Ayrton Senna gilt als einer der bedeutendsten Sportler der Welt. Die Verehrung des dreimaligen Weltmeisters der Formel 1 als Held und Ikone verstärkte dessen früher und tragischer Renntod im Alter von 34 Jahren. Zwei frühere Kollegen allerdings erinnern an die weniger verehrungswürdige Seite des einstigen Champions.

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Womöglich jagte Lewis Hamilton in der kommenden Formel-1-Saison, deren Start das Umsichgreifen des Coronavirus auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben hat, nicht den WM-Rekord Michael Schumachers - sondern den Ayrton Sennas.

Sennas Tod machte den Weg für Schumacher frei

Der Brasilianer aber, dessen geniegleiches Beherrschen eines Formel-1-Boliden unter anderen Hamilton dazu inspirierte, selbst Rennfahrer werden zu wollen, überlebte am 1. Mai 1994 nur sechs Runden des Großen Preises von San Marino in Imola. Deshalb steht heute Schumacher, der damals in Imola hinter Senna herhetzte, mit sieben WM-Titeln in den Listen - und Senna nur mit drei.

Senna wurde lediglich 34 Jahre alt. Dabei galt er vielen als unsterblich, natürlich vor allem Brasilianern und seinen Anhängern. Sie führten das auf Sennas speziellen Draht zum lieben Gott zurück.

Der gläubige Christ aber wusste, dass auch über sein Schicksal letzten Endes nur ein Fehler zu viel am Lenkrad eines Formel-1-Wagens entscheiden könnte.

Dass Senna während eines Rennens sterben musste, lag dann jedoch ironischerweise an einem schlecht gebauten Auto. In Imola brach seinerzeit bei Tempo 310 vermutlich die Lenksäule des Williams. Senna fuhr ihn in einem Rennen erst zum dritten Mal. Vertrauen hatte er in das Fahrzeug nicht.

Senna fuhr unter dem Eindruck des Tods von Ratzenberger

Hinein stieg er nur, weil er "nicht aufhören" könne. Das antwortete er Formel-1-Arzt und Freund Sid Watkins, als der vorschlug, zur Ablenkung "zum Fischen" zu gehen. Zwei Tage vor Senna war dessen Landsmann Rubens Barrichello im Training fast und 24 Stunden vor Senna der junge Österreicher Roland Ratzenberger im Rahmen des Qualifyings tatsächlich gestorben.

Senna setzten diese schweren Unfälle emotional schwer zu. So besessen der Sohn reicher Eltern davon war, in jedem Rennen der Schnellste zu sein, so wenig er in diesem Kampf weder sich noch seine Gegner schonte, so "einfühlsam" sei er gewesen. Sagt Marc Surer. Der Schweizer, als Jungspund im BMW-Tourenwagen selbst ein draufgängerischer Herausforderer der Arrivierten, erlebte 1984 Sennas Debüt in der Formel 1 mit und fuhr noch bis 1986 gegen den späteren Weltmeister.

Surer: "Senna, das waren zwei Personen"

"Das waren zwei Personen", erinnerte sich Surer im Gespräch mit unserer Redaktion an den "extremen" Menschen Ayrton Senna. "Er konnte unheimlich freundlich sein", betonte Surer, "konnte das aber auch irgendwie ausklammern."

"Ich erinnere mich an eine Situation nach meinem Unfall (Surer verletzte sich 1986 im Rahmen der Hessen-Rallye bei einem Feuer-Unfall schwer, sein damals 36-jähriger Freund und Beifahrer Michel Wyder starb, Anmerk. d. Verf.), als ich bereits für das Fernsehen arbeitete", erzählte Surer. "Ayrton kam in Monaco nach der Pressekonferenz von der Bühne runter. Er ging durchs Publikum und kam zu mir und hat mich gefragt, wie es mir geht. Der gleiche Senna konnte am nächsten Tag an einem vorbeilaufen und hat einen nicht gesehen. Mit einem totalen Tunnelblick."

