Die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien hat viele Gesichter. Rein sportlich gesehen zeigt sich das Land von seiner besten Seite. Viele Tore, spannende Spiele, Überraschungen wie der Viertelfinaleinzug Costa Ricas oder das frühe Scheitern von Titelverteidiger Spanien sorgen für Kurzweile. Doch die Nation am Zuckerhut kann auch anders. Allerorts springen dem WM-Reisenden Gegensätze ins Auge. Brasilien ist ein vielseitiges Land und das zeigt es auch.
Schon im Vorfeld des Turniers sorgen viele Demonstrationen für Diskussionen. Braucht Brasilien die Weltmeisterschaft? Ist es sinnvoll, Stadien zu bauen, die im Nachhinein keinen Nutzen mehr haben anstatt das Geld in die Infrastruktur zu investieren? Die einhellige Meinung der Bevölkerung ist klar: Nein. Zwar feiern die Brasilianer ihre Selecao und verbreiten bei den Spielen des fünffachen Weltmeisters beste Stimmung. Dennoch hat die Weltmeisterschaft auch ihre Schattenseiten.
"Brasilien geht es nicht gut. Die WM täuscht eine heile Welt vor, die es hier aber nicht gibt", sagt Jamille, eine Studentin aus Guarapiri. "Das Geld könnte weitaus sinnvoller investiert werden als für Fußball." Dennoch will sich Jamille, die eigentlich in Italien lebt dieses Großereignis in ihrem Heimatland nicht entgehen lassen. "Natürlich schaue ich die Spiele. Es ist toll für Brasilien, dass so viele Menschen aus aller Welt in das Land kommen." Die WM-Stimmung in ihrer Heimatstadt hält sich in Grenzen. Guarapiri ist ein Touristenort am Strand, etwa 600 Kilometer östlich von Belo Horizonte, dem nächstgelegenen Spielort, entfernt. Lediglich ein paar Souvenir-Shops lassen darauf schließen, dass derzeit die Weltelite des Fußballs in Brasilien gastiert. Nur vereinzelt laufen die Menschen mit Trikots der Selecao durch die Straßen. Eines lässt beim Fan dann aber doch WM-Feeling aufkommen. Auf dem kleinen Hauptplatz im Zentrum sitzen zwischen den spielenden Kindern ein paar ältere Herren an den Tischen. Normalerweise wird hier Domino gespielt. Doch während der Fußball-Weltmeisterschaft tauschen die Einheimischen Panini-Sticker.
Die WM scheint also tatsächlich das ganze Land zu erreichen. Kein Vergleich ist die Reise entlang der Ostküste Brasiliens zwischen Rio de Janeiro und Salvador aber zum Aufenthalt in den Spielstätten. In Belo Horizonte, Sao Paulo oder Rio kann man die Weltmeisterschaft wirklich greifen. Zum Public Viewing in "BH", wie die Brasilianer Belo Horizonte kurz nennen, versammeln sich viele Tausend Menschen. In Savassi, der Partymeile der Stadt, sind mehrere Leinwände aufgebaut. Ein Kulturfestival lädt die Fans abseits des offiziellen FIFA-Fan-Festes zum Verweilen ein. Am Dienstag wird hier die deutsche Nationalmannschaft auf die Selecao treffen. Volle Straßen sind garantiert.
Brasilien - Land der Gegensätze
Schon beim letzten Spiel der brasilianischen Nationalmannschaft gegen Chile platzte Belo Horizonte aus allen Nähten. Eine Flut aus Gelb brach bereits in den Morgenstunden über die 2,4 Millionen Einwohner-Stadt herein. Nach dem entscheidenden Elfmeter gab es in Savassi kein Halten mehr, bis in die Morgenstunden feierten die Fans ihre Selecao. Beim Halbfinale könnten sich ähnliche Szenen abspielen. Der deutsche Anhänger sei allerdings gewarnt. Die Feierstimmung wirkt manchmal trügerisch. So nutzt der ein oder andere Partyresistente die überschwängliche Atmosphäre im Freudentaumel schon mal zum Taschendiebstahl.
Eine nächtliche Reise durch die fünftgrößte Nation der Erde beispielsweise ist kein Vergleich zu einem Trip bei Tageslicht. Während einen die beeindruckende Landschaft Brasiliens bei untergehender Sonne aus dem Staunen nicht mehr herauskommen lässt, endet eine Fahrt in völliger Dunkelheit mit etwas Pech schnell in einem der zahlreichen ärmlichen Vororte der Großstädte. Aus Staunen wird urplötzlich Bangen, wenn rechts und links neben der nicht mehr vorhandenen Straße die Blechhütten beginnen. Oder wem wird es nicht mulmig, wenn in der brasilianischen Favela zwei nebeneinander stehende Autos auf einmal den einzigen Weg zurück zur Autobahn blockieren?
Die Weltmeisterschaft in Brasilien ist ein großes Abenteuer. Ein Abenteuer, das seinen Reiz hat, aber auch einige Nachteile mit sich bringt. "Wir Brasilianer sind gastfreundliche Leute und freuen uns über jeden, der zu Besuch kommt", erklärt Andre, Koch aus Belo Horizonte. Erst bei genauerem Nachfragen verrät der Familienvater, dass auch er Gegner der Veranstaltung ist. Das Turnier sei schlichtweg zu teuer. "Wir brauchen Schulen, Krankenhäuser und so viele Dinge, aber keine neuen Stadien." Sein Verhalten sagt Vieles aus über die Brasilianer. Fußball ja, WM nein! So lautet das Credo. Der Stimmung im Land tut dies jedoch keinen Abbruch. Die Weltmeisterschaft in Brasilien bleibt weiter spannend und die Reise quer durchs Land für die verbliebenen Fans mit Sicherheit auch.
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