• Christian "Blacky" Schwarzer wurde 2007 mit der deutschen Nationalmannschaft Handball-Weltmeister.
  • Im Interview kritisiert er die Rücktritte von Pekeler und Wiencek.
  • Deutschland räumt er Chancen ein, ins Halbfinale zu kommen.
Ein Interview

Herr Schwarzer, was sind die größten Baustellen der Mannschaft vor dem WM-Auftakt?

Christian Schwarzer: Was das Torwartspiel anbelangt, hat die Mannschaft im Vergleich zu den anderen Mannschaften bei den letzten Turnieren noch Potenzial nach oben, dort waren uns die anderen Nationen überlegen. Neben Stammtorwart Andreas Wolff zeigt Joel Birlehm bei den Rhein-Neckar-Löwen gute Leistungen. Ich bin ein Fan davon, den Torhüter aufzustellen, der in diesem Spiel der Richtige ist – und keine klare Nummer eins zu benennen.

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Was fehlt noch? Die Erfahrung?

Man vermisst Spieler wie Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek. Deshalb wird der Innenblock der Abwehr anders und vor allem jünger aussehen. Hier ist Johannes Golla ein zentraler Faktor, der das in Flensburg überragend macht. Für den Bundestrainer wird der Mittelblock ein Hauptaugenmerk sein. Alfred Gislason ist sehr detailverliebt, er wird an den Abläufen im Abwehr- und im Angriffsspiel feilen. Denn Meisterschaften werden, wie wir wissen, durch die Abwehr gewonnen.

Was braucht es dazu noch?

Einen klassischen Mittelmann gibt es weiterhin nicht. Juri Knorr hat bei den Testspielen gegen Island gezeigt, welch großes Potenzial er hat. Auch Luca Witzke, Paul Drux und Philipp Weber sind flexibel einsetzbar. Einen klassischen Rückraum-Mitte-Spieler wie es früher Markus Baur war, der das Spiel steuert und Wege vorbereitet, gibt es nicht und solch ein Spieler fände ich als Ergänzung klasse. Unsere Spieler sind eher tororientiert.

Strukturelle Probleme beim DHB

Viele Spieler im Kader haben international eher wenig gespielt. Eine gute Basis für Bundestrainer Gislason oder ein Nachteil?

Das kann eine gute Basis sein, weil die Spieler hungrig sind und den Adler auf der Brust vertreten wollen. Das ist eine gute Grundvoraussetzung. Klar fehlen manche Spieler, auch Fabian Wiede hätte dazu gehört. Gislason spielt mit den Jungs, die dafür brennen für Deutschland zu spielen.

Verstehen Sie die Kritik an Wiencek und Pekeler, nicht mehr für Deutschland spielen zu wollen?

Ich glaube, bei uns hätte es das früher nicht gegeben, dass jemand nicht spielen will, obwohl er spielfähig ist. Bei mir und bei den Jungs, mit denen ich zusammengespielt habe, war es immer das Größte, für Deutschland zu spielen. Wir sind vielleicht mit einer anderen Einstellung reingegangen. Aber ich verstehe die Gründe – die langen Verletzungspausen, sie sind Familienväter und die Belastungen für die Spieler im internationalen Geschäft sind schon sehr groß.

Die hohe Belastung könnte man als Kritik am Verband verstehen.

Man kann und muss versuchen die Belastung zu steuern. Aber mir ist klar, dass diejenigen, die international unterwegs sind in der Champions League und der Europa League wahnsinnig belastet werden, gerade durch die Reisen. Ich kann aber auch Alfred Gislason verstehen, wenn er es schade findet, dass die Jungs nicht mehr für Deutschland spielen, denn er würde natürlich gerne mit der stärksten Mannschaft spielen.

Der DHB wird viel dafür kritisiert, dass er die Talente zu spät fördert. Eine berechtigte Kritik?

In anderen Ligen bekommen Talente viel früher die Möglichkeit, sich auf höchstem Niveau zu entwickeln. Sie spielen gerade in den nordischen Ländern schon mit 16, 17, 18 in der höchsten Liga, das ist bei uns nicht so. In der Handball-Bundesliga spielen die meisten ausländischen Spieler. In anderen Ligen können sich die Jungen früher weiterentwickeln. Bei uns gibt es einen größeren Leistungs- und Erfolgsdruck. Wir haben so viele gute Jugendliche, aber sie kommen nicht früh genug oben an.

