Tod und Trauer sind schwierige Themen. Was viele überraschen mag: Der Fußball bietet dabei sehr viel Inspiration und Unterstützung. Wir haben mit der Trauerbegleiterin Carmen Mayer über ihr Projekt "Trauer und Fußball" gesprochen und darüber, was der Sport alles leisten kann.

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Zum Abschied gab es für Fußballfan Annemie einen Bengalo. Und natürlich einen rot-weißen Schal von Fortuna Köln. Der Verein, der zu ihrem Leben gehörte, sollte sie nach ihrem Tod auch auf ihrer letzten Reise begleiten. Der Regionalligist hielt eine Schweigeminute ab, die Spieler trugen Trauerflor.

Doch wie heißt es so schön? "Niemals geht man so ganz", weshalb der Fortuna-Fanklub "SC Mülltonn", dem sie angehörte, dafür sorgt, dass sie "für immer bei uns" ist, wie es auf einer Zaunfahne heißt. Dazu tragen die Mitglieder einen Button mit ihrem Konterfei darauf. So reist die gute Seele des Fanklubs weiterhin mit, ist immer dabei.

Annemie ist ein ebenso schönes wie berührendes Beispiel dafür, wie nah Fußball, Tod und Trauer zusammenhängen können. Nein, zusammenhängen sollten. Denn all das kombiniert kann sehr gut funktionieren. Helfen und unterstützen auf dem Weg, um mit dem Tod umzugehen, mit ihm leben zu lernen. Als Quelle der Kraft.

"Trauer und Fußball haben ganz viel gemeinsam. Denn getrauert wird auch dort, wo gelebt wird und das ist natürlich auch im Fußballstadion der Fall."

Carmen Mayer, Trauerbegleiterin und Projektinitiatorin von "Trauer und Fußball"

Dort sind alle Zuschauer gefühlserprobt, es haben alle Emotionen Platz. "Und das sind nicht nur positive Emotionen. Man kann im Stadion sitzen und einfach weinen. Das ist auch in Ordnung", so Mayer, die Trauerbegleiterin und zudem Initiatorin von "Trauer und Fußball" ist. Ein Projekt, das verschiedene Ausdrucksformen der Trauerkultur im Fußball sammelt, ordnet, erforscht und verfügbar macht.

Dass der Fußball ritualisiert ist, hilft ebenfalls. "Einige Menschen haben zum Beispiel das Ritual, dass sie nach dem Spiel auf den Friedhof gehen zu dem Verstorbenen und ihm erzählen, wie das Spiel war." Oder sie legen das Trikot des Verstorbenen auf dessen Stadionplatz. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Stadion gibt "Halt, Orientierung und Struktur"

Banner der Bremer Fans mit "Niemals aufgeben Marcel" am 20.10.2023 beim Spiel von Borussia Dortmund gegen SV Werder Bremen. © IMAGO/Weis/TEAM2sportphoto

Mayer hat mit vielen Menschen gesprochen, die Trauernden erlebt, ihre Geschichte gehört, die Hintergründe und die unzähligen verschiedenen Wege der Aufarbeitung. Ein paar der Geschichten hat sie in einem liebevoll gestalteten Fanzine aufgeschrieben.

Für viele Menschen gibt der Fußball beziehungsweise das Stadion "Halt, Orientierung und Struktur", weiß Mayer. Und die Palette an Möglichkeiten, Ideen und Kreativität ist beeindruckend breit. "In den Kurven können Sie sich alles vorstellen. Es gibt einen unheimlich kreativen Umgang mit Tod und Trauer in den Fankulturen."

Ob nun Trauer-Choreografien, Schweigeminuten, Trauerflore, Gedenkturniere, Nachrufe in Fanzines, Stadionmagazine, Buttons, Wandbilder, Erinnerungstafeln – es scheint fast nichts zu geben, was es nicht gibt, wenn es um Trauer und Fußball geht. Und doch wird Mayer immer wieder aufs Neue überrascht von der Kreativität in den Kurven. "In der Vielfalt gibt es gar keine Grenzen", sagt sie.

Eine Jugendmannschaft hat zum Beispiel das Trikot eines verstorbenen Mitspielers zu jedem Spiel mitgenommen und auf einen Stuhl gelegt. So war der Junge stets dabei. Eine andere Mannschaft ist auf einen Berg gestiegen und hat das Trikot in die Luft gehalten – dem Himmel ganz nah. Auch hier ist die Liste der Beispiele lang. Und berührend.

