach ergeben, dass das Problem ohne Zuwanderung nicht zu lösen ist. "Wie viele Arbeitsmigranten braucht Deutschland, um dieses Problem zu lösen?", fragte sie nach beim AfD-Chef.

Er schaue nicht auf die Zahlen, welche Arbeitsmigranten man jetzt brauchen würde, sagte Chrupalla: "Ich schaue auf die Zahlen, welche Arbeitskräfte bereits im Land sind und welche Potenziale wir im eigenen Land haben." Man habe in der eigenen Bevölkerung ausreichend Potenzial, welches man schöpfen müsse. Dazu zählten etwa Arbeitslose und junge Menschen ohne Berufs- und Schulabschluss.

Chrupalla: "Das ist moderner Feudalismus"

"Es kann nicht sein, dass Menschen in diesem Land jung und gesund sind, vom Staat leben und Menschen, die 40 Stunden arbeiten, das gleiche Geld bekommen. Diese Ungerechtigkeit muss aufgehoben werden", forderte er.

Es sei falsch, Fachkräfte aus dem europäischen Ausland zu holen, denn auch etwa in Bulgarien würden Ärzte und Pflegepersonal fehlen. "Wir maßen uns an, ein Industrieland mit 84 Millionen Einwohnern, diese Menschen abzuwerben. Das ist moderner Feudalismus", so Chrupalla.

Außerdem habe Deutschland eine zu hohe Staatsquote, es gebe zu viele Menschen im öffentlichen Dienst und der Beamtenschaft. "Wir haben eine viel zu hohe Bürokratie. Das muss reduziert werden", forderte er. In Deutschland sei jeder herzlich willkommen, "der der Sprache mächtig ist, der sich sofort hier in den Arbeitsmarkt begibt, der in unseren Sozialstaat einzahlen möchte", meinte er.

Geburtenzahlen ankurbeln

Ein Ansatzpunkt sei auch, eine Politik zu machen, die zu mehr Geburten im eigenen Land führe. "Wir haben eine desaströse Familienpolitik", kritisierte er. "Wir haben eine de facto Ein-Kind-Politik. Da müssen wir ansetzen", forderte Chrupalla.

Es müsse der Anspruch einer Industrienation sein, mit eigenem Nachwuchs Fachkräfte generieren zu können. Auch das Bildungssystem liege am Boden. "Das muss erstmal wieder auf Vordermann gebracht werden", sagte Chrupalla. Wie genau? Diese Antwort blieb er den Zuschauern schuldig.

Auch, als es um Menschen mit geringem Einkommen ging, kam wenig mit Substanz. Banerjee hielt Chrupalla vor, die Politik der AfD begünstige Untersuchungen zufolge vor allem Menschen mit einem Einkommen von mehr als 300.000 Euro. "Wir haben auch Konzepte für Geringverdiener", versprach Chrupalla.

20 Euro mehr – im Jahr

Banerjee rechnete ihm vor, ein Ehepaar mit zwei Kindern hätte mit AfD-Politik maximal 20 Euro mehr im Jahr. "Das ist doch keine echte Politikwende", merkte sie an. Chrupalla forderte Entlastungen in Form von geringeren Abgaben und nannte als Beispiel Kitabeiträge und Schulessen.

Zuletzt ging es um die Europäische Union. Auch hier konfrontierte Banerjee den AfD-Chef wieder mit Zahlen: Eine Berechnung der Bertelsmann Stiftung habe ergeben, dass jeder Bürger im Schnitt 1000 Euro Einkommen mehr im Jahr durch den EU-Binnenmarkt hat.

"Wo ist dann die Wende zum Besseren, wenn Sie das alles abschaffen?", wollte sie wissen. "Die Realität ist weit davon entfernt", kommentierte Chrupalla nur. Deutschland befinde sich in einer Rezession. "Wir wollen wieder nationale Entscheidungen dahin verlagern, wo sie hingehören, und das sind die nationalen Parlamente", sagte er. Es könne nicht sein, dass man in Berlin nur noch "Abnickkammer" für in Brüssel gemachte Gesetze sei.

Banerjee rechnete ihm noch einmal vor, dass eine Abschaffung der EU-Millionen Arbeitsplätze gefährdet. "Würden Sie das tatsächlich in Kauf nehmen für Ihren Umbau?", fragte sie. Chrupalla argumentierte, man wolle nicht alle Verträge kündigen, sondern einen Neustart für Europa. Starke Nationalstaaten sollten sich in einer EU verbünden. Dann fing er sich aber noch einmal einen bissigen Kommentar von der Moderatorin ein.

Björn Höcke als Nachfolger?

Als Chrupalla darüber sprach, dass man von einer unipolaren zu einer multipolaren Weltordnung mit mehreren Mächten komme und Regionalmächte in ihren Gebieten für Ordnung sorgten, wollte die Moderatorin wissen, wie genau das aussehen sollte.

"Die Grenzen sind ja klar definiert", meinte Chrupalla. "Russland sieht das anders zum Beispiel", kommentierte Banerjee. Dann wollte sie noch wissen, ob Björn Höcke wohl Chrupallas Nachfolger wird. "Das sind Personaldiskussionen, die ich jetzt nicht in der Öffentlichkeit führe", wiegelte er allerdings ab.

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