Der Kantersieg zum WM-Auftakt rückt die deutsche Frauen-Nationalmannschaft automatisch in den Kreis der Favoriten. Der homogene Kader, eine einsichtige Bundestrainerin und selbst der neue Turniermodus machen Hoffnung auf den dritten-WM-Titel.
Es gehörte wohl zum guten diplomatischen Ton, dass Silvia Neid nach dem fulminanten 10:0-Sieg ihrer Mannschaft gegen die Elfenbeinküste immer noch die vermeintlichen Stärken des hoffnungslos unterlegenen Gegners herausstellen wollte. "Das 1:0 in der 3. Minute war sehr wichtig, um der Elfenbeinküste direkt mal den Zahn zu ziehen", sagte sie nach dem Spiel.
Der Auftakt der deutschen Frauen-Nationalmannschaft ins WM-Turnier hätte spektakulärer nicht sein können. Im ersten WM-Spiel nach der Schmach von vor vier Jahren mit dem bitteren Aus bei der Heim-WM gegen Japan (0:1) setzten die deutschen Frauen ein fettes Ausrufezeichen.
Natürlich war der Gegner an diesem Nachmittag in Ottawa nicht mehr als ein Sparringspartner, die Höhe des Triumphs und die Treffsicherheit der deutschen Offensive dürften dennoch Eindruck hinterlassen haben bei den restlichen Favoriten des Turniers in Kanada.
"Schaum vorm Mund"
"Es hätte heute schwer werden können, wenn wir nicht von der ersten Minute aggressiv gewesen wären", sagte Dauerläuferin Simone Laudehr nach dem Spiel. "Wir sind hellwach gewesen, jede von uns hatte Schaum vor dem Mund." Und nun ganz gewiss auch die nötige Sicherheit, um nach 2003 und 2007 den dritten WM-Titel in Angriff zu nehmen.
Die Chancen darauf stehen jedenfalls deutlich besser als in der hochgejazzten und völlig überhöhten Heim-WM vor vier Jahren. Damals erdrückten die Nebenschauplätze und die Erwartungshaltung die Mannschaft förmlich. Bis auf eine einzige Partie zeigte Deutschland ein schwaches, gehemmtes Spielniveau und schied folgerichtig früh aus.
Aus diesen Fehlern haben die Bundestrainerin und ihr Trainerteam gelernt. Der Druck wurde vor dem Turnier bewusst abgehalten von der Mannschaft. Neid hat sich auch von den Medien nicht in die Rolle des Topfavoriten schreiben lassen. Dass das Turnier im fernen Kanada stattfindet, bringt gleich zwei Vorteile mit sich: Die Mannschaft bekommt gar nicht mit, wenn in der Heimat die Euphorie wieder Kapriolen schlagen sollte. Und: Große Konkurrenten wie die USA oder Brasilien stehen vor Ort viel mehr im Fokus der Öffentlichkeit und damit unter Druck.
Ein Haufen Frischlinge
Der Kader ist deutlich verjüngt, neben dem Stamm an erfahrenen Spielerinnen wie Kapitänin Nadine Angerer, Annike Krahn, Stefanie Behringer, Simone Laudehr oder Celina Sasic und den ehrgeizigen Mittzwanzigerinnen (Saskia Bartusiak, Lena Goeßling, Alexandra Popp, Dzsenifer Marozsan), die noch nicht zu WM-Ehren gekommen sind, hat Neid gleich ein gutes halbes Dutzend Frischlinge mit nach Kanada genommen.
Pauline Bremer (19), Sara Däbritz (20), Lena Petermann, Melanie Leupolz, Lena Lotzen (alle 21), Jennifer Cramer oder Leonie Maier (beide 22) stehen für die neue Generation: Jung, aggressiv, hungrig - und trotz ihres fast juvenilen Alters schon erfahren. Sie alle haben die deutschen U-Mannschaften durchlaufen, einige waren auch schon bei der EM in Schweden vor zwei Jahren dabei.
Deutschland hat ganz sicher nicht den erfahrensten Kader, was besonders in den K.o.-Runden womöglich ein kleines Minus sein könnte. Andererseits wären inklusive Endspiel sieben statt bisher sechs Spiele zu absolvieren. Spätestens in der letzten Turnierwoche stellt sich erfahrungsgemäß auch die Kraftfrage.
Die neue Balance im Kader der Deutschen macht den Doppel-Weltmeister also eher gefährlicher. "Wir müssen keine Angst mehr haben zu wechseln", deutet Celia Sasic an, was in den letzten Jahren ein Problem war: Hinter den 13, 14 besten Spielerinnen des Landes klaffte eine Lücke, das Leistungsgefälle war zu groß. Jetzt ist das Team homogener aufgestellt - ohne den ganz großen Superstar, wie ihn andere Teams haben.
Einzug ins Achtelfinale: Nicht mehr als eine Formsache
Der neue Turniermodus mit erstmals 24 Mannschaften bringt zwar für den Zuschauer den Nachteil mit sich, dass hohe Siege wie der der Deutschen gegen die Elfenbeinküste ein Stück weit normal erscheinen und das Niveau nachhaltig nach unten ziehen. Auf der anderen Seite ist es für die DFB-Auswahl ein Vorteil, in der Vorrunde unter anderem gegen die Elfenbeinküste und Thailand zu spielen: So findet man sanft ins Turnier. Als Härtetest fungiert dann die dritte Vorrundenpartie gegen Norwegen.
Mit dem Kunstrasen in den kanadischen Stadien kommen die DFB-Mädels offenbar ganz gut zurecht. Der Einzug ins Achtelfinale dürfte nicht mehr als eine Formsache sein, selbst in der Runde der letzten 16 Teams wartet dann einer der Drittplatzierten aus den Gruppen A, C oder D - alles Teams vom (absolut machbaren) Kaliber: Niederlande, Ekuador oder Nigeria.
Erst im Viertelfinale kommen dann dickere Brocken: England oder Frankreich sind mögliche Gegner. Besonders den Französinnen werden in Kanada gute Chancen eingeräumt, bei der Titelvergabe ein ordentliches Wörtchen mitzureden. Für ein mögliches Halbfinale ist mit den USA oder Schweden als Gegner zu rechnen, sollten sich die Favoriten in ihren jeweiligen Gruppen als Sieger durchsetzen. Auf Brasilien, den vermeintlich immer noch schärfsten Konkurrenten, könnte die DFB-Auswahl wohl erst im Finale treffen.
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