Im Jahr 2009 lässt ein erfolgreicher brasilianischer Torhüter seine ehemalige Geliebte ermorden. Grausige Details kommen ans Licht. Er wird verurteilt, nach nur sieben Jahren entlassen, wieder eingesperrt, kommt 2019 in den halboffenen Vollzug - und findet im August 2020 tatsächlich einen Klub, der ihm einen Vertrag gibt. Die Geschichte von Bruno Fernandes de Souza ist brutal, unfassbar und wirft ein Licht auf den problematischen Umgang mit Gewalt gegen Frauen in Brasilien.
Dass Frauen ermordet werden, gehört in Brasilien fast schon zum Alltag. Alle paar Stunden wird dort eine Frau von einem Mann getötet. Meistens war der Mörder ihr Partner, Ehemann oder Geliebter. Im Dezember 2019 hatte das Land 1.206 Femizide zu verzeichnen. Das zeigt eine Statistik der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik.
Ebenso alltäglich in Brasilien: Fußballer, die wie Götter verehrt werden. Immer wieder taucht dort ein Stern am Fußballhimmel auf, der ein wenig heller als die anderen strahlt. Pelé, Ronaldo, Ronaldinho – sie sind die Sonnenkönige Brasiliens. Sie können sich alles erlauben. Fast alles.
Bruno Fernandes das Dores de Souza, genannt Bruno, war auch so ein König. Und wenn schon nicht ein Gott, dann zumindest ein Halbgott im Tor.
Brunos Weg zum Superstar
Bruno stammt wie viele brasilianische Fußballer aus ärmlichen Verhältnissen, wächst bei seinen Großeltern in Belo Horizonte auf, weil ihn seine Mutter nicht haben will. Am Wochenende spielt Bruno mit seinen Kumpels auf einem Bolzplatz, bis ihn ein Scout entdeckt und zu Atletico Mineiro holt.
Vier Jahre später wechselt er zu Corinthians São Paulo, soll dort aber nur Ersatztorwart bleiben. Daher lässt er sich lieber an Flamengo ausleihen, wo die Verletzung des Stammtorhüters Diego ihm Tür und Tor öffnet. Es dauert nicht lange und Bruno ist ein Superstar.
Die besten Paraden von Bruno
Mit drei Elfmeter-Paraden verhilft er 2007 Flamengo zur Staatsmeisterschaft von Rio de Janeiro. Danach wird er mit dem FC Barcelona in Verbindung gebracht. Doch Bruno bleibt in Brasilien. Warum soll er auch weggehen? Rio liebt ihn. Er hat das Leben, das er sich immer erträumt hat.
Bruno heiratet die Zahnärztin Dayanne Souza und zeugt mit ihr zwei Kinder. Doch das häusliche Leben reicht dem Torhüter nicht. Er ist jung, er hat Geld. Die Ehe existiert bald nur noch auf dem Papier.
Lieber schmeißt er Partys auf seinem Anwesen im Hinterland des Bundesstaats Minas Gerais, trinkt, hat teilweise vier Geliebte gleichzeitig. Immer wieder berichtet die brasilianische Boulevardpresse über ihn. In jedem anderen Land würde man Profis mit einem derartigen Lebenswandel hochkant aus der Mannschaft werfen, in Brasilien verzeiht man.
Vom Elfmeter-Killer zum Mörder
2009 holt Flamengo mit Bruno im Tor die brasilianische Meisterschaft. Der Torwart ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er ist als Elfmeter-Killer bekannt, Kapitän von Flamengo. Wenn jetzt nichts dazwischenkommt, wird er 2014 bei der Heim-WM für Brasilien zwischen den Pfosten stehen. Davon gehen die meisten Experten aus.
Es kommt aber etwas dazwischen. Im Mai 2009 endet die Party eines Flamengo-Kollegen in einer Orgie. Bruno hat Sex mit Eliza Samudio. So beschreibt Bruno später die Geschehnisse. Zeugen behaupten, Eliza und Bruno seien schon seit 2008 ein Paar gewesen.
Eliza ist genauso alt wie Bruno, sie geht als Teenagerin nach São Paulo, würde gerne als Fotomodel Erfolg haben, spielt aber stattdessen in einigen Erotikfilmen mit und schafft es so auf die Partys elitärer Kreise, zu denen auch viele Fußballprofis gehören.
In Brasilien gibt es einen Begriff für Frauen, deren größtes Ziel im Leben es ist, sich einen Fußballer zu angeln: Maria Chuteira. Auch Eliza scheint eine Maria Chuteira gewesen zu sein. Zumindest behaupten das ihre Freundinnen später, schreibt "Der Tagesspiegel".
Dass also im Mai 2009 bei der Party das Kondom platzt und sie schwanger wird, scheint für Eliza im ersten Moment ein Glücksfall zu sein.
