Es ist ungewöhnlich, dass eines Funktionärs in fremden Stadien gedacht wird. Aber Kay Bernstein war mehr als ein Funktionär: Er blieb für viele Fans "Kay aus der Kurve". Sein Andenken zu bewahren, erfordert auch einen anderen Umgang mit jenen Kurven.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Mara Pfeiffer (FRÜF) dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Trauer um den verstorbenen Hertha-Präsidenten Kay Bernstein war am Wochenende in den Stadien der Republik greifbar. Natürlich hat jeder Tod seine eigene Tragik; dass Bernstein nicht nur bei der Hertha gedacht wurde, sondern auch in vielen anderen Kurven, hatte aber einen besonderen Grund: Er kam von dort her. Zu seinem Dienstantritt wurde "Kay aus der Kurve" zum geflügelten Wort.

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Insofern ist das natürlich keine neue Information, aber es ist wichtig, sich diese Tatsache noch einmal in Erinnerung zu rufen. Bernstein ist angetreten als einer, den die Erfahrungen in seiner Kurve, als Ultra und auf dem Zaun geprägt haben. Er kam aus dem Inneren der Szene in seinem Verein empor, um ihn zu verändern – und den Fußball in Deutschland gleich mit. Er hat damit über Berlin hinaus Erfolg gehabt und Herzen im Fußball berührt. Das hat ihn ausgemacht.

Bizarr: Ultras als Wurzel allen Übels

Es mutet deswegen fast schon bizarr an, wenn just nach diesem Wochenende mal wieder über Ultras als vermeintliche Wurzel allen Übels im Fußball diskutiert wird, ausgelöst von Vorfällen bei der Partie des VfB Stuttgart in Bochum. Dort hatte es eine lange Spielunterbrechung wegen eines Banners gegeben, das laut Stuttgarter Sicherheitspersonal einen Fluchtweg versperrte. Die Aussagen der Verantwortlichen beider Seiten sind dabei nicht zusammenzubringen.

Während es aus Bochum heißt, VfB-Fans hätten besagtes Banner unrechtmäßig unter einem weiteren Protestbanner angebracht, das zu Beginn des Spiels zunächst hing, erklärte Alexander Wehrle, Vorstandsvorsitzender des VfB, alle Banner seien vor dem Spiel angebracht worden. Damit nahm er die Stuttgarter Ultras aus der Schusslinie.

Schikane der Fans hat zugenommen

Auf Bildern ist das problematisierte Banner unter dem zum Protest zu erkennen. Richtig ist, dass es bei der Vereinsbegegnung im April an genau dieser Stelle ohne Probleme hängen durfte. Richtig ist auch, dass der Druck auf die Fans - man könnte auch sagen, die Schikane derselben - in den letzten Monaten zugenommen hat. Viele Aktive vermuten, das hänge mit der Vorbereitung von Polizei und Sicherheitskräften auf die EM zusammen.

Es ist insofern nicht verwunderlich, dass Fans misstrauisch werden, wenn ein Banner zu Beginn der zweiten (!) Halbzeit plötzlich abgenommen werden soll. Fanforscher Harald Lange spricht laut SWR von einem gestörten Gerechtigkeitsempfinden. Hinzu kommt, dass derartige Banner eben für Fans nicht bloß ein Stück Stoff sind. Natürlich müssen Fluchtwege freibleiben; Hauptproblem in Bochum dürfte aber mangelnde Kommunikation gewesen sein. Wer die Folgen nun den Fans anlastet und womöglich den Fans allein, der macht es sich zu einfach. Der Reflex ist allerdings nicht neu, Ultras als Schuldige scheinen als einfache Lösung verlockend zu sein.

Am Wochenende ist viel darüber gesprochen worden, wie wichtig es sei, Bernsteins Andenken im Fußball zu bewahren: vollkommen richtig. Dazu gehört es, sich stets zu vergegenwärtigen, wo Herthas besonderer Präsident hergekommen ist, welche Interessen er verfolgt hat. Neben den Bannern des Protests und der Identifikation wehten auch bei der Partie Bochum gegen Stuttgart jene zu seinem Andenken. Wer Bernsteins Mission über dessen Tod hinaus gerecht werden möchte, muss auch die eigene Sicht auf Fans und Kurven kritisch hinterfragen.

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