Viele Jahre hatte Beth Mead es schwer, überhaupt für Englands Nationalteam nominiert zu werden, bei der EM im letzten Sommer war sie dann eine der herausragenden Spielerinnen des Turniers. Die 27-jährige gewann mit sechs Toren und fünf Vorlagen den Goldenen Schuh und die Auszeichnung als Spielerin der EM.

Annika Becker
Eine Kolumne
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Bei der Wahl zum Ballon d’Or landete Arsenals Angreiferin auf dem zweiten Platz. Für ihren Verein kam sie in der aktuellen Saison in sieben Spielen zu drei Toren und vier Vorlagen, ehe ein Kreuzbandriss sie Ende November vorerst ausbremste. Für die WM in diesem Sommer fällt Beth Mead damit aus.

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Einen Anlass zu Freude gab es zuletzt aber trotzdem: Beth Mead wurde zu Sports Personality of the Year gewählt. Die BBC vergibt diese Awards am Ende jeden Jahres, das Publikum bestimmt, wer den Hauptpreis erhält. Im Jahr 2022 wählte das Publikum Beth Mead, sie wurde dadurch zur ersten Fußballerin, die den Preis erhält. Durch die Jury gab es zwei weitere Auszeichnungen für den Fußball der Frauen: der Team-Preis ging an die englische Nationalelf und "Lionesses"-Coach Sarina Wiegman wurde Trainerin des Jahres.

Der Sport ist wenig divers

Zunächst einmal ist die Vergabe der Sports Personality of the Year Awards ein weiteres Anzeichen dafür, was für einen Sprung der Fußball der Frauen in diesem Jahr in der Wahrnehmung durch die EM im Sommer gemacht hat – in England durch den Titelgewinn des Nationalteams, aber auch darüber hinaus.

Noch vor kurzer Zeit wäre eine solche Dreifachauszeichnung zwar denkbar, aber realistisch betrachtet unwahrscheinlich gewesen. Vor allem die Publikumswahl von Beth Mead spricht für eine breite Anerkennung eines Sports, der sich bis jetzt jede Aufmerksamkeit hart erkämpfen muss.

Das ist erstmal ein Grund zur Freude für alle Fans des Fußballs. Es ist aber auch ein guter Anlass, um über ein Thema zu sprechen, bei dem der Fußball insgesamt, aber der Fußball der Frauen ganz speziell, großen Aufholbedarf hat. Denn der Sport ist bisher wenig divers: Vom 23er-EM-Kader der Deutschen hatten nur drei Spielerinnen mindestens einen Elternteil mit Einwanderungsgeschichte. Und von den 23 EM-Spielerinnen Englands waren 20 Weiß. Welche Gesellschaft soll das eigentlich abbilden?

Mit Beth Mead wurde eine Spielerin ausgezeichnet, die sich einerseits für die Rechte der LGBTQIA*-Communities einsetzt. Andererseits geriet Mead zuletzt für ihre Äußerungen zum Thema Rassismus und der Zusammensetzung des englischen Nationalteams der Frauen in die Kritik.

In der Women’s Super League sind nur 10 bis 15 Prozent der Spielerinnen nicht-weiß.

In einem Interview mit dem ‚Guardian‘ Anfang November 2022 wurde Mead gefragt, ob es einen bestimmten Grund für die wenigen BIPoC-Spielerinnen gäbe, oder ob das Zufall sei. "Ich denke, es ist völlig zufällig. Wir stellen unsere beste Elf auf, und man denkt nicht an die Hautfarbe oder so etwas. Ich denke, das ist eher eine Außenseiterperspektive", antwortete Mead. Die Spielerin fühlte sich durch die Auswahl dieses Zitates falsch dargestellt.

