Die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette soll in einem Berliner Capoeira-Verein Mitglied gewesen sein. Plötzlich ist die Sportart präsent in den Medien, allerdings in einem Kontext, der der brasilianischen Kampfkunst beileibe nicht gerecht wird. Wir klären auf, was sie ausmacht.

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30 Jahre verbrachte die Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette im Untergrund und hielt sich dabei offenbar mit Capoeira fit. Angeblich in einem "Tanzverein". Dabei hat die brasilianische Kampfkunst mit Tanz am Ende nur wenig gemein.

Ihren Ursprung hat die Capoeira in einer der unrühmlichsten Phasen der brasilianischen Geschichte: im 18. Jahrhundert, zum Höhepunkt der Sklavenzeit. Millionen Menschen aus West- und Zentralafrika, dem heutigen Nigeria, Kongo und Angola, wurden zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert nach Brasilien verschleppt.

Sie gehörten vorrangig Völkern der Bantu, Nagô oder Yoruba an. Die Verschleppten teilten zwar nicht dieselbe Sprache, wohl aber eine ähnliche Kultur, wie Historikerin Ynaê Lopes dos Santos im Gespräch mit dem "Deutschlandfunk Kultur" festhält. Und diese Kultur ist auch die Basis der Capoeira.

Capoeira entstand vermutlich in der Sklavenzeit

Um die Geschichte der Capoeira ranken sich viele Mythen. Ihre Entstehung erklären sich einige Historikerinnen und Historiker so: Den Sklaven war Besitz verboten, ebenso die Ausübung ihrer Traditionen. So suchten sie neue Mittel und Wege, im streng katholischen Brasilien ihre Heiligen zu ehren - und ihre Körper zur Waffe zu stählen.

Hier hat die Capoeira auch ihren musikalischen und "tänzerischen" Ursprung: Es war überlebenswichtig, dass die patrões - die Sklavenhalter - nicht mitbekamen, was gespielt wurde. So standen die Capoeiristas singend und klatschend im Kreis, um die Kämpfenden vor Blicken zu schützen, und besangen offiziell die Gottesmutter Maria, nur eben unter dem Namen Iemanjá.

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Auch die tänzerischen und akrobatischen Elemente dienten dazu, die eigentliche Absicht zu verschleiern. Näherte sich ein "Unbefugter", änderte die bateria ihren Rhythmus - und die Kämpfenden reihten sich ein in den Kreis. Man mache ja nur gemeinsam Musik zu Ehren der katholischen Heiligen.

Capoeira war in Brasilien lange verboten

Die Musik und der Kreis - die roda - sind bis heute Teil der Capoeira. Und bis heute bekommt jeder und jede Capoeirista einen Spitznamen. In Zeiten, als Capoeira vorrangig als Kampf in den Straßen von Salvador, Recife und Rio de Janeiro ausgeübt wurde, diente dieser als willkommene Ausrede. Falls man von der Polizei aufgehalten und befragt wurde, wer die anderen Capoeiristas seien, konnte man wahrheitsgemäß behaupten, es handle sich um "Eichhörnchen", "Manteläffchen" und "Glühwürmchen".

In der Kaiserzeit war Capoeira nur implizit verboten, wer den Sport ausübte, wurde dennoch strafrechtlich verfolgt, etwa wegen Störung der öffentlichen Ordnung. Nach Gründung der Republik 1889 gab es einen Paragrafen, der die Ausübung explizit verbot - und mit Verbannung von sechs Monaten bis zwei Jahren bestrafte.

1937 hob Präsident und Ex-Diktator Getúlio Vargas das Verbot auf und machte Capoeira zum offiziellen Nationalsport Brasiliens. Seit November 2014 ist Capoeira Teil des Unesco-Weltkulturerbes.

Malícia ist ein wesentliches Element der Capoeira

Tatsächlich ist Capoeira eine sehr brasilianische Sportart. Sie vereint traditionelle afrikanische Elemente mit indigener Kultur sowie Elementen aus anderen Kampfkünsten wie Jiu Jitsu. Zumindest im Sprachgebrauch kämpft man nicht gegeneinander, sondern spielt miteinander. Allerdings ist ein wesentliches Element die malícia, die sich am besten mit "Arglist" übersetzen lässt: Es geht darum, den anderen auszutricksen, mit den eigenen Bewegungen zu lenken und genau dorthin zu manövrieren, wo man ihn haben will.

