Mehr CL-Spiele, dazu die Klub-WM: Die Spieler ächzen inzwischen unter der Belastung. Wir haben mit dem Spielergewerkschaftspräsidenten Carsten Ramelow über die Stimmung unter den Mitgliedern, die mentale Komponente und die Möglichkeit eines Streiks gesprochen.

Ein Interview

Herr Ramelow, die Spielergewerkschaft VDV steht für Solidarität. Wie solidarisch sind Profi-Fußballer heute noch im Milliarden-Geschäft?

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Carsten Ramelow: Die Solidarität ist vorhanden. Natürlich dreht sich viel ums Geld - das war zu meiner Zeit nicht anders. Doch es geht darum, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Erfolg gibt es nur gemeinsam. Es ist auch eine Typsache. Ich fand es immer richtig, mich für andere Spieler einzusetzen. Dieses Gemeinschaftsgefühl war immer Teil meiner Spielweise und ich habe diesen Gedanken gelebt. Heute hat sich durch Social Media viel verändert. Spieler sind oft eine Marke, vermarkten sich selbst und stehen mehr im Rampenlicht. Doch es gibt immer noch Profis, die sich sozial engagieren, etwa durch Stiftungen oder Aktionen innerhalb der Gewerkschaft. Und auch Topspieler sind in der Gewerkschaft.

Man sagt ja gerne, dass früher alles besser war. War es das?

Das haben unsere Eltern auch schon gesagt. Es war anders. Der Fußball entwickelt sich weiter, das ist auch gut so. Es gibt viele positive Aspekte, aber manche Dinge gefallen mir auch nicht mehr so. Ich spreche mit vielen Menschen über diese Themen. Die Leute stumpfen ein bisschen ab, es wird ihnen zu viel und es nervt sie. Und wenn Fußball anfängt zu nerven, ist das eine gefährliche Entwicklung. Das ist sehr schlimm, da müssen wir aufpassen. Aber es ist unsere Aufgabe als Interessenvertretung, Spieler zu unterstützen, die etwas verändern wollen. Das funktioniert aber nur, wenn sie ihre Stimme erheben.

Nervt Sie der Fußball inzwischen auch?

Der Fußball an sich nicht, ich liebe das Spiel, aber ich bin genervt von den Diskussionen. Das, was Drumherum gemacht wird, ist mir mittlerweile zu viel. Der Fokus auf das Spiel geht mir so zu sehr verloren. Da gibt es Regeländerungen, die nicht funktionieren, wo wir jede Woche immer wieder über die gleichen Themen diskutieren. Es gibt gute Sachen, die eingeführt wurden. Aber bei manchen Dingen fragt man sich, wer das immer entscheidet. Das ist teilweise sehr, sehr merkwürdig.

Der FIFA-Kalender wird einfach diktiert

Carsten Ramelow

Wo sehen Sie die größten Fehlentwicklungen im Fußballgeschäft?

Die größte Fehlentwicklung ist die Belastung der Spieler. Der Fifa-Kalender wird einfach diktiert, ohne die Beteiligten einzubeziehen. Wo soll das noch hinführen? Die Menge an Spielen ist enorm – und es wird immer mehr. Das ist Wahnsinn. Wer diesen Job nicht selbst gemacht hat, kann das kaum nachvollziehen. Das alles hat Auswirkungen auf die Gesundheit der Spieler.

Es geht bei dem Thema nicht nur um die körperliche Belastung, sondern auch um die mentale. Wird es unterschätzt, dass auch diese zugenommen hat?

Absolut. Ein Fußballspiel ist nicht nur körperlich, sondern auch mental enorm fordernd. Woche für Woche vor zehntausenden Zuschauern auf Top-Niveau abzuliefern, ist anstrengend. Das führt zu Müdigkeit und erhöhtem Verletzungsrisiko. Bei der letzten Europameisterschaft haben wir gesehen, dass viele Top-Spieler deshalb nicht in Bestform waren.

Das Mentale wird auch durch Social Media beeinflusst. Wie gefährlich ist das?