Der ‚Guardian‘ machte später die folgende Ergänzung: "Mead ist der Meinung, dass mehr getan werden sollte, um sicherzustellen, dass der Fußball für alle an der Basis zugänglich ist, um Vielfalt auf allen Ebenen zu gewährleisten. Sie betont jedoch, dass sie nicht glaubt, dass es im Elite-Frauenfußball Anlass zur Sorge über Rassismus gibt."

Die Antwort – inklusive der Ergänzung – ist mindestens ignorant, denn die strukturelle Diskriminierung, die zu fehlenden Zugängen zum Sport führt, spricht Mead zwar an. Sie führt aber nicht zusammen, dass das einen Einfluss auf die Liga hat, in der sie spielt. Schätzungsweise sind in der Women’s Super League nur 10 bis 15 Prozent der Spielerinnen nicht-weiß.

Struktureller Rassismus ist für Nicht-Betroffene oft weniger leicht greifbar

Zudem ist Folgendes noch gar nicht lange her: Im Jahr 2017 entschuldigte sich die englische FA endlich bei Ex-Nationalspielerin Eni Aluko – nach ausführlichen Versuchen des unter den Teppich Kehrens, inklusive 80.000 Pfund Schweigegeld – nachdem Aluko den ehemaligen englischen Nationaltrainer Mark Sampson der rassistischen Beleidigung gegenüber ihr und Mitspielerin Drew Spence beschuldigt hatte.

Mead stellt mit ihrer Äußerung eine Behauptung in den Raum: Ich als weiße Frau habe keinen Rassismus in meinem Fußballumfeld gesehen, also gibt es wohl keinen. Dabei ist fraglich, ob Mead als Nicht-Betroffene überhaupt jegliche Form von Rassismus erkennen würde. Es ist weit verbreitet, dass Weiße Rassismus nur dann als solchen sehen, wenn es einen konkreten Anlass gibt, zum Beispiel eine Beleidigung.

Struktureller Rassismus aber ist für uns Nicht-Betroffene oft weniger leicht greifbar. Personen, die darauf hinweisen, haben es schwer ernstgenommen zu werden, vor allem wenn sie weiße Menschen für eine Handlung oder eine Äußerung kritisieren, die aus diesem strukturellen Rassismus entspringt. Die Abwehrhaltung: "Was willst du von mir, ich bin kein*e Rassist*in", überlagert dann das eigentlich nötige Zuhören und Lernen.

Echte Einsicht klingt anders

Ein Stück weit findet sich das auch in den nachfolgenden Reaktionen Meads wieder, denn eine echte Entschuldigung der Spielerin gab es nicht, die Darstellung ihrer Äußerung im Artikel des ‚Guardian‘ entspreche nicht ihren eigentlichen Werten. Ihr sei das Thema Diversität aber wichtig, sie wolle Verantwortung übernehmen, so Mead einige Tage später im Rahmen eines Freundschaftsspiels gegen über ‚Sky Sports‘. Verbunden mit dem Hinweis, man solle nicht alles glauben, was man liest. Echte Einsicht klingt anders.

Es geht hier nicht um eine Abarbeitung an Beth Mead als Person, das gezeigte Verhalten ist einfach sehr typisch. Es deutet die viele Arbeit an, die dieser Sport und der weiße Teil der Gesellschaft noch vor sich haben. Ex-Arsenal-Spieler und TV-Experte für den Fußball der Frauen Ian Wright brachte es bei ‚ITV‘ auf den Punkt: "Es ist ein systemisches Problem, das wir nur punktuell angehen. Das ist es, womit wir uns wirklich befassen müssen - mit dem systemischen Problem."

Auch bei Jungs und jungen Männern im Fußball gibt es Verbesserungspotenzial

Den Verbänden ist die Problematik der fehlenden Zugänge zum Sport für Kinder aus Einwanderungsfamilien bekannt, bei Jungs und jungen Männern ist der Fußball schon einen Schritt weiter, auch dort gibt es aber noch Verbesserungspotenzial. Bei den Frauen und Mädchen kommt zu den sowieso komplexen Gründen für die fehlenden Zugänge noch einiges hinzu: Fehlende Rollenvorbilder, nicht vorhandene oder schwierig zu erreichende Vereine für den Nachwuchs, fehlendes Sicherheitsgefühl bei den Eltern, die Verschränkung von Vorurteilen, Rassismus und Sexismus den potenziellen Spielerinnen gegenüber.