Auch wenn vielerorts etwas anderes behauptet wird: Bei Capoeira handelt es sich beileibe nicht um eine kontaktlose Sportart. Zwar ist das primäre Ziel nicht wie bei anderen Kampfkünsten, bestimmte Treffer zu landen - und die meisten Kicks zischen am Gegner vorbei. Dennoch gibt es ein breites Repertoire an Würfen, Fußfegern und Hebeltechniken, die ohne Kontakt schwer möglich sind. Zudem: Wer sich nicht schnell genug duckt, hat durchaus auch mal einen Fuß im Gesicht.

Ähnlich wie bei anderen Kampfkünsten vergeben Capoeira-Schulen Graduierungen in Form von verschiedenfarbigen Kordeln. Der Mestre (Meister) trägt immer Weiß. Welche Prüfungen für eine neue Kordel zu absolvieren sind oder welche Kenntnisse man sich anzueignen hat, folgt nicht etwa einem fixen Regelwerk, sondern hängt von der Einschätzung des jeweiligen Mestre ab.

Insgesamt basiert die Capoeira auf einem System ungeschriebener Regeln, das über Jahrzehnte mündlich weitergegeben wurde - ebenso wie die Musik und die Lieder, die unabdingbarer Bestandteil des Sports sind. Jeder und jede Capoeirista lernt nicht nur Bewegungsabfolgen, sondern auch die Instrumente, Rhythmen und Lieder - auf Portugiesisch, versteht sich.

Dabei gibt es zwei Hauptrichtungen: das langsamere, trickreichere (und absolut kräfteraubende) Capoeira Angola, das näher am Boden gespielt wird, und das deutlich schnellere und hitzigere Capoeira Regional, das sich durch Drehkicks, hohe und direkte Tritte auszeichnet. Beiden ist gemein, dass die Musik die Geschwindigkeit und Art des Spiels vorgibt. Daneben haben sich weitere Varianten und Unterarten herausgebildet, etwa die Capoeira Contemporânea.

Vom Straßenkampf über Mixed Martial Arts zur Popkultur

Was als Straßenkampf begann, hat heute Einzug in diverse Fitness- und Tanzstudios gehalten. Daneben gibt es zahlreiche genuine Capoeira-Schulen und -Vereine. Seine Blütezeit als Trendsportart erlebte Capoeira Ende der 2000er- und Anfang der 2010er-Jahre, seither hat die Zahl der Anbieter stetig zugenommen. Wer Capoeira vorrangig als Sport betreiben möchte, ist in einem Fitnessstudio sicherlich gut aufgehoben. Wer jedoch tiefer eintauchen will, ist mit einer reinen Capoeira-Schule besser beraten.

Elemente der Capoeira sind sowohl in der Kampfsportszene als auch in der Popkultur weit stärker verankert, als man meinen könnte. So nutzen diverse MMA-Kämpfer Capoeira-Bewegungen, darunter Brasilianer wie Elizeu Zaleski dos Santos oder Michel Pereira, aber auch der Ire Conor McGregor, der 2016 in der US-Talkshow "Conan" eine perfekte Meia lua de compasso demonstrierte.

Conor McGregor bei Conan O'Brien

MMA-Kämpfer Conor McGregor war 2016 in der Talkshow zu Gast. © YouTube

Auch in Filmen, Musikvideos und Computerspielen - etwa Streetfighter und Tekken - hat Capoeira einen festen Platz. In zahlreichen Filmen mit Kampfszenen kommen Capoeira-Bewegungen vor - in brasilianischen Klassikern wie Cordão de Ouro (1977), aber auch in moderneren Filmen wie "Blade", "Ocean's Twelve", "Black Panther" oder "The Batman". Mestre Amem, der selbst seit über 50 Jahren Capoeira trainiert, hat für "Insider" neun Kampfsportfilme einem Realitätscheck unterzogen (Video auf Englisch).

Anders als bei klassischen Kampfsportarten gab es bis in die 1970er-Jahre in der Capoeira übrigens keine Wettkämpfe - diese sind eine relativ moderne Erscheinung. Hierbei geht es jedoch nicht um bestimmte Treffer oder Knockouts, sondern vielmehr um ein schönes Spiel mit möglichst viel Varianz, Technik und Kreativität. Wer sich etwa nicht an den Rhythmus oder die Charakteristika einer Spielart hält, erhält eine schlechtere Wertung - und wer einen Mitspieler absichtlich verletzt, muss eine Disqualifikation fürchten. In dieser Hinsicht hat Capoeira tatsächlich mehr mit einem Tanz zu tun als mit einem Kampf.

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