Wie könnte man das Problem lösen?

In der näheren Zukunft lässt sich das nicht lösen, da Geld eine sehr große Rolle spielt. Und Geld kommt von den Sponsoren mit dem Erfolg. Deshalb wird bei den Topmannschaften eher auf ausländische Spieler zurückgegriffen. Ich würde mir wünschen, dass auch bei ihnen auf Platz 15 bis 16 keine hochbezahlten ausländischen Topspieler, sondern Talente eingesetzt werden. Das ist bislang nur bei den "Ausbildungsvereinen" der Fall, die eher im unteren Tabellenbereich stehen.

Erwartungen an das DHB-Team

Andi Wolff und Johannes Golla gehen mit einem klaren Ziel in das Turnier: Sie wollen eine Medaille. Sind sie komplett realitätsfern? Denn mehr als Außenseiterchancen räumt man den Deutschen nicht ein.

Das ist doch gerade die große Chance! 2016 hat auch niemand geglaubt, dass Deutschland Europameister wird. Es ist gut, dass diese Forderung endlich aus der Mannschaft kommt und nicht von irgendwelchen Offiziellen. Als Leistungssportler hat man niemals das Ziel, Fünfter oder Achter zu werden. Wenn ich sage, ich werde Achter, werde ich nur Achter. 16 Spieler zeigen Woche für Woche in der stärksten Liga der Welt ihre Leistung. Deshalb hat eine deutsche Mannschaft immer den Anspruch, in ein Halbfinale eines großen Turniers zu kommen.

Welches Ziel ist Ihrer Meinung nach für die deutsche Mannschaft realistisch?

Auch ich glaube, dass ein Halbfinale erreichbar ist. In der Vorrunde weiß man noch nicht, was auf einen zukommt. Katar kann man nicht einschätzen, afrikanische Teams schlecht, Serbien besser, da sie ein europäisches Team sind. Die Fußball-WM hat gezeigt, dass es die kleineren Nationen nicht mehr gibt. Japan, Marokko zum Beispiel haben uns eines Besseren belehrt.

Weltmeister und Europameister sind Dänemark und Schweden.

Es werden wieder die üblichen Verdächtigen als Favoriten genannt, auch Frankreich und Kroatien gehören dazu. Dazu wird es vielleicht die ein oder andere Überraschung geben.

Steigende Ansprüche vor kommender Heim-WM

Wer ist Ihr Favorit?

Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus gehören die Gastgeber dazu. Das ist der amtierende Europameister Schweden. Polen ist auch Gastgeber, mit der Begeisterung der Fans im Rücken ist alles möglich. Dänemark wird wieder eine starke Mannschaft haben. Daneben Kroatien, Frankreich. Ich habe nicht den einen Favoriten, sondern einen Kreis aus acht bis zehn Mannschaften, zu denen auch Deutschland gehört.

Steckt in Deutschland noch so viel Turniernation, dass sie auf den Punkt da sein können zum Turnierstart?

Momentan ganz klar nein, denn in den letzten Turnieren konnten sie es leider nicht zeigen. Das Potenzial war immer da und wenn sie sich in einen guten Rhythmus mit viel Selbstvertrauen gespielt hatten, waren sie immer sehr gefährlich. Ich hoffe, sie kommen gut rein und spielen sich in diesen Rhythmus.

Wenn es dieses Jahr nichts wird, dann dürften wohl alle auf nächstes Jahr hoffen. Dann steht die Heim-EM an.

Ein Heimturnier ist immer etwas anderes und die Ansprüche steigen automatisch im eigenen Land. Aber man sollte nicht nur auf nächstes Jahr hoffen. Es wäre gut für unsere Sportart, wenn wir bald wieder erfolgreich wären. Man sollte nicht erst bis zum Heimturnier warten.

Zur Person: Christian "Blacky" Schwarzer, geboren 1969, spielte fast 20 Jahre für die deutsche Nationalmannschaft. Er nahm an sechs Welt- und fünf Europameisterschaften teil, wurde 2004 Europameister und 2007 Weltmeister. Vier Jahre lang trainierte er Jugendmannschaften beim Deutschen Handball-Bund (DHB), jetzt trainiert er den Nachwuchs beim Handball-Verband Saar.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Blacky Schwarzer
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