"Bei mir war es zum Glück nie ein Thema, dass ich nicht spielen durfte. Dafür bin ich auch sehr dankbar, denn ich weiß ja, dass es noch viele Mädchen gibt, die dafür kämpfen müssen. Eine Freundin von mir, Tuğba Tekkal, setzt sich heute sehr stark dafür ein, dass Mädchen mit Migrationshintergrund auch Fußball spielen", so Sara Doorsoun im Interview mit der ‚Frankfurter Rundschau‘ im Vorlauf der EM 2022. Das angesprochene Projekt von Tuğba Tekkal heißt Scoring Girls.

"Da habe ich erlebt, dass man an den Türen klopfen und den Eltern versichern muss, dass ihre Mädels zum Training abgeholt und danach wieder nach Hause gebracht werden. Das ist mit dem kulturellen Hintergrund ein sehr komplexes Thema, deswegen kann ich nicht einfach sagen, dies oder das müssen wir machen", so Doorsoun weiter.

Es gibt noch viel zu tun

Die eine Lösung wird es nicht geben können und es ist auch nicht an den Spielerinnen, sie zu präsentieren. In England wurden bereits erste Maßnahmen von Seiten des Verbandes ergriffen. So gibt es z.B. nicht mehr nur wenige große Nachwuchszentren in Ballungsräumen, sondern ein Netzwerk (Emerging Talent Centres), das über das Land verteilt ist.

Die Gewerkschaft Professional Footballers‘ Association (PFA) hat schon vor der EM eine Kampagne inklusive eines Mentoringprogramms gestartet. Damit soll zu Sichtbarkeit, Austausch und Förderung von Spielerinnen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte und BIPoc-Spielerinnen beigetragen werden. Ähnliche konkrete Programme von offizieller Seite gibt es bisher in Deutschland nicht.

Im "Strategie 2027" betitelten Programm des DFB ist wenig konkret von einer allgemeinen Steigerung der Anmeldezahlen die Rede, nicht aber von einer diesbezüglichen Verbesserung der Diversität. Bereits diesen Herbst zeigte sich, dass die Vereine überlastet sind. Nach der EM gab es einen großen Andrang, aber während es in den ländlichen Gegenden zu wenige Vereine gibt, die Mädchen aufnehmen, waren die in den Großstädten schnell am Ende ihrer Kapazitäten.

So schön also der aktuelle Aufwind und die Anerkennung sind, die sich z.B. in der anfangs erwähnten Preisverleihung widerspiegeln: Es gibt noch sehr viel zu tun. Gerade im Erfolg ist es wichtig, innezuhalten und die verschiedenen Akteur*innen immer wieder in die Verantwortung zu nehmen. Nur dann wir der Fußball so, wie wir ihn uns wünschen: Offen für alle.

Verwendete Quellen:

  • bbc.com: Sports Personality of the Year 2022: Beth Mead crowned winner
  • theguardian.com: Beth Mead: ‘People said last year was revenge but it was more of a love tour’
  • bbc.com: Beth Mead says diversity comments not a true reflection of her values
  • telegraph.co.uk: Beth Mead says diversity comments not a true reflection of her values
  • theguardian.com: Calls for FA officials to resign as Aluko says treatment ‘bordered on blackmail’
  • fr.de: Sara Doorsoun: "Viele Mädchen müssen kämpfen"
  • zeit.de: Die fehlende Diversität im deutschen Frauenfußball
  • sportbuzzer.de: DFB-Boss Bernd Neuendorf berichtet über Boom im Frauenfußball: Können Zulauf "gar nicht auffangen"
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