Social Media hat gute Seiten, keine Frage. Aber es birgt auch große Gefahren. Man muss es immer richtig einschätzen, aber ich habe das Gefühl, dass viele Spieler das nicht filtern können. Da können 100 positive Kommentare kommen. Dann kommt ein negativer und der ist so heftig, dass er dann auch hängen bleibt. Niemand kann behaupten, dass solche Angriffe spurlos an ihm vorbeigehen. Das ist eine enorme mentale Belastung.

Offene Kommunikation über mentale Belastungen

Hat sich das öffentliche Bewusstsein für mentale Gesundheit denn in den vergangenen Jahren verbessert?

Definitiv. Heute geht man offener mit dem Thema um als früher. Es ist gut, dass Vereine Psychologen haben und Spieler ermutigt werden, Hilfe anzunehmen. Dennoch fällt es vielen schwer, diesen Schritt zu gehen. Ich erinnere mich an eine Phase, in der ich in Leverkusen von den eigenen Fans ausgepfiffen wurde. Das war hart. Aber ich habe gelernt, mental damit umzugehen. Solche Techniken helfen nicht nur im Fußball, sondern auch im Privatleben. Deshalb ist es wichtig, dass Spieler Unterstützung bekommen.

Erleben Sie denn, dass die Spieler sich grundsätzlich leichter öffnen als früher?

Ja, etwas mehr. Ich finde es gut, wenn jemand offen sagt, dass er Hilfe braucht. Das ist ein Zeichen einer ganz großen Stärke. Trotzdem tun sich viele schwer, weil sie es als Schwäche empfinden und weil es ein unangenehmes Thema für sie ist. Aber es ist besser, sich Hilfe zu holen, als alles mit sich allein auszumachen.

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Es gibt Spieler, die sich zum Thema Belastung äußern, viele sind es öffentlich aber nicht. Warum ist das so?

Es ist oft eine Typsache. In der Vergangenheit gab es Spieler, die klar gesagt haben, was sie dachten. Heute wirkt generell vieles überlegt, abgestimmt und kontrolliert. Trotzdem ist es wichtig, dass Spieler ihre Meinung äußern – am besten gemeinsam. Wenn man etwas bewegen will, muss man sich zusammentun.

Wie erleben Sie die Stimmung unter den VDV-Spielern?

Es gibt kritische Stimmen, aber auch Spieler wie Thomas Müller, die sagen: "Das war schon immer so." Von der Veranlagung her könnte er 100 Spiele im Jahr machen, der maschiniert immer. Aber es gibt sicher auch Phasen, wo er denkt, dass er mal Urlaub gebrauchen könnte. Denn wenn die Belastung hoch ist, brauchen die Spieler eine vernünftige Pause. Wir werden in den nächsten Wochen verstärkt den Kontakt suchen, wie die Meinung der Spieler ist.

Ein Streik wäre die allerletzte Option

Carsten Ramelow

Ist ein Streik denn eine realistische Option? Der wurde ja auch schon angedroht…

Ein Streik wäre die allerletzte Option. Uns geht es darum, Lösungen zu finden und alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Spieler sollten ein Mitspracherecht haben, gerade wenn es um ihre Gesundheit geht. Entscheidungen wie der Fifa-Kalender können nicht einfach ohne sie getroffen werden.

Warum werden Spieler nicht einbezogen?

Es geht um Gewinnmaximierung. Schneller, höher und weiter, denn mehr Spiele bedeuten mehr Geld. Fans sind genervt, gehen aber trotz der immer höheren Ticketpreise weiter ins Stadion. Die TV-Quoten stimmen auch. Doch man überreizt alles. Die Leute werden müde davon. Es gibt eine Grenze, und wenn die irgendwann überschritten wird, kann die Stimmung kippen.

Wenn wir über Solidarität sprechen: Wie realistisch ist es, dass sich die Profis zusammenschließen und gemeinsam gegen die Belastungen vorgehen?

Das hängt immer von der Schmerzgrenze ab. Ein Streik ist wirklich die letzte Option. Aber es gibt bereits Kritik, sowohl von Spielern als auch von Verbänden. Es ist ein Thema, das diskutiert wird, und das ist wichtig. Ob es zu einem Zusammenschluss kommt, hängt davon ab, wie sich die Situation entwickelt. Bisher gab es noch nie einen Streik. Aber wenn die Belastungen weiter zunehmen, müssen wir sehen, wohin das führt. Dann würde ich auch einen Streik nicht ausschließen.