Bruno ist davon allerdings überhaupt nicht begeistert. Als Eliza im fünften Monat ist, erstattet sie Anzeige. In einem Video-Interview mit der brasilianischen Zeitung "Extra" im August 2009 erzählt sie, Bruno habe sie entführt, sie geschlagen und sie gezwungen, eine Abtreibungspille zu nehmen.
"Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll, ob ich dich vielleicht einfach umbringen soll", habe der Torwart zu ihr gesagt. Sie habe sich gerettet, indem sie ihm versprach, die Schwangerschaft abzubrechen. Viele Medien zeigen ein Foto von Eliza, auf dem sie den Polizeireport hochhält. Unter ihrem pinken T-Shirt zeichnet sich schon deutlich ein Babybauch ab.
Ein Baby besiegelt Elizas Schicksal
Bruno hat Eliza ganz offensichtlich Angst gemacht. Sie bricht die Schwangerschaft trotz aller Drohungen aber nicht ab. Eliza taucht unter und bringt im Februar 2010 einen gesunden Jungen zur Welt. Sie nennt ihn Bruninho.
Als der "kleine Bruno" etwa vier Monate alt ist, tritt sie erneut auf ihren ehemaligen Liebhaber zu. Sie will Geld, zusätzlich zum Unterhalt, den ihr ein Gericht bereits zugesprochen hat: 1.000 Euro pro Monat und eine Mietwohnung, wie "Jungle.world" schreibt.
Eliza droht Bruno, sie werde die ganze Geschichte in der Presse ausschlachten. So rekonstruieren es später die Ermittler. Der Torhüter hat gerade ein millionenschweres Angebot vom AC Mailand auf dem Tisch, er will sich nicht mit seiner Ex-Geliebten herumschlagen. Zudem hat Bruno eigentlich gerade genug damit zu tun, sich von seinem Bad-Boy-Image zu lösen. Im März verharmlost er vor laufenden Kameras häusliche Gewalt: "Wer von euch, die verheiratet sind, hat sich noch nie mit seiner Frau gestritten oder eine Frau geschlagen? Männer und Frauen streiten, das geht niemanden etwas an." Da schimmert er mal wieder durch, der Machismo; die Überzeugung, dass Frauen, wenn sie den Männern auf die Nerven gehen, in ihre Schranken verwiesen werden müssen.
Der Mord an Eliza Samudio
Am 07. Juni 2010 lockt Bruno Eliza unter dem Vorwand einer Einigung auf sein Anwesen in Belo Horizonte. Er hat Komplizen dabei, darunter den Ex-Polizisten und Auftragsmörder Marco Santos, genannt Bola, und seinen besten Freund Luiz Henrique Romao. Auch Brunos Frau Dayanne und sechs weitere Menschen sollen von Brunos Plänen mindestens gewusst haben.
Eliza wird entführt und festgehalten, man nimmt ihr das Baby weg, sie wird geschlagen und gequält. "Der Mörder hat ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden und sie sagte zu ihm: 'Ich halte es nicht mehr aus, geschlagen zu werden' und er sagte zu ihr: 'Wir schlagen dich nicht mehr. Du wirst sterben.' Dann hat er die Hände um ihren Hals gelegt und sie erwürgt." So beschreibt Ermittler Edson Moreira später Elizas letzte Atemzüge.
Eigentlich sieht der Plan vor, auch das Baby zu töten, doch dann wird Brunos Sohn zu Bekannten der Familie Souza gebracht. Das Kind soll später auftauchen. Es soll so aussehen, als wäre Eliza vor der Verantwortung geflüchtet. Tage nach Elizas Verschwinden finden Polizisten das Baby in Belo Horizonte und übergeben es Elizas Familie. Heute lebt der Junge bei seiner Großmutter, Elizas Mutter.
Bruno geht weiter ins Training. Als die Polizei schon fieberhaft nach Eliza sucht, lässt er von seinem Anwalt ausrichten, er bete, dass Eliza wieder auftauche. Flamengo streicht den Torhüter für das nächste Spiel dennoch vorsichtshalber aus dem Kader.
Wenige Tage später dann die Gewissheit: Eliza ist tot. Brunos 17 Jahre alter Cousin erzählt der Polizei, der Torhüter sei bei dem Mord an Eliza anwesend gewesen. Auftragsmörder Bola habe die Leiche der jungen Frau zerhackt und an seine Rottweiler verfüttert. Später widerruft der Jugendliche seine Aussage, er habe unter Drogen gestanden, die Polizisten hätten ihm Gewalt angedroht. Seine Version der Ereignisse scheint dennoch glaubhaft.
Bruno taucht zunächst unter, stellt sich nach einigen Tagen aber der Polizei, bestreitet jedoch, irgendetwas mit dem Verschwinden von Eliza zu tun zu haben. Später räumt er ein, er sei bei ihrer Ermordung dabei gewesen, habe sie jedoch weder beauftragt, noch sich daran beteiligt. Vor Gericht sagt er: "Ich habe akzeptiert, dass es passiert."