Tommy Byrne: "Senna noch arroganter als ich"

Tommy Byrne geht noch einen Schritt weiter. Der Ire gehört zu den vergessenen Fahrern der Formel 1 - im Gegensatz zu Senna. Dabei bescheinigen alle, die Byrne am Steuer eines Rennwagens erlebt haben, dem heute 61-Jährigen mindestens so viel Talent wie Senna. "Der war sogar noch arroganter als ich", schrieb Byrne in seiner Biografie "Crashed and Byrned". Sie erschien im Jahr 2008, 14 Jahre nach Sennas Tod, und nicht weniger als 14 Seiten darin handeln von Ayrton Senna. Das ganze betreffende Kapitel ist mit dessen Namen überschrieben.

"Senna war reich und ein Schmerz in meinem Hinterteil", formulierte Byrne. Im Gegensatz zu Byrne, dem ordinären Iren aus einfachsten Verhältnissen, brachte Senna viel Geld nach Europa mit, um in England in den Formelsport einzusteigen. Der gelang ihm bei Ralph van Diemen. Dort fuhr auch Byrne, und der wurde dafür bezahlt. Im Gegensatz zu Senna. Dem seien die Erfolge Byrnes umso mehr ein Dorn im Auge gewesen.

Byrne war dem Import aus Brasilien immer um ein Jahr voraus: 1980 gewann Byrne die britische Formel Ford 1600, 1981 die EM der Formel Ford 2000, 1982 die britische Formel 3. Und dies, obwohl Byrne in jenem Jahr bereits ein Formel-1-Cockpit bei Theodore Racing bekam. Für Byrne aber reichte es trotz seines Naturtalents in dem unterlegenen Auto nur zu zwei Grand-Prix-Starts.

Senna kam bis zu seinem Tod 1994 auf 161 Rennen und holte drei Fahrer-Weltmeisterschaften. Geschickt, so Byrnes Einschätzung, habe Senna auf dem Weg zur Legende eine direkte Konfrontation mit ihm auf der Strecke aus Kalkül stets vermieden.

Senna wusste, wie schnell Byrne sein konnte

Senna habe eine Niederlage befürchtet, nachdem er sah, wie gut Byrne war. Der hatte in Sennas Wagen 1981 das Formel-Ford-Festival gewonnen und sich so für das abschließende F3-Rennen der Saison qualifiziert. Senna hatte sich zuvor überraschend heim nach Brasilien abgesetzt und gehofft, sein Widersacher würde in dem Festival versagen.

Byrne startete in dem wichtigen Lauf, weil sein Teamchef van Diemen ihn darum bat. Senna, die ganze Saison über der Dominator in der Formel Ford 1600, hatte schließlich gekniffen und van Diemen versetzt.

Als Senna 1984 bei Außenseiter Toleman in der Formel 1 unterkam, war Byrne dort jedoch schon kein Thema mehr. Er hatte weder Geld noch große Bildung zu bieten, nur Talent. Naturbursche Byrne war zudem zu offen und direkt, als es darauf ankam, McLarens Teamchef Ron Dennis von einem Engagement zu überzeugen. Dennis holte sich später lieber Senna. Byrne fuhr fortan in den USA und Mexiko.

Schon in der Formel Ford 1600 sei Senna, so Byrne, den Fahrerkollegen aus dem Weg gegangen. Eine Beobachtung, die sich mit der Surers deckt: "Wenn es ums Fahren ging, war er so fokussiert, dass er niemanden mehr gekannt hat."

Surer führte gegenüber unserer Redaktion weiter aus. "Manchmal haben wir uns gewundert und gefragt: 'Was ist denn mit dem los?' Beim nächsten Mal blieb er wieder stehen und hat geplaudert. Das war wirklich sehr interessant. Ich habe das nie bei jemandem so extrem gesehen."

Surer: "Heute setzen die Fahrer Kopfhörer auf"

Sennas Verhalten habe dessen Kollegen irritiert: "Wenn er dir entgegenkommt, du sagst 'Hallo', und er schaut schnurgeradeaus und sieht dich überhaupt nicht, dann denkst du: 'Ist er sauer auf mich, oder was ist los?'"

Einen ähnlichen Typen gebe es, so Surer, heute im Fahrerfeld nicht. "Heute haben sie Kopfhörer auf, damit sie nicht angesprochen werden."

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