Überraschende Einfühlsamkeit

Die Einfühlsamkeit im Fußball mag Beobachter ein Stück weit überraschen, doch wer den Sport intensiver verfolgt und genauer hinschaut, der bemerkt, dass Solidarität keine Trikotfarbe kennt, es gibt keine Vereinsgrenzen. Wie eng Anhänger zusammenstehen können, war erst am vergangenen Wochenende in der Bundesliga zu beobachten. BVB-Fan Marcel ist todkrank, er leidet an einem Gehirntumor.

Unterstützung erhält er nicht nur in Dortmund – dort auch durch die Profis –, beim Spiel gegen Werder Bremen rollten sogar die Gäste ein Banner aus mit der Botschaft "Niemals aufgeben, Marcel!". In Köln, Kiel und Essen wurde das Plakat ebenfalls gezeigt. Und auch das ist nur ein Beispiel von vielen.

"Trauer braucht Raum. Trauer braucht Ausdruck und auch Gemeinschaft."

Carmen Mayer, Trauerbegleiterin und Projektinitiatorin von "Trauer und Fußball"

"Und darin ist der Fußball einfach gut. Es wird niemand vergessen und wir sind auch nicht allein in unserer Trauer, sondern ein Stück weit in der Gemeinschaft eingekuschelt und aufgehoben." Das haben inzwischen auch die Vereine erkannt, die immer mehr Anfragen erhalten und damit vor teilweise neuen Herausforderungen stehen.

"Viele überlegen, wie sie mehr Trauerkultur etablieren können", sagt Mayer, die an dieser Stelle mit ihrem Projekt "Trauer und Fußball" unterstützt. "Trauer unterm Flutlicht" ist wiederum ein gemeinsames Projekt von der Beratungsstelle Inklusion im Fußball, KickIn! und "Trauer und Fußball" wird vom DFL-Förderpool PFiFF gefördert.

Im vergangenen Jahr wurde durch das Projekt "Trauer unterm Flutlicht" unter anderem eine Bestandsaufnahme vorgenommen, was an etablierter Trauerkultur bereits vorhanden ist. Schalke 04 hat beispielsweise sein "FanFeld", Gladbach ein Borussia-Kolumbarium und eine Grabeskirche. Der Hamburger SV kümmert sich mit den Projekten "Der letzte Wunsch" und dem "Gedenkort Museum" schon länger intensiv um eine eigene Trauerkultur. Der HSV war Kooperationspartner des Projekts "Trauer unterm Flutlicht", seit September ist es Hertha BSC.

Trauerkultur bei den Vereinen noch wenig ausgeprägt

Trotzdem: "Eine Trauerkultur bezogen auf Fans und Mitglieder ist bei den Vereinen noch weniger ausgeprägt", sagt Mayer und betont: "Da gibt es ganz viel Potenzial für Vereine. Man kann mit ganz wenig ganz viel erreichen. Es ist für die Vereine eine Chance, den Fans was zurückzugeben."

Im Rahmen von "Trauer unterm Flutlicht" wurden Workshops angeboten und eine individuelle Handlungsempfehlung erarbeitet. Im nächsten Schritt soll mit Hilfe von Kooperationspartner Hertha und einem Netzwerk aus Vereins- und Fanprojektmitarbeitern bis Mitte 2024 eine strukturelle Handlungsempfehlung verfasst werden, die jeder Klub individuell für sich anpassen kann.

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Vorbild England

"Damit wollen wir eine Unterstützung bieten für Vereine, dass sie mit dem Thema 'Trauer und Fußball' starten können. Es ist auch eine Möglichkeit, um wieder mehr zusammenzurücken, abseits des Kapitalismus im Fußball und nach der Entfremdung in der Corona-Zeit. Da geht es um Mitmenschlichkeit, Solidarität", sagt Mayer. Das Schöne: Die Resonanz ist sehr positiv, "es ist viel in Bewegung gekommen, und wir haben es geschafft, viele Dinge auf den Weg zu bringen".

Dabei hilft es auch, zu anderen Fußballkulturen zu blicken. England ist ein Vorbild, denn dort gibt es noch mehr Möglichkeiten. So hat man im Gegensatz zu Deutschland freie Verfügung über die Asche des Verstorbenen, und kann diese demnach auch auf dem Memorial Garden der Klubs verstreuen. Was die Vereine auch aktiv unterstützen.

"Der Umgang und der Zugang sind anders", berichtet Mayer. "Wenn jemand stirbt, heißt es, 'Wir feiern sein Leben'. Außerdem findet eine Menge der Forschungsarbeit zum Thema Trauer unter anderem in England statt. Man kann nach England schauen, um vielleicht noch offener zu werden", sagt Mayer. Für noch mehr Kreativität. Für Menschen wie Annemie.

Über die Gesprächspartnerin:

  • Carmen Mayer ist Trauerbegleiterin und Projektinitiatorin von "Trauer und Fußball".

Verwendete Quellen:

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