Die ehemalige Chefin des französischen Rassemblement National kritisierte die Pläne der AfD zur sogenannten "Remigration". Wie ehrlich ist ihre Kritik und inwiefern spalten die Pläne der deutschen Rechtspopulisten ihre europäischen Partner?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Marine Le Pen will prüfen, ob sie nach wie vor im EU-Parlament mit der AfD in der gemeinsamen Fraktion sitzen werde. Sie kritisiere die Pläne der AfD, so die frühere Vorsitzende des rechtspopulistischen Rassemblement National. Gemeint war der Plan von AfD-Mitgliedern, Migranten in deren angebliche Herkunftsländer zu "remigrieren", den das Recherche-Netzwerk "Correctiv" offengelegt hatte.

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Le Pen erklärte laut der französischen Zeitung "Le Monde" hierzu, sie sei mit "dem Vorschlag der AfD, der im Rahmen dieses Treffens diskutiert oder beschlossen wurde, nicht einverstanden." Vielmehr stehe sie dafür ein, "alle Franzosen, unabhängig von den Bedingungen, unter denen sie die Staatsangehörigkeit erworben haben", zu verteidigen. Menschen aus Zuwanderungsfamilien aus dem Land zu treiben, lehne sie ab.

Wie glaubwürdig ist diese plötzliche Distanzierung Le Pen von der AfD und wie sehr spalten die nun veröffentlichten Pläne von AfD-Politikern die Allianz der Rechtspopulisten in Europa?

"Rechtspopulistische Parteien in ganz Europa wollen die Migrationsgesellschaft zerstören"

Benjamin Opratko ist Experte für Rechtspopulismus und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und kulturelle Organisation der Leuphana Universität Lüneburg. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Rechtspopulistische Parteien in ganz Europa wollen die Migrationsgesellschaft zerstören. Das ist ihr Kernprogramm, ob in Frankreich, Deutschland oder anderswo." Inhaltliche Unterschiede seien ihm zufolge vernachlässigbar.

Auch Marine Le Pens Partei Rassemblement National stellt sich gegen die Migrationsgesellschaft. Sie fordert seit Jahren eine "nationale Präferenz". Ihrem Programm von 2022 zufolge sollen demnach nur Menschen mit französischem Pass eine umfängliche medizinische Behandlung erhalten, Anspruch auf Sozialwohnungen haben und bei Jobs bevorzugt werden. Außerdem will Le Pen Flüchtlinge mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Gefängnissen internieren.

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"Die FPÖ ist mit der AfD eng verbündet"

Die AfD hat laut Rechtspopulismus-Experte Opratko aber zwei Besonderheiten: "Erstens ist sie eine vergleichsweise junge Partei, in der noch viele Flügel und Fraktionen nebeneinander bestehen. Zweitens, damit verbunden, existieren in der AfD stärkere neofaschistische Strömungen, die bereit sind, Demokratie und Rechtsstaat zu zerstören, um ihre Ziele zu erreichen." Damit ist sie in einigen Punkten extremer als ihre europäischen Pendants.

Allerdings heißt das nicht, dass die Ansichten der AfD bei ihren europäischen Partnern überall auf Empörung stoßen, so Opratko: "Die österreichische FPÖ ist mit der AfD eng verbündet. Es gibt regen inhaltlichen und strategischen Austausch. Die bekannt gewordenen Deportations-Pläne der AfD wurden von FPÖ-Chef Herbert Kickl durchaus dankbar aufgegriffen."

Wie gut verstehen sich Europas Rechtspopulisten?

Die aktuelle Zusammenarbeit zwischen Rechtspopulisten in ganz Europa ist eher ein neueres Phänomen. Grundsätzlich gelte dem Rechtspopulismus-Experten zufolge: "Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien hatten immer Probleme bei der europaweiten Zusammenarbeit. Internationale Kooperation von nationalistischen Parteien ist eben grundsätzlich schwierig."

Rechtsaußen-Fraktionen im Europäischen Parlament seien deshalb in der Vergangenheit oft kurzlebig gewesen. Aber seit rund zehn Jahren stellten rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien und Bewegungen Europa inhaltlich stärker ins Zentrum, so Opratko: "Rechtsaußen-Regierungen wie die frühere Regierung Polens oder die aktuelle Ungarns mussten feststellen, dass sie ihre nationalen Ziele nicht so leicht durchsetzen können, wenn sie innerhalb der EU isoliert bleiben."

2024 ist für Rechtspopulisten in Europa wichtig

"Deshalb ist 2024 für sie so wichtig", so Opratko. Nicht nur wegen der Europawahl, sondern weil in Rumänien, Belgien und Österreich extrem rechte Parteien nationale Wahlen gewinnen und Regierungschefs stellen könnten. Damit würde ein größerer Rechtsaußen-Block, zusammen mit Ungarn und Italien, auch im Europäischen Rat entstehen. "Insgesamt erwarte ich also keine Brüche, sondern im Gegenteil mehr Kooperation zwischen rechtsextremen, rechtspopulistischen Parteien in Europa."

Opratko sieht daher auch nach den jüngst bekannt gewordenen Deportationsplänen der AfD und Le Pens Kritik daran keinen Riss zwischen der AfD und ihren europäischen Pendants. "Allenfalls gibt es taktische Manöver, wenn man meint, zu große Nähe zur AfD schade im jeweiligen Land bei Wahlen." So scheint es auch in dem Fall von Marine Le Pen zu sein, die sich offenbar in Vorbereitung auf die Wahl des EU-Parlaments im Juni besonders moderat geben will, um Wähler nicht abzuschrecken.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Benjamin Opratko ist Experte für Rechtspopulismus und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und kulturelle Organisation der Leuphana Universität Lüneburg.

Verwendete Quellen


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