Es erscheint befremdlich, wenn der deutsche Rekordmeister einen jungen Spieler verpflichtet, der in der Premier League kaum zum Einsatz kam und bislang nur als U-Nationalspieler richtig auftrumpfte. Erst auf den zweiten Blick erweist sich der Transfer als ein perspektivisch kluger Schachzug.
Eigentlich galt die Transferplanung vom FC Bayern München als abgeschlossen. Doch haben sich die Verantwortlichen an der Säbener Straße offenbar umentschieden. Laut Informationen von Sky Sport News HD und der Syker Kreiszeitung steht Serge Gnabry kurz vor einem Wechsel zum FC Bayern München.
Allerdings soll der Offensivspieler dort zunächst nicht zum Einsatz kommen. Laut Medienberichten wird Gnabry direkt an den SV Werder Bremen verliehen, die einen Ersatz für den verletzten Max Kruse benötigen.
Das "German Wunderkind"
Für Werder hätte es kaum einen besseren Deal geben können. Bietet eine Ausleihe doch die Möglichkeit, eine vorübergehende Kaderlücke für wenig Geld zu schließen. Doch was hat der FC Bayern München davon, einen Spieler zu verpflichten, der sich in der Premier League nicht einmal ansatzweise durchsetzen konnte?
Ein kleiner Rückblick: Der Deutsch-Ivorer verließ 2011 die Nachwuchsabteilung des VfB Stuttgart, um sich bei Arsenal London ausbilden zu lassen. Seine Stärken hatten sich herumgesprochen: Gnabry ist schnell, technisch stark und torgefährlich.
"Ich habe mir dort gute Chancen ausgerechnet, weil bei Arsenal schon viele junge Spieler den Sprung nach oben gepackt haben", erzählte Gnabry einmal auf DFB.de. Sein Vater, der früher auch sein Trainer war, begleitete den Jugendlichen nach England.
Die ersten Jahre waren vielversprechend. Mit 17 Jahren gab er sein Profidebüt, wurde sogar in der Champions League gegen Schalke 04 eingewechselt. In England wurde er bereits als das "German Wunderkind" bezeichnet. Doch konnte er den vielen Vorschusslorbeeren nicht gerecht werden.
Die Saison 2013 / 2014 machten ihm zwei Knieverletzungen schwer zu schaffen. Danach fand er den Anschluss nicht mehr. In vier Jahren kam er insgesamt nur auf elf Einsätze in der Premier League.
Vom Sorgenkind zum Olympia-Star
Vergangene Saison wurde er an den schwächeren Ligakonkurrenten West Bromwich Albion verliehen, um Spielpraxis zu sammeln. Die magere Bilanz: Gnabry kam in der Liga lediglich auf einen Kurzeinsatz über zwölf Minuten. Noch in der Winterpause wurde die Leihe abgebrochen. Gnabry spielte wieder für die U 23 von Arsenal.
West Bromwich Trainer Tony Pulis sagte gegenüber der Birmingham Mail: "Er ist natürlich hierher gekommen, um zu spielen. Aber es war einfach nicht der richtige Moment, um ihn auf dieser Ebene auflaufen zu lassen. Er kommt nun einmal vom Nachwuchsfußball, hat noch nicht viel in der Liga gespielt." Fraglich also, warum Gnabry ausgerechnet in der Bundesliga der große Durchbruch gelingen soll. Und das auch noch bei den Bayern, wo bereits viele Top-Spieler gescheitert sind.
Eines ist sicher: Die Olympischen Sommerspiele haben das Interesse an Gnabry ordentlich geschürt. Sechs Tore trug er zum Gewinn der Silbermedaille bei. Er traf sogar häufiger als Superstar Neymar. Gemeinsam mit Mannschaftskamerad Nils Petersen wurde er Türschützenkönig von Rio. Danach hatten viele Top-Vereine den U-21 Nationalspieler auf dem Zettel.
Schalke-Manager Christian Heidel sagte gegenüber der WAZ: "Bis auf Bayern beschäftigen sich 17 von 18 Bundesligaklubs mit ihm." Da hatte er sich offenbar getäuscht. Tatsächlich ist erst auf dem zweiten Blick erkennbar, dass Gnabry durchaus eine gute Verpflichtung für den Rekordmeister sein könnte.
Eine Investition in die Zukunft
Der 21-Jährige ist in der Offensive vielseitig einsetzbar. Bei den Olympischen Sommerspielen kam er über die linke Seite, in England häufig auch über rechts. Gerade auf den Flügeln, wo Gnabry seine Stärken gut ausspielen kann, muss Bayern München perspektivisch denken. Franck Ribery (33) und Arjen Robben (32) haben ein kritisches Alter erreicht, sind zudem verletzungsanfällig. Die Verträge beider Spieler laufen nur bis zum Saisonende.
Noch hat Gnabry nicht die Qualität, um mit Robben, Ribery, Douglas Costa, Kingsley Coman und Thomas Müller zu konkurrieren. Vielleicht erreicht er aber dieses Level, wenn er in Bremen regelmäßig zum Einsatz kommt. Im Idealfall befindet sich Gnabry auf dem Höhepunkt seiner spielerischen Möglichkeiten, wenn Robben und Ribery München verlassen.
Überhaupt gehört es mittlerweile zur Philosophie der Bayern, die Top-Talente anderer Vereine möglichst früh an sich zu binden. Kein Wunder: Der eigene Nachwuchs spuckt schon seit Jahren keine Ausnahmetalente mehr aus. David Alaba, der im Frühjahr 2010 sein Bundesligadebüt gab, war der Letzte.
Selbst die Bayern können es sich nicht leisten, jedes Jahr zwei oder drei Weltklassespieler zu holen, wenn die schwerreichen Vereine der Premier League die Transfersummen in irrwitzige Höhen treiben. Zumindest gelegentlich müssen sie junge (und günstige) Spieler an sich binden und ihnen dabei helfen, Weltklasseniveau zu erreichen.
Genau so ist es offenbar mit Serge Gnabry geplant.
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