Von Elizas Leiche fehlt trotz der Bemühungen der Ermittler weiter jede Spur. Doch sie haben Indizien, Blut in Brunos Auto, Telefonmitschnitte, die Aussage seines Cousins, Brunos Eingeständnis, dass Eliza tot ist.
Brasilien im Ausnahmezustand
Da ist Brasilien schon lange im Ausnahmezustand. Jede vermeintliche Information, jedes noch so kleine Puzzleteil, jede Spekulation wird in den Medien ausgeschlachtet. Jeder hat etwas dazu zu sagen. Bruno füttert die Medien, weint im Gefängnis, spielt weiter das Unschuldslamm. Sein größtes Problem scheinbar: "Die Hoffnung auf die WM 2014 kann ich jetzt wohl begraben."
Die Richterin glaubt Bruno kein Wort. Sie bescheinigt dem Torhüter "eine verdrehte Persönlichkeit", die Geschworenen hätten ihn als "gewalttätige, kaltblütige und hinterhältige Person" empfunden, die "einen teuflischen Mordplan ausgeheckt" habe. Bruno wird zu 22 Jahren Haft verurteilt.
Nach nur sieben Jahren Gefängnis kommt Bruno Anfang 2017 überraschend auf Bewährung frei. Der Zweiligist Boa Esporte sichert sich die Dienste des "Mord-Torwarts", wie er inzwischen in den Medien genannt wird. Ein Aufschrei geht durch Brasilien. Esporte verliert Sponsoren, Bruno erklärt: "Es ist mir egal, was die Leute sagen." Den Mord an Eliza tut er als "Fehler" ab.
Aber nur zwei Monate nach seinem umstrittenen Comeback und fünf Spielen für Esporte schickt der Oberste Gerichtshof in Brasilia Bruno wieder zurück ins Gefängnis. Der Richter, der Brunos Freilassung angeordnet hatte, steht mit seiner Meinung allein auf weiter Flur. Elizas Mutter zeigt sich laut "Guardian" gegenüber lokalen Medien erleichtert: "Es war abstoßend, wie er da lachend aus dem Gefängnis kam." Doch ihre Erleichterung wird nicht lange währen.
Bruno spielt wieder
2019 wird Bruno in den offenen Vollzug verlegt, im Sommer 2020 findet er einen neuen Verein. Auch beim brasilianischen Viertligisten Rio Branco FC löst die Verpflichtung Fassungslosigkeit aus. Der Hauptsponsor zieht sich zurück, doch Präsident Valdemar Neto hält an Bruno fest, zeigt sich von den Reaktionen sogar überrascht: "Nie hätte ich gedacht, dass die Verpflichtung von Keeper Bruno so einen Nachhall in den sozialen Netzwerken haben würde", erklärt er in einem Youtube-Video und endet seinen Vortrag mit biblischer Gravitas: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein."
Die Trainerin der Frauenmannschaft von Rio Branco will die Entscheidung ihres Präsidenten jedenfalls nicht mittragen. Sie kündigt unmittelbar nach der Verpflichtung Brunos. Auf Facebook schreibt sie, was viele in Brasilien denken: "In meinem Verständnis legitimiert diese Gelegenheit, die Torhüter Bruno erhält, die Unwirksamkeit der Gesetze in unserem Land und sozialisiert die Straffreiheit für Frauenmorde weiter."
Brunos neuen Verein scheint das wenig zu kümmern. Rio Branco führt die Tabelle in der Staatsmeisterschaft von Acre an. Und Bruno soll als neuer Kapitän der Mannschaft dafür sorgen, dass es so bleibt.
Verwendete Quellen:
- "Amerika21.de": Erschreckende Bilanz bei Frauenmorden in Lateinamerika
- "Tagesspiegel.de": Sex, Fußball, Mord: Tod einer Pornoschauspielerin
- "Spiegel" (51/2010): Mord ohne Leiche
- "Jungle.world": "Aufstieg und Fall des Bruno Fernandes de Souza"
- "Spiegel.de": "Der Torhüter, die Schöne und der Auftragsmord"
- "rund-magazin.de": Urteil gegen Bruno Fernandes
- "Theguardian.com": Brazilian goalkeeper guilty of murder back in prison after brief return to football
- "Stern.de": 'Mord-Torwart': Der tiefe Fall von Brasiliens Superstar Bruno
- "faz.net": Torwart 'Bruno' zu 22 Jahren Haft verurteilt
- "spiegel.de": Er ließ die Mutter seines Kindes ermorden, jetzt spielt er wieder Fußball
- "bild.de": Viertligist holt Frauen-Mörder als Torwart
- "esportes.r7.com": Deboche. Bruno volta e é capitão. Rio Branco envergonha o Brasil
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