Lange Zeit sah es danach aus, als würde die WM 2014 in Brasilien nicht nur das Turnier der Urkräfte sein, sondern auch das ausgefallenste seiner Art überhaupt. Nachdem nach der Gruppenphase Top-Teams wie Spanien, England, Italien und Portugal bereits den Heimweg antreten mussten, wurden schon erste zaghafte Stimmen vernommen, die von einer Zeitenwende im Welt-Fußball sprachen - verfrüht, wie sich herausstellte.

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"Es gibt keine Kleinen mehr" ist spätestens seit der WM 1990 in Italien ein geflügeltes Wort, als Kameruns "unbezähmbare Löwen" als erste afrikanische Mannschaft bis in Viertelfinale vordrang. "Es gibt keine Kleinen mehr" dient seitdem als Pauschalreplik zahlloser Trainer, die im Vorfeld einer Partie über den kommenden Gegner sprechen, der jenseits des Weltranglistenplatzes 100 firmiert.

Darin steckt ein Funken Wahrheit. Qualitativ sind die Verbände der FIFA enger zusammengerückt. Dafür sorgen immer mehr Spieler der jeweiligen Verbände in starken (europäischen) Ligen, bessere Strukturen innerhalb der Verbände und natürlich der große Einfluss der ausländischen Trainer.

In der absoluten Spitze aber, und das ist die andere Seite der Medaille, bleiben die Kraftverhältnisse wie gehabt. Das frühe Ausscheiden besonders der europäischen Top-Nationen ist nicht von der Hand zu weisen, hat aber für jeden Verband andere Gründe.

Spanien satt, Italien auch mit Pech

Die Spanier waren nach drei Titeln in Serie nicht mehr hungrig genug, Italien ließ sich von Costa Rica überraschen, kam nicht mehr zurück und hatte am Ende Pech bei einigen Schiedsrichterentscheidungen. Portugal lief dem desaströsen Auftakt gegen Deutschland vergeblich hinterher und die Engländer haben immer noch enorme strukturelle Defizite und auch ein Mentalitätsproblem, wenn es um die Nationalmannschaft geht.

Jetzt in der K.o.-Phase aber haben sich alle Favoriten durchgesetzt, sofern sie als solche bezeichnet werden konnten. Tatsache ist, dass alle acht Gruppensieger den Sprung ins Viertelfinale geschafft haben. In den Alles-oder-Nichts-Spielen trennt sich so langsam auch bei diesem Turnier mit seinen ungewöhnlichen Spielausgängen, seinen vielen Toren und verrückten Geschichten die Spreu vom Weizen, oder: Die Spitzenteams entledigen sich der vermeintlichen Geheimfavoriten.

Chile ist ebenso raus wie Mexiko und Uruguay. Der WM-Vierte von 2010 lebte zu sehr von seinem Angreifer Luis Suarez, dem Kollektiv der bisher überzeugendsten Turniermannschaft Kolumbien war "La Celeste" zu keinem Zeitpunkt gewachsen.

Chile und Mexiko hatten jede Menge Pech, in den entscheidenden Phasen und Situationen ihrer Spiele aber auch nicht die nötige Ruhe und Abgezocktheit, um gegen Brasilien und die Niederlande die Überraschung zu schaffen. Algerien ereilte ein ähnliches Schicksal gegen die deutsche Mannschaft.

Die USA scheiterten an ihren begrenzten fußballerischen Möglichkeiten, der Schweiz fehlte der entscheidende Punch gegen ein wankendes Argentinien. Nigeria hielt gegen Frankreich lange mit, machte aber letztlich zu viele leichte individuelle Fehler, die sofort bestraft wurden. Und Griechenland? Hatte den vermeintlich leichtesten Gegner und war trotz einer Stunde in Überzahl nicht in der Lage, Costa Rica siegbringend auszuspielen.

Weltklasse schlägt Kondition und Teamgeist

Im Endeffekt rückten in der Runde der letzten 16 jene Faktoren wieder in den Vordergrund, die während der Gruppenphase von den Disziplinen Kondition, Konstitution, Mentalität, Teamgeist und Einstellung in vielen Partien neutralisiert wurden: Mannschafts- und gruppentaktischer Vorsprung und vor allen Dingen die Individualität der absoluten Weltklasse-Spieler.

Sechs der acht Partien standen bis zum Schluss auf Messers Schneide und letztlich machten Einzelspieler den Unterschied aus. Lionel Messis Solo und Angel di Marias Abschluss, Romelu Lukakus und Andre Schürrles Jokerqualitäten, die Kaltschnäuzigkeit von Klaas-Jan Huntelaar und die Paraden der Torhüter Julio Cesar und Keylor Navas.

In den engen Spielen sind sie plötzlich da, die großen Spieler. Und auch die großen Mannschaft, hundertfach erprobt in Partien auf Spitzenniveau. Da können die Mittel- und Kleingewichte noch nicht mithalten.

Bleibt alles im Rahmen

Und so stehen sieben der in der Weltrangliste unter Platz 18 geführten Teams im Viertelfinale. Die Ausnahme bildet Costa Rica, das derzeit noch auf Rang 28 gelistet ist. Von den vor dem Turnier gehandelten Top-Favoriten auf den Titel hat sich im Prinzip nur Spanien verabschiedet. Brasilien, Argentinien und Deutschland sind noch im Rennen. Der Aufstand der zweiten Reihe ist vorerst erfolgreich abgewehrt.

Und überhaupt: Eingedenk der Tatsache, dass die Runde der besten Acht zwangsläufig eine Auslese vornehmen muss, bewegt sich also auch diese WM mittlerweile wieder absolut im Rahmen.

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