Prävention und Kommunikation: Die Aufgaben der VDV

Wie kann die VDV in dieser Situation helfen?

Unsere Rolle ist die eines Vermittlers. Wir haben gute Kontakte zu Verbänden wie der DFL und dem DFB und arbeiten eng mit ihnen zusammen. Zum Beispiel bei Präventionsschulungen oder anderen gemeinsamen Projekten. Wenn den Spielern dieses Thema wirklich am Herzen liegt, werden wir es weitertragen. Es ist wichtig, dass sich die Spieler als Gemeinschaft verstehen. Einzelne Stimmen gehen oft unter oder werden schnell kritisiert. Vielleicht tun sich Einzelne deshalb schwer damit, ihre Meinung zu äußern. Aber wenn viele zusammenstehen, kann man viel erreichen.

Glauben Sie, dass zumindest das realistisch ist?

Das kann man jetzt noch nicht absehen. Wir befinden uns gerade mittendrin, wir führen Gespräche. Aber weiter sind wir noch nicht. Kommunikation ist A und O. Und die sollte man rechtzeitig suchen. Damit kann man schon viele Dinge klären. Alle Beteiligten müssen an einen Tisch.

Die Spieler werden doch gut bezahlt…

Ein oft gehörtes Argument lautet: Die Spieler werden doch sowieso gut bezahlt. Was sagen Sie dazu?

Kein Spieler kann etwas dafür, wie viel Geld im Fußball verdient wird. Natürlich nehmen sie das mit, wer würde das nicht? Aber wer nie in diesem Beruf gearbeitet hat, kann sich die physischen und mentalen Anforderungen nicht vorstellen. Es geht um weit mehr als zweimal die Woche 90 Minuten zu spielen und ein bisschen auslaufen. Das ist ja die Vorstellung der Kritiker. Das ist mir ein bisschen zu einfach dargestellt.

Ist der Fußball bereits am Limit - oder darüber hinaus?

Wir sind längst über das Limit hinaus. Wir müssten wieder einen Schritt zurückgehen. Nicht immer schneller, höher, weiter, sondern das Ganze entspannter und bewusster wahrnehmen.

Glauben Sie wirklich, dass die Verantwortlichen beim Thema Belastung ein, zwei Schritte zurückgehen werden?

Wenn die aktuellen Entscheider etwas ändern wollten, hätten sie es längst getan. Es liegt nicht daran, dass es unmöglich wäre – es fehlt schlicht am Willen. Das ganze System ist überreizt, denn bereits im Jugendbereich ist alles durchstrukturiert, das ist heftig. Und die Spieler werden immer jünger, dass man sich die Frage stellt: Muss ein 16-Jähriger wirklich schon in der Bundesliga spielen? Viele dieser Entwicklungen laufen in die falsche Richtung.

Ist das überhaupt noch umkehrbar?

Alles ist machbar, aber das System ist eingefahren. Die Fans verstehen oft schon jetzt die Wettbewerbsmodi nicht mehr, die Spieler äußern immer mehr Kritik, und irgendwann wird das kippen. Wenn die Zuschauer abschalten und die Spieler nicht mehr mitziehen, wird das System ins Wanken geraten. Solange das nicht passiert, bleibt alles wie bisher. Wenn man nur ein paar kritische Stimmen hat, dann wird man nicht viel bewegen können.

Über den Gesprächspartner

  • Carsten Ramelow ist seit 2024 Präsident der VDV. Der Ehrenspielführer von Bayer 04 Leverkusen absolvierte für Bayer 431 Pflichtspiele, für Hertha BSC in der 2. Bundesliga 80 Begegnungen und zudem 46 Länderspiele. 2002 wurde er mit der deutschen Nationalmannschaft Vizeweltmeister. Heute ist er Gesellschafter einer Marketingfirma und zudem ehrenamtlicher Richter des DFB-Bundesgerichts.
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